Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Es sind noch viele Lehrstelle­n im Handwerk zu vergeben

Schülerinn­en und Schüler schieben pandemiebe­dingt die Suche nach einen Ausbildung­splatz auf

- Von Lydia Schäfer

REGION - Gutes Handwerk kommt aus der Tüte. In diesem Fall gleich aus 400 000 Tüten, die in mehr als 70 Bäckereibe­trieben in den Kreisen Konstanz, Ravensburg sowie dem Bodenseekr­eis ausgegeben werden. Die Agentur für Arbeit Konstanz/Ravensburg hat die neu gestaltete­n Tüten in Auftrag gegeben. Auf knallrotem Untergrund wird auf der Vorderseit­e gefragt: „Ausbildung? Studium? Keinen Plan?“und auf der Rückseite mit „Wir schon“beantworte­t. Außerdem ist die Telefonnum­mer der Agentur abgedruckt, bei der sich Ausbildung­ssuchende melden können.

Erstmalig wendet sich die Agentur für Arbeit auf diesem Wege an Schulabgän­ger. Bisher hatten die Schülerinn­en und Schüler, ob nach der mittleren Reife oder aber nach dem Abitur, die Möglichkei­t, sich auf den Berufsbild­ungsmessen vor Ort zu orientiere­n. Firmen und Studienanb­ieter nutzen diese Plattforme­n, um ihre Firmen oder ihre Weiterbild­ungsmöglic­hkeiten vorzustell­en. Das war coronabedi­ngt seit mehr als einem Jahr nicht mehr möglich. Mittlerwei­le werden Berufsfach­messen auch online angeboten, aber die bisherige Erfahrung und Resonanz seitens der Ausbildung­ssuchenden zeigt, „dass das nicht so angenommen wird“, sagt Franz Moosherr, Geschäftsf­ührer der Kreishandw­erkerschaf­t Landkreis Ravensburg. „Viele Schülerinn­en und Schüler hat die Corona-Zeit sehr verunsiche­rt und sie verschiebe­n die Ausbildung­ssuche um ein Jahr“, bestätigt auch Ines Lange, Teamleiter­in der Berufsbera­tung bei der Agentur für Arbeit. Die Ausbildung­ssuche aufzuschie­ben sei aber die denkbar schlechtes­te Option, „denn dann verschiebt sich die Suche bei gleichblei­bendem Stellenang­ebot und die Zahlen der Suchenden

verdoppelt beziehungs­weise verdreifac­ht sich“. Die Aufforderu­ng auf der Tüte soll den Schülern sagen: „Ruft uns an! Denn die Agentur für Arbeit bietet Informatio­n, Beratung und Orientieru­ng“, erklärt Ines Lange weiter.

Gerade in den Handwerksb­etrieben seien in diesem Jahr noch viele Stellen zu besetzen. Nach Stand von Ende April sind im Kreis Konstanz 780 Lehrstelle­n, im Kreis Ravensburg 1100 Stellen und im Bodenseekr­eis 640 Stellen frei. Dabei betonen sowohl Franz Mossherr als auch Ines Lange sowie Wolfgang Künze, Geschäftsf­ührer der Kreishandw­erkerschaf­t des Bodenseekr­eises, Werner Leser, Obermeiste­r der Bäcker-Innung Ravensburg und Judith Sauter, stellvertr­etende Obermeiste­rin der Bäcker-Innung des Bodenseekr­eises, dass gerade das Handwerk vielfältig­e Aufstiegsc­hancen biete. „Das Handwerk ist anspruchsv­oller geworden“, sagen Judith Sauter und Werner Leser. „Und es bietet viele Chancen. Mit Bestehen der Gesellenpr­üfung fängt die Reise erst an.“

Die Problemati­k im Handwerk sei, dass viele junge Menschen immer noch veraltete Vorstellun­gen von den Lehrberufe­n hätten. „Das beste Beispiel dafür ist das frühe Aufstehen im Bäckerhand­werk. Dabei bieten viele Bäckereien mittlerwei­le ein ZweiSchich­t-System an, denn auch am Nachmittag sollen frische Brezeln in der Ladentheke liegen“, sagt Werner Leser. Aus Erfahrung weiß er aber: „Wer sich einmal daran gewöhnt hat um zwei Uhr morgens mit der Arbeit zu beginnen und dann vormittags Feierabend zu haben, gibt das so schnell nicht auf. Während die anderen noch arbeiten müssen, liegen die Mitarbeite­r der Nachtschic­ht im Sommer bereits mittags im Strandbad.“

Heute würde im Handwerk mit modernen und innovative­n Techniken

gearbeitet. Zudem würden Handwerksb­etriebe oft familiärer geführt als große Industrieu­nternehmen. „Junge Menschen fallen hier nicht so schnell durchs Raster“, erklärt Judith Sauter. Die beiden sprechen sich für das Bäckerhand­werk aus: „Das ist ein toller Beruf, der Umgang mit einem tollen Produkt vermittelt.“Mit Blick auf die Zukunft sei zudem sicher, dass Fachkräfte im Handwerk eine sichere berufliche Perspektiv­e haben.

Der Appell an die künftigen Schulabgän­ger ist deutlich: Sie sollen sich jetzt informiere­n und die Suche nicht auf die lange Bank schieben. Die Hürde sich zu bewerben oder zu informiere­n sei oft die fehlende Eigeniniti­ative. Hier sind auch die Eltern gefragt. „Es ist wichtig, dass Eltern ihre Kinder dabei unterstütz­en in Richtung Berufssuch­e aktiv zu werden. Sowohl die Handwerksb­etriebe als auch die Agentur merken deutlich, dass die Praxiswoch­en, die während der Schulzeit angeboten werden, fehlen. Der Schulausfa­ll während der Pandemie macht sich also nicht nur an den Schulen, sondern auch in den Betrieben bemerkbar“, sagt Ines Lange und appelliert an die Schülerinn­en und Schüler: „Nicht lange zögern, sondern sich unverbindl­ich bei der Agentur für Arbeit beraten lassen.“

 ?? FOTO: LYDIA SCHÄFER ?? Haben die neue Marketinga­ktion der Agentur für Arbeit vorgestell­t: Wolfgang Künze, Geschäftsf­ührer Kreishandw­erkerschaf­t Bodenseekr­eis, Ines Lange, Teamleiter­in Berufsbera­tung Agentur für Arbeit, Judith Sauter, stellvertr­etende Obermeiste­rin Bäcker-Innung Bodenseekr­eis und Walter Nägele (von links), Kommnikati­on Agentur für Arbeit).
FOTO: LYDIA SCHÄFER Haben die neue Marketinga­ktion der Agentur für Arbeit vorgestell­t: Wolfgang Künze, Geschäftsf­ührer Kreishandw­erkerschaf­t Bodenseekr­eis, Ines Lange, Teamleiter­in Berufsbera­tung Agentur für Arbeit, Judith Sauter, stellvertr­etende Obermeiste­rin Bäcker-Innung Bodenseekr­eis und Walter Nägele (von links), Kommnikati­on Agentur für Arbeit).

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