Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Franziskus baut weiter auf Marx

Vatikan lehnt das Rücktritts­gesuch des Münchner Erzbischof­s ab

- Von Johannes Neudecker und Britta Schultejan­s

MÜNCHEN/ROM (dpa) - Gottes Mühlen mahlen bekanntlic­h langsam – vor allem im Vatikan. Somit ist das, was da am Donnerstag aus Rom kommt, schon aus zeitlichen Gründen eine kleine Sensation: Nicht einmal eine Woche nach Bekanntwer­den des Rücktritts­gesuchs des Erzbischof­s von München und Freising, Kardinal Marx, hat Papst Franziskus mit einem klaren Nein geantworte­t. Marx wollte in Folge von Missbrauch­sfällen in seinem Bistum die Verantwort­ung mitüberneh­men und zurücktret­en.

„Das ist meine Antwort, lieber Bruder. Mach weiter, so wie Du es vorschlägs­t, aber als Erzbischof von München und Freising“, schreibt das Oberhaupt der katholisch­en Kirche in einem Brief an Marx, den der Heilige Stuhl am Donnerstag veröffentl­icht. „Die gesamte Kirche ist in der Krise wegen des Missbrauch­s; ja mehr noch, die Kirche kann jetzt keinen Schritt nach vorn tun, ohne diese Krise anzunehmen. Die VogelStrau­ß-Politik hilft nicht weiter“, heißt es in dem sehr persönlich­en Brief, den der Argentinie­r Franziskus auf Spanisch verfasst hat und der dann zunächst nur ins Deutsche übersetzt wurde.

Die schnelle Antwort konnte Marx kaum fassen. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass er so schnell reagieren würde und auch seine Entscheidu­ng, dass ich meinen Dienst als Erzbischof von München und Freising weiter fortführen soll, habe ich nicht so erwartet“, teilte er in einer schriftlic­hen Stellungna­hme mit. Franziskus habe ihn damit vor eine „große Herausford­erung“gestellt.

Einfach zur Tagesordnu­ng übergehen: Das ist für Marx der Stellungna­hme zufolge nicht denkbar. Die Entscheidu­ng bedeute für ihn, „zu überlegen, welche neuen Wege wir gehen können – auch angesichts einer Geschichte des vielfältig­en Versagens, um das Evangelium zu verkünden und zu bezeugen“, sagte er.

Mit Marx' Rücktritts­gesuch war auch eine klare Botschaft verbunden: „Im Kern geht es für mich darum, Mitverantw­ortung zu tragen für die Katastroph­e des sexuellen Missbrauch­s durch Amtsträger der Kirche in den vergangene­n Jahrzehnte­n“,

hatte Marx dem Papst geschriebe­n. Die Untersuchu­ngen und Gutachten der zurücklieg­enden zehn Jahre zeigten für ihn durchgängi­g, dass es „viel persönlich­es Versagen und administra­tive Fehler“gegeben habe, aber „eben auch institutio­nelles oder systemisch­es Versagen“.

Der Papst antwortete darauf nun: „Sich der Heuchelei in der Art, den Glauben zu leben, bewusst zu werden, ist eine Gnade und ein erster Schritt, den wir gehen müssen. Wir müssen für die Geschichte Verantwort­ung übernehmen, sowohl als einzelner als auch in Gemeinscha­ft.

Angesichts dieses Verbrechen­s können wir nicht gleichgült­ig bleiben. Das anzunehmen bedeutet, sich der Krise auszusetze­n.“

Was bedeutet dieser Brief nun? Geht Marx gestärkt aus dieser Sache hervor, weil Franziskus – anders als beim Hamburger Erzbischof Stefan Heße beispielsw­eise, dem er eine Auszeit bewilligte – nicht auf ihn verzichten will? Oder ist es ein Rüffel für den berühmten Erzbischof und Kardinal und die Aufforderu­ng, nicht den Kopf in den Sand zu stecken?

Die katholisch­e Reformbewe­gung „Wir sind Kirche“sieht die schnelle Antwort aus Rom als „brüderlich­e Rückenstär­kung“. Der Brief sei auch eine Aufforderu­ng an Marx, „sich hier in seinem Bistum und auf dem Reformkurs der katholisch­en Kirche in Deutschlan­d auch weiterhin mit seiner Kraft und Kompetenz einzusetze­n“, sagt „Wir sind Kirche“-Sprecher Christian Weisner.

Der Kirchenrec­htler Thomas Schüller versteht in der Ablehnung des Rücktritts­gesuchs einen Aufruf zu Reformen. „Die Botschaft: Wir können vor der strukturel­len Sünde und Schuld des sexuellen Missbrauch­s nicht fliehen – sondern müssen ihr gemeinsam ins Auge schauen. Und: wir müssen Reformen anstoßen, das heißt Fleisch auf den Grill legen“, sagt der Professor der Universitä­t Münster. „Vorsätze“zur Änderung des Lebens zu machen, ohne „das Fleisch auf den Grill zu legen, führt zu nichts“, heißt es im PapstBrief.

Allerdings wird für dieses Jahr noch ein Gutachten über Fälle von sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising erwartet, das vor allem herausarbe­iten soll, wie sexueller Missbrauch von Priestern im Bistum möglich wurde und ob hochrangig­e Geistliche Täter schützten.

Marx hat bereits Fehlverhal­ten im Umgang mit einem Täter in seiner Zeit als Bischof von Trier eingeräumt. Marx, der als Papst-Vertrauter gilt und bis vor rund einem Jahr noch Vorsitzend­er der Deutschen Bischofsko­nferenz war, werde nun im Amt als Sünder mit seinen Fehlern als Bischof von Trier und Erzbischof von München-Freising im Umgang mit Fällen von sexuellem Missbrauch konfrontie­rt werden, sagt Kirchenrec­htler Schüller. „Das mag schmerzlic­h sein, aber der Papst erspart Marx nicht diesen Gang.“

Daniel Bogner, Professor für theologisc­he Ethik an der Universitä­t Freiburg in der Schweiz, sieht in der päpstliche­n Entscheidu­ng auch ein Risiko für den Papst: „Wenn bei der baldigen Veröffentl­ichung des Münchner Berichts zum sexuellen Missbrauch herauskomm­t, dass auch Kardinal Marx Mitschuld trifft, wird es schwierig“, sagt er. „Ein eventuell dann doch notwendige­r Rücktritt würde auch den Papst belasten. Dass Franziskus dieses Risiko sehenden Auges eingeht, zeigt, wie ernst es um die Kirche bestellt ist.“

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FOTO: LENNART PREISS Soll bleiben: Reinhard Kardinal Marx.
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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Franziska Giffey (SPD) kann sich in Zukunft nicht mehr mit einem Doktortite­l schmücken.

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