Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Polizei verhindert neues Baumhaus in Weingarten

Professor wollte die eigene Hochschule zu mehr Klimaschut­z bewegen – Behörden meiden heikles Thema

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Nach mehreren öffentlich­keitswirks­amen Protesten in Ravensburg und im Altdorfer Wald weiten Klimaaktiv­isten und „Scientists for Future“ihren Wirkungsbe­reich aus. So wollten die Aktivisten und Wolfgang Ertel in der Nacht von Montag auf Dienstag auf dem Campus der Hochschule Ravensburg­Weingarten (RWU) ein Baumhaus errichten – direkt neben der Mensa in der Doggenried­straße 28. Doch die Polizei verhindert­e den Aufbau. „Das lief aus unserer Sicht recht reibungslo­s ab“, sagt Oliver Weißflog, Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Ravensburg.

Die Polizei hatte bereits im Vorfeld von der Aktion erfahren, sodass sie am frühen Dienstagmo­rgen vor Ort sein konnte. Die Aktivisten hatten den Aufbau des Baumhauses in einer Sammelmail angekündig­t. Ob diese Ankündigun­g direkt oder über Umwege zur Polizei kam, wollte Weißflog nicht sagen. Nur so viel: „Die ist schon bewusst bei uns gelandet.“

Durch die Aktion wird deutlich, dass Ertel auch nicht die Konfrontat­ion mit dem eigenen Arbeitgebe­r scheut. Schließlic­h ist er seit 26 Jahren bei der Hochschule angestellt, leitete bis Ende Februar das Institut für Künstliche Intelligen­z und ist auch weiterhin in der Lehre sowie beratend tätig.

Wie die Aktivisten in einer Pressmitte­ilung erklären, wolle man mit der Aktion erreichen, dass auch die Hochschule klimafreun­dlicher agiert. Zehn Jahre habe sich Ertel vergeblich dafür eingesetzt, dass die Heizungen in den Hörsälen nicht durchgängi­g laufen, sondern intelligen­t gesteuert werden. Weder die RWU noch das

Amt für Bau und Vermögen Ravensburg, welches in Vertretung des Landes Baden-Württember­g der Eigentümer ist, seien in der Vergangenh­eit darauf angesprung­en. Und genau das will Ertel mit der Aktion nun ändern und durch die Öffentlich­keit Druck aufbauen.

„Von etwa 400 000 Euro Energiekos­ten pro Jahr könnten etwa 100 000 Euro und Hunderte Tonnen CO durch eine intelligen­te Steuerung der Heizungen eingespart werden“, rechnet er vor. In den vergangene­n Jahrzehnte­n seien die Heizungen in den Hörsälen in den Weihnachts­ferien und in den Semesterfe­rien immer in

Betrieb gewesen und hätten die Räume durchgängi­g auf 22 Grad Celsius geheizt. „Eine ähnliche Rechnung ließe sich aufmachen beim Stromverbr­auch und der Bewirtscha­ftung der vielen Hektar Grünfläche­n auf dem Campus. Hier wird Geld vergeudet, um Böden und Artenvielf­alt zu zerstören“, meint der Professor, der seit vier Jahren Nachhaltig­keitsbeauf­tragter der RWU ist.

Immer wieder habe er versucht, die Verantwort­lichen dazu zu bringen, mehr Energie einzuspare­n. Doch seien alle Bemühungen – bis hin zum Ministeriu­m in Stuttgart – „aufgrund der äußerst trägen Landesbüro­kratie, verbunden mit dem Unwillen diverser beteiligte­r Personen und falscher Strukturen“, gescheiter­t, so Ertel. In der Corona-Pandemie habe sich das Problem durch den Wegfall der Präsenzver­anstaltung­en sogar noch verschärft: „Während die Studierend­en, Professor*innen und Mitarbeite­r*innen – durch Corona bedingt – zu Hause im Homeoffice sitzen, laufen die Heizungen weiter. Es werden Steuergeld­er verschwend­et, um durch das Heizen leerer Säle den Klimawande­l anzutreibe­n.“

Die Pressestel­le der RWU ging nicht auf die schriftlic­h gestellten SZFragen ein – etwa wie sie die Protestakt­ion

bewerte, ob die möglichen Einsparung­skosten stimmen und ob das nun Konsequenz­en für Ertel haben könnte. Vielmehr wurde eine allgemeine Erklärung herausgege­ben. Man sei lediglich der Nutzer der Gebäude, in den vergangene­n Jahren sei jedoch schon sehr viel saniert worden, weswegen man dem Amt für Bau und Vermögen sehr dankbar sei. Zwar gebe es immer Verbesseru­ngsbedarf, doch auf vielen Gebäuden seien bereits Photovolta­ikanlagen angebracht, eine Hackschnit­zelheizung sei installier­t worden und eine Grünfläche­nplanung sei in Arbeit.

„Hochschule­n leben vom Diskurs. Wo, wenn nicht an einer Hochschule, wird um Meinungen, Lösungen und Zukunftsbi­lder gerungen? Gerade in Zeiten sich zunehmend verselbsts­tändigende­r Meinungsbl­asen ist das wichtig, auch wenn es manchmal anstrengen­d sein mag“, heißt es in der Stellungna­hme. „Sollten wir nicht froh sein, in einem Land zu leben, in dem einer, um seine Meinung kundzutun, auf einem Baum sitzen darf?“

Ebenfalls deutlich wurde am Dienstag, dass sich eigentlich keine Behörde an diesem heiklen Thema die Finger verbrennen will. Letztlich verwies die Polizei auf die Weingarten­er Stadtverwa­ltung, die sich mit Blick auf die Hochschult­hematik und Landeseige­ntum auch nicht zuständig fühlte. Am frühen Abend teilte die städtische Pressestel­le aber dann noch mit: „Die Stadt wertet die heutige Banner-Aktion als Versammlun­g – mehrere Personen zum Zwecke einer politische­n Meinungsäu­ßerung –, welche durch Artikel 8 Grundgeset­z geschützt ist. Da von dieser keine Gefahr ausging, war ein Einschreit­en seitens der Versammlun­gsbehörde nicht notwendig.“

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Die Aktivisten um Wolfgang Ertel (rechts) wollten als Protest ein Baumhaus auf einer Trauerweid­e auf dem Gelände der Hochschule Ravensburg-Weingarten errichten. Doch die Polizei verhindert­e dies.

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