Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Umweltschutz als Geschäftsmodell
Freie Wähler Weingarten wollen Klimawald aufforsten – auch wegen ökonomischer Vorteile
WEINGARTEN - Mit einem Klimawald wollen die Freien Wähler (FWW) einen ökologisch wie ökonomisch neuen Weg in Weingartens Stadtentwicklung einschlagen. Denn mit der Idee soll nicht nur der Umwelt etwas gutes getan werden. Es geht auch um einen Ausgleich für neue Bauvorhaben von dem mittelfristig alle profitieren sollen. „Dieses FWW-Projekt ist der Beweis, dass Klimaneutralität nicht per se wirtschaftsfeindlich oder verbotsorientiert ist. Ökologie muss keine Wohlstandsbremse sondern kann ein Geschäftsmodell für Kommunen sein, so wie in diesem FWWAntrag“, sagt Stadtrat Maximilian Habisreutinger. „Mit Ideen wie dieser ist es in Zukunft möglich, Erträge zu generieren und gleichzeitig aktiven Umweltschutz zu betreiben.“
Die Idee der Fraktion: Auf einem städtischen Flurstück zwischen Haselhaus, Russenfriedhof und Wandersruh an der Köpfinger Straße im Weingartener Osten soll ein Wald mit mehr als 8500 Bäumen auf einer Fläche von 8,5 Hektar – was zwölf Fußballfeldern entspricht – entstehen. Das ist nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern bringt auch Vorteile mit Blick auf die sogenannten Ökopunkte. Weil Weingarten aktuell über zu wenige Ökopunkte verfügt – die es für unbebaute Grünflächen gibt – muss die Verwaltung bei Bauvorhaben immer Ökopunkte von anderen Gemeinden hinzukaufen. Erhöht Weingarten die Zahl der eigenen Ökopunkte, müsste sie bei künftigen Bauvorhaben weniger Punkte zukaufen und würde sich so wiederum Geld sparen.
Die Erhöhung der Ökopunkte geht einerseits durch die Neuausweisung von Grünflächen, was aufgrund der kleinen Gemarkung Weingartens schwierig ist. Da die Ökopunkte aber auch mit der höheren Qualität der Fläche ansteigen, kann diese auch durch eine andere Nutzung aufgewertet werden. Bislang werde die vorgeschlagene Fläche verpachtet als Acker beziehungsweise Wiese genutzt, so Habisreutinger. Steigt man auf einen klimaresistenteren Laub-Mischwald um, wie es die Freien Wähler planen, könnte die Qualität laut ihrer Rechnung auf zehn Ökopunkte pro Quadratmeter steigen.
Bei 25 Cent pro Ökopunkt würde das 200 000 Euro bedeuten, die man entweder als Ökopunkte verkaufen oder selbst nutzen könnte, rechnet Habisreutinger vor. Die einmaligen Aufforstungskosten (Umbruch des Bodens, Gründüngung, Setzlinge, Pflanzung und Umzäunung) würden bei rund 36 000 Euro liegen. Hinzu kämen laufende Kosten für Pflege und Schädlingskontrolle mit 8500 Euro pro Jahr und rund 21 000
Euro in fünf Jahren, die an Pachteinnahmen wegfallen würden. „Weingarten erzielt mit verpachteten Landwirtschaftsflächen kaum Erträge“, sagt Habisreutinger. Alles in allem rechnet er nach fünf Jahren mit ein Gewinn von 110 000 Euro, da es durch Förderungen vom Land auch noch 10 000 Euro Zuschüsse geben könnte.
Bei den Baumarten schweben den Freien Wählern zwei Drittel klimaresistente Arten, wie die Flatterulme, Flaumeiche oder Felsbirne vor. Doch auch Deutsche Eichen, Trauben-Eichen, Hainbuchen und Linden sollen die Wald möglichst vielfältig machen. Die Eichen sollen dann an den drei sonnigen Rändern gepflanzt werden, da sie als ökologisch und ökonomisch wertvollste heimische Holzart gelten, erklärt Habisreutinger, Gesellschafter des Holzzentrums Habisreutinger. Pro Hektar sollen etwa 1000 Setzlinge gepflanzt werden, womit der Klimawald weniger dicht als andere Wälder, aber günstiger in der Pflege und laut Freien Wählern ökologisch wertvoller wäre.
„Die Dichte bestimmt eigentlich nur die Nutzholzqualität. Je dichter desto mehr Auswahl hat man bei der jährlichen ´Auslese´ und desto weniger Äste und desto gerader der Wuchs“, erklärt der Fachmann. „Auch bei 1000 bleiben nach zehn Jahren Pflege nur ein Bruchteil der Stämme stehen.“
Dabei haben die Freien Wähler bereits mit verschiedenen möglichen Projektpartnern gesprochen, die offen für Kooperationen wären. Laut Habisreutinger könnte sich das Forstamt des Ravensburger Landratsamtes vorstellen, parallel zwei Trainees der Forstwirtschaft auszubilden. Auch die Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg und die Forstwirtschaftliche Versuchs- und Forschungsanstalt Freiburg (FVA) haben bereits Interesse an der wissenschaftlichen Begleitung des Klimawaldes signalisiert: „Die FVA in Freiburg sucht dringend Aufforstungsflächen um klimaresistente Sorten zu testen.“
Auch rechtlich habe man die wichtigsten Punkte bereits geprüft und mit Bürgermeister Alexander Geiger gesprochen. „Keine der fünf rechtlichen Bedingungen sollte ein großes Problem darstellen“, sagt Habisreutinger.
Entstanden ist die Idee übrigens bei bei einer Diskussion um das hochumstrittene Bauvorhaben in der Köpfinger Straße. Dort wollte der Eigentümer drei Häuser mit insgesamt sechs Wohnungen errichten – und dabei nur ein Fünftel des 8400 Quadratmeter großen Grundstückes bebauen. Die Grünen hatten jüngst Erfolg mit einem Antrag gegen den „Flächenfraß“, wie sie das Vorhaben bezeichnen, so dass nun fünf Häuser mit bis zu 20 Wohneinheiten entstehen sollen. FWW-Fraktionsvorsitzender
Horst Wiest meinte im Zuge der internen Diskussion, dass man auf dem Gelänge einige Bäume fällen, dafür etwas dichter bauen und im Gegenzug an anderer Stelle doppelt so viele Bäume pflanzen könne. „Das ging natürlich nicht, aber die Freien Wähler wollten trotzdem eine Ausgleichsfläche schaffen. Im Austausch mit dem Forstamt und bei Vor-Ort-Terminen nahm die Idee vom Klimawald konkretere Formen an“, sagt Habisreutinger.
Als nächsten Schritt strebt er einen Beschluss des Gemeinderates an. Dann müssten die Forstbehörde, die Umweltschutzbehörde und das Landwirtschaftsamt zustimmen. Auch hier sei bereits Zustimmung signalisiert worden, so der Stadtrat. In der Folge müsste dem Landwirt, der aktuell noch das Flurstück gepachtet hat, gekündigt werden. Bei einem Genehmigungsverfahren von drei bis vier Monaten rechnet Habisreutinger im Optimalfall mit dem Start der Bepflanzung im kommenden Jahr. Nach weiteren fünf Jahren könnte dann ein Hackschnitzelweg mit mehreren Sitzgelegenheiten im Wald angelegt werden. Auch ein Klimalehrpfad zur Klimaresistenz der Bäume oder die Erweiterung des Waldes Richtung Osten und Norden können sich die Freien Wähler vorstellen: „Es wäre ein Leuchtturmprojekt als Vorbild und zur Nachahmung für andere Kommunen.“