Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Festprediger kritisiert und wirbt für Kirche
Clemens Stroppel spricht zum Blutfreitag in Weingarten über gute und schlechte Hirten
WEINGARTEN - In seiner Festpredigt zum Auftakt der Feierlichkeiten zum diesjährigen Blutfreitag am Donnerstagabend hat Generalvikar Clemens Stroppel die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche scharf kritisiert. Gleichzeitig appellierte er für mehr Mut, den Glauben an Gott zu leben und das eigene Ich hinten anzustellen. Stroppel benutzte dafür das Bild vom guten und schlechten Hirten.
Seit nun mehr 33 Jahren pilgere er zu Fuß mit den Diakonen des Priesterseminars von Rottenburg zum Blutritt, einem „im wahrsten Sinne des Wortes katholischen Glaubenszeugnis“. Meistens sei er auch in der Blutreitergruppe Herbertingen mit geritten. Ursprünglich sollte Bischof Gebhard Fürst die traditionelle Festpredigt an Christi Himmelfahrt halten. Wie die Pressstelle auf SZ-Anfrage sagte, musst der Bischof aus Termingründen absagen.
Das Arbeitsleben enttäusche die Menschen, so Stroppel, wenn sie merken, dass sie nur noch eine Nummer sind, dass die Arbeit und der Nutzen mehr interessieren als der Mensch. Jeder habe diese Erfahrung schon gemacht und am eigenen Leib zu spüren bekommen. Man stelle sich die Frage, wem es eigentlich um mich gehe? Anders ausgedrückt: Bedeute ich jemandem noch etwas?
Jesus habe vom „guten Hirten“gesprochen, der Verantwortung übernehme und den einzelnen wahrnehme. Jesus nehme nicht, was er brauche. Er gebe, was der andere brauche. In diesem Sinne handelte er nach der Art Gottes.
Doch habe es auch schlechte Hirten gegeben – und es gebe sie auch heute noch. Ihnen gehe es um ihr Wohl, um ihre Karriere, um Macht oder einfach ums Geld. Niemand dürfe einem Hirten blind folgen. „Es kann in eine tödliche Sackgasse führen, wenn sich einer nur als Hirte gebärdet“, sagte Stroppel, „in Wirklichkeit aber nur eine Rattenfänger ist.“Die Geschichte habe dafür das beste Beispiel geliefert. Gemeint hat Stroppel
damit die Zeit des Nationalsozialismus, ohne das explizit zu nennen.
Er erwähnt aber auch jene schlechten Hirten in der katholischen Kirche, die sich als Missbraucher herausgestellt haben und damit nicht heilen wollende Wunden verursacht hätten. „Der Skandal, dass neben ungezählten anderen im familiären Umfeld oder in Vereinen oder Pädophilennetzwerken, gerade Priester, Kinder und Jugendliche missbrauchten, dass aus Seelsorgern Verbrecher wurden an Leib und Seele, ist ebenso unbegreiflich wie abgründig abstoßend“, sagte Stroppel. „Das muss vorbehaltlos aufgeklärt werden.“
Jesus habe sich als guter Hirte erwiesen. Er habe selbstlos gehandelt und sein Leben für andere gegeben. Man könne ihm deshalb trauen, es mache Mut und gebe Hoffnung, dass es doch mindestens einen gebe, der „ein Auge für mich und ein Herz für mich hat“, sagt Stroppel. Jesus lade dazu ein, es ihm gleichzutun. Er wisse, den Weg des guten Hirten zu gehen, sei heute nicht einfach. Man ernte viel Undank, Unverständnis oder werde ausgenutzt. „Aber versuchen sollten wir es dennoch“, sagte der Generalvikar, auch wenn es nur bruchstückhaft gelinge.
In der Kirche, in den Gottesdienste und am Blutfreitag könne man sich von dem Geist des guten Hirten erfassen lassen. Das gebe Kraft, Hoffnung
und Liebe für die anderen. Stroppel appellierte zu bleiben und der Kirche nicht den Rücken zu kehren, auch wenn die Kirche mit ihren Skandalen alles andere als ein einladendes Gesicht zeige. Trotz aller notwendiger Kritik und notwendiger Reformen, mit aller Schuld und allem Versagen der Kirche, sei es die Aufgabe, ein lebendiges Hoffnungszeichen zu sein, für das Bedürfnis aller, angenommen zu werden.
Sein Appell richtete sich auch an die Jugend, ihr Leben dem Evangelium zu verschreiben. Nicht weil die Kirche mehr Nonnen, Priester oder Pater brauche, sondern für die Hoffnung für die Welt und für die Menschen.