Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Almauftrieb auf Portugiesisch
Jeden Sommer treiben Männer ihre Schafherden in die Serra da Estrela – Zuvor bitten sie um Schutz
BFranziska Telser
lökende Schafe, rauschende Wasserfälle – ansonsten ist so gut wie nichts in der Serra da Estrela, dem höchsten Gebirgszug auf dem portugiesischen Festland, zu hören. Diese Ruhe erleben jedoch meist nur die Schäfer mit ihren Tieren und einige Wanderer, die es hierher verschlagen hat. Zur Sonnenwende, dem längstem Tag im Jahr, verwandeln sich die kleinen Gebirgsdörfer jedoch in bunte Feststätten. Dann bitten die Schäfer ihren Patron um Schutz für die Zeit in den Bergen.
Geschickt schnappt sich Fernando Jorge Nunes Cardoso ein Schaf aus seiner Herde. Es ist eines seiner besten Tiere, das Lebenskraft, Schönheit und Gesundheit demonstrieren soll. Sein Geschäftspartner Armando Jorge Abreu wartet am Gatter, die Zigarette lässig in den Mundwinkel gesteckt. Mit seinem grauen Filzhut, dem rot-weiß karierten Hemd und dem Hirtenstock wirkt der Schäfer wie aus der Zeit gefallen. Zu zweit halten sie den Bock fest. Der Kopfschmuck mit den bunten Pompons und den traditionellen Glocken liegt schon bereit. Während die Sonne über den Weiden von São Martinho langsam untergeht, schlägt das Tier einmal kurz und kräftig aus, dann haben die beiden Hirten das aus rotem Stoff gebundene Zaumzeug auch schon über das Maul des Bocks gestreift.
Jedes Jahr rund um den Johannistag am 23. Juni, werden in der Serra da Estrela die Schafe geschmückt. Zahlreiche Hirten mit ihren Herden versammeln sich dann in dem kleinen Dorf Folgosa da Madalena, um ihren Schutzpatron, den Heiligen Johannes, um ein reichhaltiges Jahr und um Schutz zu bitten. Eins von mehreren Festen, die rund um die Sonnenwende in dem Gebirge stattfinden. Es ist ein jahrtausendalter Brauch, auf den die Einheimischen sehr stolz sind. „Wer seine Herde nicht segnen lässt“, sagt Jose Manuel Santos, der Touren in die Serra da Estrela organisiert. „Der hat keine gute Milch – und somit auch keinen guten Käse.“
Das wäre schade, denn der Queijo da Serra wird nicht zu Unrecht als König der portugiesischen Käsesorten bezeichnet. Der runde kleine Laib hat einen würzigen Geschmack und je jünger der Käse ist, desto weicher ist seine Konsistenz. Am besten schmeckt er, wenn die gemolkene Milch sofort verarbeitet wird, erzählt Nunes Cardoso. Für ein Kilo Käse braucht er rund fünf Liter Milch. 220 Tiere zählen zu seiner Herde, von Abreu kommen noch 90 Stück dazu. Namen haben die Schafe keine, lediglich Nummern oder einen Chip.
Ihren Beruf haben die beiden Schäfer von ihren Vätern übernommen, sowie diese wiederum von ihren Großvätern. Auf die Frage wie lange er schon Schäfer ist, zeigt Abreu ein zahnloses Lachen. „Seitdem ich fünf bin.“Die Krux: Es kommt kein Nachwuchs nach. Denn was romantisch aussieht, ist harte Arbeit und wird nicht gut bezahlt. Nicht alle Schäfer haben so viel Glück wie Abreu und Nunes Cardoso, die ihre Schafe von zu Hause aus versorgen können, weil es in der Nähe ihrer Höfe genug Gras für das Vieh gibt. Viele von ihnen müssen im Sommer ihre Tiere hoch in das Gebirge zu den saftigen Wiesen treiben.
Vier Monate lang wandern sie dann mit ihren Herden durch die Serra da Estrela, die übersetzt das Sternen-Gebirge heißt. Fast 2000 Meter erheben sich die Berge im Osten Zentralportugals. Hier befindet sich der höchste Punkt auf dem portugiesischem Festland und der einzige Ort, wo die Einheimischen Ski fahren können. Das Kerngebiet der Serra da Estrela bildet heute der gleichnamige Naturpark, der sich auf einer Fläche von 1000 Quadratmetern erstreckt. Totenstill ist es da oben, nur die Blätter rascheln im Wind und der Boden knirscht leise, wenn jemand über die schmalen Wege das Gebirge erklimmt. Aus Granitflanken stürzen Wasserfälle in tiefe Mulden, daneben blühen leuchtend gelbe Ginsterbäume. Dazu Hänge voll weiß-schwarzer Baumskelette – Opfer des Feuers, das hier im Jahr 2017 gewütet hat.
Etwa dreieinhalb Stunden dauert die Autofahrt von Lissabon. Die nächste größere Stadt mit knapp 150 000 Einwohnern heißt Coimbra und liegt knapp 100 Kilometer entfernt. Viel gibt es in der Serra da Estrela also nicht: ein paar kleine Städtchen, noch kleinere Dörfer, dazwischen grüne Weiden und blaue Seen. Tourguides, die mit ihren Schirmen ausländische Urlauber durch die Landschaft lotsen, sucht man vergebens. Nur ein paar Schafe und Ziegen laufen einem über den Weg. Geschickt springen sie auf der gerundeten Felsenlandschaft hin und her.
Rund um die Sonnenwende werden die malerischen kleinen Ortschaften in dem Gebirge noch schöner, dann feiert jedes Dorf sein ganz eigenes Fest. In dem Örtchen Alvoco da Serra zum Beispiel säumen kleine Papierblumen die steinigen engen Gassen. Tücher zeigen große Abzüge historischer Porträts. In den Innenhöfen sitzen die Einwohner bei Rotwein und Queijo da Serra unter bunten Wimpeln. Musiker mit Dudelsäcken ziehen durch das Dorf, unterhalten die Leute. Später am Abend brechen die Dorfbewohner zum Caminhada do Lampiao auf. Das ist ein Brauch, bei dem sie Laternen anzünden und mit ihnen durch die Berge wandern.
Die Segnung der Schafe in dem Dorf Folgosa da Madalena ist einer der Höhepunkte der Sonnenwendfeiern. Für Abreu und Nunes Cardoso wird es Zeit, sich mit ihrer Herde auf den Weg zu machen. Ihr Ziel ist die Kapelle des St. Johannes in dem kleinen Gebirgsdorf. Die Zuschauer stehen schon dicht gedrängt um den Ortskern herum und erwarten freudig die Schäfer. Jeweils dreimal in beide Richtungen müssen die Hirten mit ihren Tieren die Kapelle umrunden. Die große Schwierigkeit ist, die Richtung zu wechseln. Wer diese Hürde am besten meistert, wird mit schallendem Applaus belohnt. Die größte Herde zählt rund 500 Schafe. Die besten Tiere erkennt man an riesigen Glocken und natürlich an den wollenen Pompons, mit denen auch Abreu und Nunes Cardoso ihre Tiere geschmückt haben.
Bei Einbruch der Dämmerung leert sich langsam der Dorfplatz, das Spektakel endet, Zuschauer und Einheimische ziehen sich in die Dorfkneipen zurück. Langsam verhallt das Gebimmel der Glocken aus den Gassen. Tiere sowie Schäfer kehren für einen Stopp nach Hause zurück, bevor sie in Kürze zur Wanderschaft auf die grünen Weiden ins SternenGebirge aufbrechen.