Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Gedenkfeier wirbt für Frieden
35 aus politischem Widerstand Handelnde waren damals im Ravensburger Gefängnis inhaftiert
RAVENSBURG - Das „Aktionsbündnis 8. Mai“hat an der Stadtmauer, wo das als „Rotes Haus“bezeichnete Gefängnis stand, eine Gedenkveranstaltung abgehalten, von Wolfram Frommlet und Bernd Winkler musikalisch und poetisch umrahmt. 76 Jahre nach der Befreiung von Faschismus und Krieg erinnert die Aktion an Widerständler und fordert eine Gedenkstätte in Ravensburg.
An dem sonnigen Frühlingssamstag war der Platz an der Stadtmauer mit seinem Spielplatz sehr belebt. Mahnend und klagend erregte das Cello die Aufmerksamkeit der Menschenmenge. Ein Gedicht des Österreichers jüdischer Herkunft Theodor Kramer endete zu Herzen gehend: „Und weine nicht! Sie sind da.“Michaela Matschinski erklärte in ihrer engagierten, überzeugenden Rede, warum das Gedenken gerade an den 8. Mai 1945, der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht, so wichtig sei. Jahrelang sei nämlich das Datum aus kollektiver Scham kaum beachtet worden. Das änderte sich spätestens seit dem Kniefall Willy Brandts. Noch heute aber führt der Tag zu politischen Auseinandersetzungen.
Am Ort des ehemaligen „Roten Hauses“in Ravensburg will das Aktionsbündnis auch an die Widerständler des Naziterrors erinnern. Nicht nur Gemeinderäte der SPD und KPD seien derzeit hier inhaftiert gewesen, auch Mutige aus Gewerkschaften und Kirche. Heute aber wolle jeder und jede Zweite vom NS-Unrecht nichts mehr wissen. Einer Umfrage zufolge lehnten nur 55 Prozent der Befragten den Satz ab: „Die damalige deutsche Bevölkerung hatte keine Mitverantwortung für die Verbrechen des NS.“Das bedeute, folgerte Michaela Matschinski, „dass jeder Zweite in diesem
Land sich in keiner gesellschaftlichhistorischen Verantwortung sieht, weder gegenüber den NS-Opfern noch gegenüber den Lehren der Geschichte.“Der Künstler Markus Meyer erinnert mit seinen Skulpturen zum Thema „Das siebte Kreuz“an Flüchtlinge aus einem der Konzentrationslager
des Nationalsozialismus. Zwei der sieben Objekte waren jetzt an der Stadtmauer aufgestellt. Sie verleihen der Forderung an die Stadt Ravensburg Nachdruck, eine Gedenkstätte für die 35 Verfolgten und Inhaftierten des politischen Widerstandes zu errichten.
Mit der bekannten „Todesfuge“von Paul Celan leitete Kulturjournalist Wolfram Frommlet ausdrucksstark zum nächsten Redebeitrag über. Volker Jansen, Vorsitzender der Städtepartnerschaft mit Brest, Ukraine, früher in der Sowjetunion gelegen, erläuterte in Bericht und Analysen, wie wichtig Austausch und menschliche Kontakte für den Frieden in Europa sind. Er sagte: „Wer sich kennt und miteinander redet, ist von Kriegstrommlern weniger verführbar.“Zum Schluss stellte Volker Matschinski den sogenannten Ravensburger Appell vor. Das zweiseitige Schreiben fordert „Abrüsten statt Aufrüsten!“, konkrete Einzelheiten und allgemein „Sicherheit neu denken – durch zivile friedens- und vertrauensstiftende Maßnahmen“. Den Ravensburger Appell kann man über das „Politische Wohnzimmer Ravensburg“, powozravensburg@posteo.de unterstützen.