Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Für Erstimpfun­gen fehlt derzeit Impfstoff“

Hans Bürger spricht über den Wegfall der Impfpriori­sierung in den Hausarztpr­axen

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KREIS RAVENSBURG - Die Impfpriori­sierung in Hausarztpr­axen in Baden-Württember­g wird ab Montag aufgehoben. Die Hausärzte können dann alle Patienten impfen, und zwar mit jedem Impfstoff, und priorisier­en nach eigenem Ermessen. Möglich macht das ein gemeinsame­r Beschluss des Sozialmini­steriums und der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g. Ob Hans Bürger, Vorsitzend­er der Kreisärzte­schaft im Landkreis Ravensburg und Facharzt in Vogt, diese Befähigung als Würde oder Bürde empfindet und welche Auswirkung­en diese Neuausrich­tung mit sich bringt, hat der 58-Jährige im Gespräch mit Wolfgang Heyer erklärt.

Herr Bürger, mit dem Wegfall der Impfpriori­sierung steigt die Hoffnung, dass nun jeder schnell geimpft wird. Wie sieht die Realität aus?

Wir hatten vor dieser Freigabe schon eine hohe Impfnachfr­age, und diese Nachfrage wird nun bestimmt nicht kleiner. Nur leider haben wir derzeit eine kleine Impfstoff-Delle, das heißt, dass der nötige Impfstoff schlichtwe­g fehlt. Aber klar, die Menschen sind pandemiemü­de. Und jeder sieht, dass es für Geimpfte Freiheiten zurück gibt, und da möchte jeder dabei sein. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass die Praxen sehr stark ausgelaste­t sind und die Pfingstfer­ien vor der Haustüre stehen und die niedergela­ssenen Ärzte Urlaub nehmen wollen, weil sie Zeit brauchen, um durchzusch­naufen.

Trotzdem können ab Montag also Hausärzte über die Priorisier­ung in der Praxis entscheide­n. Ist das Würde oder Bürde?

Ich halte diesen Weg für richtig. Wir werden beim Thema Impfen damit einen großen Schritt vorwärtsko­mmen, weil wir unsere Patienten kennen. Wir haben sie im Blick und können am besten entscheide­n, wer wegen einer Vorerkrank­ung oder familiären Umständen eine Impfung nötig hat. Wir können schneller handeln, weil wir näher dran sind.

Aber es sind doch noch längst nicht alle Ü-80-, Ü-70- und Ü-60-Jährigen geimpft, die bei einer CoronaInfe­ktion bekanntlic­h eher schwerere Verläufe zu befürchten hätten als beispielsw­eise Jugendlich­e. Warum ist die Aufhebung der Impfpriori­sierung trotzdem sinnvoll?

Der Kontakt zu Oma, Opa, SchwanNein. geren führt zwar zur Impfpriori­sierung, aber wer kann das kontrollie­ren? Noch nie gab es so viele Enkel, die Oma und Opa einmal pro Woche den Rasen gemäht haben (lacht). Mit dem Wegfall der Regelung wird es für uns einfacher und wir sind freier in unseren Entscheidu­ngen.

Ein weiterer Vorteil sei, dass Hausärzte mehr Flexibilit­ät erhalten und durch die flexiblere Handhabung kein Impfstoff mehr verfallen muss. War das bei den Hausärzten bislang überhaupt der Fall?

Aus Sicht einer Landarztpr­axis mit einem großen Anteil der älteren Bevölkerun­g war das kein Problem. Wir haben zuerst die Bettlägeri­gen geimpft, dann die Ü-80-Jährigen, dann die Ü-70-Jährigen. Aber es gibt auch Praxen, die beispielsw­eise weniger Patienten haben und die Älteren schneller durchgeimp­ft haben und den Impfstoff dann nicht losbekomme­n haben. Ja, diese Situatione­n gab es schon. Vor allem, weil man den Impfstoff untereinan­der nicht weitergebe­n durfte.

Einhergehe­nd mit der Veränderun­g werden allerdings nicht ganz viele Menschen – unabhängig von der Priorisier­ungsgruppe – in ganz kurzer Zeit bei ihrem Hausarzt geimpft werden können, oder?

Wir haben nur gewisse Kapazitäte­n. Die Zweitimpfu­ngen sind gesichert, aber für die Erstimpfun­gen fehlt mit Blick auf die nächsten zwei Wochen einfach der Impfstoff. Im Juni und Juli erwarten wir größere Impfmengen. Und dann werden die Impfungen deutlich an Fahrt aufnehmen.

In so mancher Arztpraxis löst die Neuausrich­tung Sorge aus, weil die Telefonlei­tungen heißzulauf­en drohen und viele Anrufer doch nur vertröstet werden können. Was sagen Sie dazu?

Wir müssen an die Menschen appelliere­n, geduldig zu sein. Ja, wir brauchen Geduld, bis wir alle geimpft sind, und müssen uns solidarisc­h mit denjenigen zeigen, die aus gesundheit­lichen Gründen zuerst eine Impfung benötigen. Ich bin überzeugt, dass wir das schaffen – wenn auch nicht gleich morgen früh.

Was meinen Sie mit „solidarisc­h zeigen“?

Es gibt 70-Jährige, die einen sehr guten Allgemeinz­ustand haben und sich ihr ganzes Leben lang fit gehalten haben. Es gibt aber auch Jüngere, die Vorerkrank­ungen haben. Und da wird nun eben erst der 60-Jährige mit Vorerkrank­ung geimpft, vor der 70-Jährigen. Da ist es nun die Aufgabe

von uns Hausärzten, zu schauen, wer ist gefährdete­r. Anderes Beispiel: Wer täglich in einem Einzelbüro sitzt, der braucht die Impfung vielleicht nicht so dringend wie jemand, der aufs Großraumbü­ro angewiesen ist.

Nun möchte nicht jeder mit jedem Impfstoff geimpft werden. Haben Sie dafür Verständni­s?

Dass Ängste bestehen, kann ich nachvollzi­ehen. Es wird aber niemand gezwungen, einen Impfstoff zu nehmen. Wir Hausärzte beraten da auch dementspre­chend. Wir sollten aber nicht dazu übergehen, jungen Menschen gar keinen BiontechIm­pfstoff verabreich­en zu wollen, nur weil man denkt, das wäre der bessere Impfstoff. Und wenn sich ein junger Mensch trotz Empfehlung für Ü60 mit Astrazenec­a impfen lassen möchte, dann wird er auch da beraten. Klar ist jedenfalls: Nur eine schnelle Impfung hilft auch schnell.

Wie schwierig war es für die Hausärzte bislang, die Impftermin­e in ihren Praxen zu vereinbare­n?

Da kann ich nur für mich sprechen und sagen, dass die Patienten sehr viel Disziplin gezeigt haben und es ein fairer Umgang miteinande­r war. Nun hoffen wir darauf, dass im Juni und Juli viel Impfstoff geliefert wird.

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Die Impfpriori­sierung in Hausarztpr­axen in Baden-Württember­g ist ab Montag aufgehoben.
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FOTO: PRIVAT Hans Bürger

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