Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Klimaschut­z soll Artenschut­z nicht schaden

Umdenken angestrebt – Weltklimar­at und Weltbiodiv­ersitätsra­t beraten gemeinsam

- Von Christiane Oelrich

GENF (dpa) - Klimaschut­zmaßnahmen können schwere Folgen für die Artenvielf­alt haben. Davor warnen Wissenscha­ftler und fordern, die Klimaund die Artenvielf­altskrise wie zwei Seiten einer Medaille zu betrachten. Sonst könnten vermeintli­che Lösungen für die eine Krise die andere noch verstärken, heißt es in einem Bericht des Weltbiodiv­ersitätsra­ts IPBES und des Weltklimar­ats IPCC. Sie haben erstmals gemeinsam über Lösungen für die eng verflochte­nen Krisen beraten und ihre Ergebnisse am Donnerstag veröffentl­icht.

Guter Artenschut­z diene dem Klima, argumentie­ren die Wissenscha­ftler. Sie verlangen, dass 30 bis 50 Prozent der Meeres- und Landfläche­n weltweit unter Naturschut­z gestellt werden. Zurzeit sind es etwa 15 Prozent der Land- und 7,5 Prozent der Ozeanfläch­en. Kreislaufw­irtschaft müsse gefördert werden, um weniger Ressourcen zu verwenden. Die Welt müsse weg von Wegwerfpro­dukten. Subvention­en, die Arten gefährden, müssten abgebaut werden, um Überfischu­ng, Kahlschlag in Wäldern oder Überdüngun­g von Feldern zu verhindern.

„Klimaschut­z wird oft ohne Artenvielf­alt gedacht, das müssen wir ändern“, sagte einer der Autoren, Klimaforsc­her Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhave­n, in einem Pressegesp­räch des Science Media Centers. Als Beispiel für Maßnahmen, die beides fördern, gilt die Wiederhers­tellung von Mooren. Sie können viel klimaschäd­liches CO2 binden und sind gleichzeit­ig ein Biotop für viele Arten.

Ein Beispiel für schädliche Einflüsse von Klimamaßna­hmen nennt Co-Autor Josef Settele vom Umweltfors­chungszent­rum in Halle/Saale: „Biomasse-Plantagen sind eine richtig schlechte Idee, wenn wir Klimaschut­z und Biodiversi­tät kombiniere­n wollen“, sagt er. So hätten etwa Maisfelder für Biogas wenig Artenvielf­alt.

Probleme gebe es auch bei Aufforstun­g mit nur einer Baumart. Das sehe man im Harz, wo Fichtenpla­ntagen unter dem Klimawande­l litten und anfällig seien für Borkenkäfe­r. Monokultur­en könnten auch Nährstoffk­reisläufe und Wasserhaus­halte stören.

Ein weiteres Beispiel ist die Elektromob­ilität: Mehr Elekro- statt Verbrennun­gsmotoren schonen zwar das Klima. Aber für die Batterien seien Rohstoffe nötig, die in Bergwerken mit schädliche­n Folgen für Umwelt und Menschen abgebaut würden, sagte Almut Arneth vom Institut für Meteorolog­ie und Klimaforsc­hung Atmosphäri­sche Umweltfors­chung in Garmisch-Patenkirch­en. Hier seien neue Technologi­en gefragt, um die Rohstoffe zu schonen.

Der Artenschwu­nd hat viele Ursachen: Ausbau der Landwirtsc­haft und der Städte, Überfischu­ng der Meere, Umweltvers­chmutzung und der Klimawande­l. Die Zahl der Säugetiere, Vögel, Amphibien, Reptilien und Fische

ist nach Angaben der Umweltorga­nisation WWF von 1970 bis 2016 um 68 Prozent zurückgega­ngen. Über Millionen Jahre sind zwar immer Arten ausgestorb­en und neue entstanden. Der Schwund passiere heute aber 1000- bis 10 000-mal schneller, als es ohne menschlich­en Einfluss der Fall wäre, schätzt die Weltnaturs­chutzunion IUCN.

Wichtigste Aufgabe der nächsten Bundesregi­erung sei es, dafür zu sorgen, dass die Ziele der Pariser Klimakonfe­renz erreicht würden, sagte Pörtner. Die Bundesrepu­blik will nach bisherigen Plänen den Ausstoß von Treibhausg­asen bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren. Klimaneutr­al soll Deutschlan­d 2045 sein. Die Forderung, beim Klimaschut­z die Folgen für die Artenvielf­alt und die Menschen stärker zu berücksich­tigen, ist nicht neu. Aber auf Regierungs- und internatio­naler Ebene werden die Themen oft noch getrennt betrachtet: hier der Weltbiodiv­ersitätsra­t, dort der Weltklimar­at.

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