Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ein Blutrittle in aller Stille
13 Reiter begleiten den Heiligblutreiter auf die Flur – eine Frau ist nicht dabei
WEINGARTEN - Weingarten, Basilikavorplatz um sieben Uhr am Blutfreitag: Pünktlich öffnen sich die Pforten der barocken Kirche. Generalvikar Clemens Stroppel überreicht Heiligblutreiter Dekan Ekkehard Schmid auf seinem Schimmel die Heilig-Blut-Reliquie – so wie es Tradition ist und Jahrhunderte immer war. Doch auch im zweiten CoronaJahr ist es alles anders als gewohnt. Der Basilikavorplatz ist abgesperrt, eine überschaubare Menge an Gläubigen und Pilgern hat sich versammelt. Die Polizei regelt den Zugang.
Begleitet von 13 Reitern mit Standarten anstatt gut 2200, bricht die Prozession auf zu einem kleinen Blutritt, vom Dekan „Blutrittle“genannt. Über die Wolfegger Straße geht es in Richtung Köpfingen. Es ist noch empfindlich kalt, doch die Sonne bahnt sich langsam ihren Weg. Den genauen Streckenverlauf hat der Veranstalter, die Weingartener Kirchengemeinde St. Martin, im Vorfeld nicht bekannt gegeben. Es ist eine Vorsichtsmaßnahme, um den Corona-Vorgaben gerecht zu werden und keinen Massenauflauf hervorzurufen. In stiller Andacht sollen die Gläubigen, Pilger und Blutreitergruppen von zu Hause aus am Blutritt teilnehmen, hat der Dekan in einem Schreiben gebeten. Ein Appell, der funktioniert. Am Straßenrand stehen vereinzelt Menschen mit Maske. Die Fenster in den Häusern sind geschlossen. Etwa 20 Menschen folgen der Prozession zu Fuß. Es wird ein Blutrittle in aller Stille.
„Ich musste einfach dabei sein“, sagt eine Pilgerin, die aus einer Blutreiterfamilie stammt. Ein naher Verwandter sitzt auf einem Pferd und reitet mit. Sie ist mit der Tradition groß geworden. Der Termin ist ihr heilig. Natürlich sei es durch die Pandemie nicht so wie gewohnt. Über 2200 Reiter und 40 Musikkapellen sind halt doch etwas anderes als eine kleine Prozession mit 13 Reitern. Dennoch kann sie auch dem Blutrittle etwas abringen. „Der Ursprung des Blutritts als Gottesdienst kommt besser zur Entfaltung“, sagt sie.
Mit dem Blutrittle fiel auch das ganz große Ereignis aus: Dass erstmals eine Frau offiziell mitreiten darf. Im November vergangenen Jahres hatte der Veranstalter verkündet, den Blutritt zu öffnen. Die traditionell reine Männerwallfahrt war schon seit einigen Jahren immer wieder wegen dieser Ausschließlichkeit als verstaubt, archaisch und diskriminierend öffentlich kritisiert worden. Frauen nun zum Blutritt zuzulassen, liegt in den Händen der Blutreitergruppen. Die große Frage lautet daher, ob das im nächsten Jahr der Fall sein wird. Bislang hat aber noch keine Reitergruppe bekannt gegeben, dass bei ihnen jetzt eine Frau mitreitet.
Kurz vor Köpfingen macht die Prozession an einem Altar halt. Schätzungsweise 100 Gläubige haben sich hier versammelt. Mit Maske und Abstand. Ein Jogger in kurzen Hosen läuft durch die Menge. Pfarrer Marco Rodriguez Rivas hält eine kurze Ansprache. Blutreiter Schmid wendet sich in Richtung Flur und segnet mit der Heilig-Blut-Reliquie die Frucht. Mitten auf dem Feld steht mit einem Abstand von 50 Metern ein einsamer
Gläubiger. Andächtig hat er die Hände gefaltet. Als Schmid den Segen spricht, bekreuzigt er sich.
Der Mann im Feld steht für einen „kleinen, ja intimen Blutritt bei herrlichem Wetter“in diesem Jahr, wie ihn Weingartens Oberbürgermeister Markus Ewald empfand. Und auch er meint: „Das führt auf den Kerngedanken des Blutritts zurück.“Von der Innigkeit und der Tiefe habe das die gleiche Strahlkraft wie ein großer Blutritt.
„Dieses Jahr sind es aber mehr als im vergangenen“, sagt ein Mann am Wegesrand, als er die Reiterprozession erblickt, die gerade von Köpfingen in Richtung Briach herunterkommt. In der Tat: 2020 hatten nur zwei Reiter den Dekan während der Prozession begleitet. Geplant waren für dieses Jahr 200. Dies wäre allerdings nur möglich gewesen, wenn die Inzidenz unter 100 gelegen hätte. Stichtag für die Entscheidung war der 7. Mai gewesen.
Doch da die Zahlen vor gut einer Woche noch deutlich über 150 lagen, war ein kleiner Blutritt mit 200 Reitern unmöglich geworden.
Die Zahlen seien zwar nun besser, aber „wir wollten keine Sogwirkung erzeugen und einen größeren Zulauf verhindern“, sagt Schmid im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Trotzdem sollten es mehr Reiter sein als im vergangenen Jahr. „Es muss nicht jeder Blutfreitag gleich ablaufen“, sagt Schmid. „Es war eine vorsichtige Öffnung und ein kleines Signal. Trotzdem blieb es ein Blutrittle.“Es sei schon schmerzlich, den Leuten sagen zu müssen, bleibt zu Hause, anstatt sie wie sonst immer einzuladen und willkommen zu heißen. „Eigentlich eine Zumutung, aber hoffentlich eine einmalige“, sagt der Dekan.
Sicherlich habe ein kleines, stilles Blutrittle etwas für sich. Es gehe auch mal mit weniger Reitern und Publikum. „Aber ich denke, dass der große Rahmen, wie wir ihn gewohnt sind, mit Musik und öffentlicher Aufmerksamkeit nicht bloß Show und Pomp ist“, sagt der Dekan. „Es macht auch Atmosphäre, die viele erreicht und bewegt. Das kann man durch Medien und indirekte Beteiligung nicht erreichen. Das große Format hat eben eine Breitenwirkung.“Gerade für die vielen, die jetzt zwei Jahre den Blutritt von zu Hause aus mitverfolgen mussten, wünsche er sich, dass es im nächsten Jahr wieder eine große Prozession geben werde.
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