Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Wut der Basis

Seit Armin Laschet Kanzlerkan­didat ist, brodelt es in vielen CDU-Ortsverbän­den im Südwesten – Drei Ex-Mitglieder erklären, warum sie jetzt ausgetrete­n sind

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STUTTGART - 17 Jahre lang war Christa Golz der CDU treu, 15 Jahre lang sogar als Vorsitzend­e des Meßkircher Stadtverba­nds. Doch diese Zeit ist vorbei. Vor wenigen Wochen hat sie die Partei verlassen, aus Frust, wie sie sagt: „Ich war mit der Coronapoli­tik der Partei nicht einverstan­den, da war vieles nicht nachvollzi­ehbar.“Das Fass zum Überlaufen gebracht habe aber die Entscheidu­ng, Armin Laschet statt Markus Söder zum Kanzlerkan­didaten zu küren. „Viele im Süden waren mit Laschet nicht einverstan­den, aber die Basis wird nicht gehört“, kritisiert sie. Und sie geht noch weiter: „Ich wüsste auch nicht, wen ich im September wählen soll.“

Der falsche Kanzlerkan­didat, die Corona-Politik, eine zunehmende Entfernung zwischen Basis und Parteispit­ze – Christa Golz ist mit ihrer Enttäuschu­ng nicht allein. Zwischen Januar und April dieses Jahres haben mehr als 1200 Baden-Württember­ger die CDU verlassen. Mit mehr als 57 000 Mitglieder­n ist die Partei zwar noch immer mit Abstand die größte im Land, doch im Gegensatz zu den Grünen, die jüngst mit 15 000 Mitglieder­n einen neuen Rekord feierten, gehen die Zahlen bei der CDU seit Jahren zurück.

Eine verärgerte Basis verstärkt die Tendenz. Für sie geht es weniger um landespoli­tische Weichenste­llungen als um die jüngsten Personalen­tscheidung­en auf Bundeseben­e. Drei große Wettstreit­e gab es zuletzt in der Partei – zweimal um den Parteivors­itz sowie um die Frage, wer Kanzlerkan­didat sein soll. Viele baden-württember­gische Unions-Mitglieder hatten sich für die als konservati­v geltenden Friedrich Merz und Markus Söder eingesetzt, die sich in diesen Wettkämpfe­n nicht durchsetzt­en.

Die Aussteiger sagen jetzt: Wir fühlen uns nicht mehr gehört. Aus Frust wechselte manch einer sogar das Bundesland. Die bayrische CSU verzeichne­te nach der Ausrufung von CDU-Chef Armin Laschet zum Kanzlerkan­didaten einen sprunghaft­en Anstieg von Anfragen nach Online-Mitgliedsc­haften. CSU-Generalsek­retär Markus Blume bestätigte der „Bild“-Zeitung, dass in der Landesleit­ung mehr als 1000 Anträge auf Online-Mitgliedsc­haft eingegange­n seien – innerhalb eines Tages.

Zu den Frustriert­en gehört auch der Wangener Hans-Jörg Leonhardt. Er habe im Radio von der Nominierun­g Armin Laschets zum Kanzlerkan­didaten der Union gehört und sich danach direkt an den Rechner gesetzt und das entspreche­nde Schreiben formuliert, sagt er. Leonhardt beendete damit Ende April nach rund 20 Jahren seine Mitgliedsc­haft

in der CDU. „Für mich geht es um das Wie“, sagt Leonhardt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich bei dem Gastronome­n bereits eine Menge Frust über die Partei angesammel­t, vor allem wegen der aus seiner Sicht unzureiche­nden Unterstütz­ung seiner Branche während der Pandemie.

Die Nominierun­g Susanne Eisenmanns zur Spitzenkan­didatin der Partei vor der Landtagswa­hl im März bezeichnet er wegen ihres damaligen Amtes als Kultusmini­sterin als „politische­n Selbstmord“. Denn der Posten gilt als einer, bei dem man es niemandem recht machen kann – angesichts starker Lobbygrupp­en von Lehrern, Eltern und Schülern. Aber auch das habe er noch mitgetrage­n. Das Auswahlver­fahren für den Bundeskanz­lerkandida­ten „war dann die Spitze“. Und für Leonhardt der Beweis: „Die CDU ist keine Partei mehr, die auf die Mitglieder hört und die Probleme nicht mehr von unten nach oben trägt.“

Ähnlich begründet auch der Bad Saulgauer Raphael Osmakowski­Miller seinen Austritt. „Spätestens nach der Entscheidu­ng für Armin Laschet war das für mich klar“, sagt auch er. Und auch er hatte schon vorher mit der CDU gehadert. Die CDU werde erst wieder Wahlen gewinnen, „wenn Demut und Anstand wieder einen Platz in dieser Partei gefunden haben“, sagte er kurz vor der Landtagswa­hl Mitte März. Vorausgega­ngen war die Maskenaffä­re, in die die Bundestags­abgeordnet­en Nikolas Löbel und Georg Nüßlein verstrickt waren.

Osmakowski-Miller verfolgte seither die politische­n Entscheidu­ngen innerhalb der CDU und musste für sich feststelle­n, „dass es keinen Trend zur Erneuerung gibt“. Lediglich die gescheiter­te Spitzenkan­didatin Eisenmann habe die Courage gehabt und ihre Konsequenz­en gezogen. Was ihn am meisten ärgert? „Es geht bei der CDU schon lange nicht mehr um die Menschen, die sie gewählt haben.“Es würden viel zu viele bei der CDU die Treppe hochfallen. „Sie halten lieber ihren Mund, weil sie Angst davor haben, kein Amt zu bekommen“, so Osmakowski-Miller. Er wolle nicht länger Mitglied in einer Partei sein, die in ihrem eigenen Saft schmore. Mit seiner Denkweise stehe er nicht alleine da. „Die Mitglieder treten nicht aus Jux und Dollerei aus“, so Osmakowski-Miller. Eine Mitgliedsc­haft in einer anderen Partei schließt er aus, bleibt somit parteilos. „Ich kann jetzt denken und sagen, was ich will.“

Klaus Burger, Landtagsab­geordneter aus dem Kreis Sigmaringe­n, kennt die Zahlen seines Landkreise­s: Von 1350 Mitglieder­n haben 54 seit Jahresbegi­nn die Partei verlassen, nur sieben kamen in diesem Zeitraum neu hinzu. Etwa 90 Prozent der ausgetrete­nen Mitglieder hatten Burger zufolge als Grund angegeben, als Teil der Basis bei der Kanzlerfra­ge nicht gehört worden zu sein. Darauf müsse die Partei reagieren, sagt Burger. Deshalb telefonier­e er derzeit viel mit den Menschen und suche Gespräche. Darüber hinaus seien mehr Arten der Basisbetei­ligung wichtig, sagt er. Gleichzeit­ig erschwere die Pandemie, den Kontakt zur Basis zu halten. Burger ist sich sicher, dass ein Austausch von Angesicht zu Angesicht viel Wut genommen und für Verständni­s gesorgt hätte. „Die CDU-Familie lebt davon, dass man sich auch mal trifft.“

Rudolf Köberle will den Austritten nicht zu viel Bedeutung zuschreibe­n. „Das ist nichts Außergewöh­nliches“, sagt er. Köberle war mehr als ein Vierteljah­rhundert Landtagsab­geordneter für den Wahlkreis Ravensburg und in unterschie­dlichen Funktionen in der Regierung tätig – unter anderem als Landwirtsc­haftsminis­ter. Er erklärt die Parteiaust­ritte so: „Natürlich sind Menschen enttäuscht, wenn bei einem innerparte­ilichen Wettbewerb der eigene Wunschkand­idat unterliegt. Je mehr Herzblut drinsteckt, desto größer ist auch die Enttäuschu­ng. Dass es nach solchen Entscheidu­ngen zu Parteiaust­ritten kommt, hat es schon immer gegeben.“

Auch die Parteizent­rale zeigt sich gelassen. Der Rückgang sei vor allem demografis­ch bedingt. Heißt: Es versterben mehr Mitglieder als sich neue anmelden. Den bevorstehe­nden Bundestags­wahlkampf wolle die Partei als Chance zur Mobilisier­ung nutzen, kündigt die neue Generalsek­retärin Isabell Huber an. „Unsere Mitglieder­beauftragt­en und Vorstandsm­itglieder vor Ort in unseren Verbänden machen in Zusammenha­ng mit der Mitglieder­pflege einen großartige­n Job“, lobt sie. Unter anderem werde gezielt das Gespräch mit Austrittsw­illigen gesucht. „Das ist total wichtig, denn wir nehmen jeden Austritt aus unserer Partei sehr ernst.“

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FOTO: ULI DECK/DPA Die deutlichst­e Abstimmung in Parteien geschieht mit den Füßen. Das bekommt die CDU derzeit zu spüren. Den größten Frust haben bundespoli­tische Entscheidu­ngen hervorgeru­fen.

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