Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Es sind noch viele Lehrstellen im Handwerk zu vergeben
Schülerinnen und Schüler schieben pandemiebedingt die Suche nach einen Ausbildungsplatz auf
REGION - Gutes Handwerk kommt aus der Tüte. In diesem Fall gleich aus 400 000 Tüten, die in mehr als 70 Bäckereibetrieben in den Kreisen Konstanz, Ravensburg sowie dem Bodenseekreis ausgegeben werden. Die Agentur für Arbeit Konstanz/Ravensburg hat die neu gestalteten Tüten in Auftrag gegeben. Auf knallrotem Untergrund wird auf der Vorderseite gefragt: „Ausbildung? Studium? Keinen Plan?“und auf der Rückseite mit „Wir schon“beantwortet. Außerdem ist die Telefonnummer der Agentur abgedruckt, bei der sich Ausbildungssuchende melden können.
Erstmalig wendet sich die Agentur für Arbeit auf diesem Wege an Schulabgänger. Bisher hatten die Schülerinnen und Schüler, ob nach der mittleren Reife oder aber nach dem Abitur, die Möglichkeit, sich auf den Berufsbildungsmessen vor Ort zu orientieren. Firmen und Studienanbieter nutzen diese Plattformen, um ihre Firmen oder ihre Weiterbildungsmöglichkeiten vorzustellen. Das war coronabedingt seit mehr als einem Jahr nicht mehr möglich. Mittlerweile werden Berufsfachmessen auch online angeboten, aber die bisherige Erfahrung und Resonanz seitens der Ausbildungssuchenden zeigt, „dass das nicht so angenommen wird“, sagt Franz Moosherr, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Landkreis Ravensburg. „Viele Schülerinnen und Schüler hat die Corona-Zeit sehr verunsichert und sie verschieben die Ausbildungssuche um ein Jahr“, bestätigt auch Ines Lange, Teamleiterin der Berufsberatung bei der Agentur für Arbeit. Die Ausbildungssuche aufzuschieben sei aber die denkbar schlechteste Option, „denn dann verschiebt sich die Suche bei gleichbleibendem Stellenangebot und die Zahlen der Suchenden
verdoppelt beziehungsweise verdreifacht sich“. Die Aufforderung auf der Tüte soll den Schülern sagen: „Ruft uns an! Denn die Agentur für Arbeit bietet Information, Beratung und Orientierung“, erklärt Ines Lange weiter.
Gerade in den Handwerksbetrieben seien in diesem Jahr noch viele Stellen zu besetzen. Nach Stand von Ende April sind im Kreis Konstanz 780 Lehrstellen, im Kreis Ravensburg 1100 Stellen und im Bodenseekreis 640 Stellen frei. Dabei betonen sowohl Franz Mossherr als auch Ines Lange sowie Wolfgang Künze, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft des Bodenseekreises, Werner Leser, Obermeister der Bäcker-Innung Ravensburg und Judith Sauter, stellvertretende Obermeisterin der Bäcker-Innung des Bodenseekreises, dass gerade das Handwerk vielfältige Aufstiegschancen biete. „Das Handwerk ist anspruchsvoller geworden“, sagen Judith Sauter und Werner Leser. „Und es bietet viele Chancen. Mit Bestehen der Gesellenprüfung fängt die Reise erst an.“
Die Problematik im Handwerk sei, dass viele junge Menschen immer noch veraltete Vorstellungen von den Lehrberufen hätten. „Das beste Beispiel dafür ist das frühe Aufstehen im Bäckerhandwerk. Dabei bieten viele Bäckereien mittlerweile ein ZweiSchicht-System an, denn auch am Nachmittag sollen frische Brezeln in der Ladentheke liegen“, sagt Werner Leser. Aus Erfahrung weiß er aber: „Wer sich einmal daran gewöhnt hat um zwei Uhr morgens mit der Arbeit zu beginnen und dann vormittags Feierabend zu haben, gibt das so schnell nicht auf. Während die anderen noch arbeiten müssen, liegen die Mitarbeiter der Nachtschicht im Sommer bereits mittags im Strandbad.“
Heute würde im Handwerk mit modernen und innovativen Techniken
gearbeitet. Zudem würden Handwerksbetriebe oft familiärer geführt als große Industrieunternehmen. „Junge Menschen fallen hier nicht so schnell durchs Raster“, erklärt Judith Sauter. Die beiden sprechen sich für das Bäckerhandwerk aus: „Das ist ein toller Beruf, der Umgang mit einem tollen Produkt vermittelt.“Mit Blick auf die Zukunft sei zudem sicher, dass Fachkräfte im Handwerk eine sichere berufliche Perspektive haben.
Der Appell an die künftigen Schulabgänger ist deutlich: Sie sollen sich jetzt informieren und die Suche nicht auf die lange Bank schieben. Die Hürde sich zu bewerben oder zu informieren sei oft die fehlende Eigeninitiative. Hier sind auch die Eltern gefragt. „Es ist wichtig, dass Eltern ihre Kinder dabei unterstützen in Richtung Berufssuche aktiv zu werden. Sowohl die Handwerksbetriebe als auch die Agentur merken deutlich, dass die Praxiswochen, die während der Schulzeit angeboten werden, fehlen. Der Schulausfall während der Pandemie macht sich also nicht nur an den Schulen, sondern auch in den Betrieben bemerkbar“, sagt Ines Lange und appelliert an die Schülerinnen und Schüler: „Nicht lange zögern, sondern sich unverbindlich bei der Agentur für Arbeit beraten lassen.“