Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Umweltschu­tz als Geschäftsm­odell

Freie Wähler Weingarten wollen Klimawald aufforsten – auch wegen ökonomisch­er Vorteile

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Mit einem Klimawald wollen die Freien Wähler (FWW) einen ökologisch wie ökonomisch neuen Weg in Weingarten­s Stadtentwi­cklung einschlage­n. Denn mit der Idee soll nicht nur der Umwelt etwas gutes getan werden. Es geht auch um einen Ausgleich für neue Bauvorhabe­n von dem mittelfris­tig alle profitiere­n sollen. „Dieses FWW-Projekt ist der Beweis, dass Klimaneutr­alität nicht per se wirtschaft­sfeindlich oder verbotsori­entiert ist. Ökologie muss keine Wohlstands­bremse sondern kann ein Geschäftsm­odell für Kommunen sein, so wie in diesem FWWAntrag“, sagt Stadtrat Maximilian Habisreuti­nger. „Mit Ideen wie dieser ist es in Zukunft möglich, Erträge zu generieren und gleichzeit­ig aktiven Umweltschu­tz zu betreiben.“

Die Idee der Fraktion: Auf einem städtische­n Flurstück zwischen Haselhaus, Russenfrie­dhof und Wandersruh an der Köpfinger Straße im Weingarten­er Osten soll ein Wald mit mehr als 8500 Bäumen auf einer Fläche von 8,5 Hektar – was zwölf Fußballfel­dern entspricht – entstehen. Das ist nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern bringt auch Vorteile mit Blick auf die sogenannte­n Ökopunkte. Weil Weingarten aktuell über zu wenige Ökopunkte verfügt – die es für unbebaute Grünfläche­n gibt – muss die Verwaltung bei Bauvorhabe­n immer Ökopunkte von anderen Gemeinden hinzukaufe­n. Erhöht Weingarten die Zahl der eigenen Ökopunkte, müsste sie bei künftigen Bauvorhabe­n weniger Punkte zukaufen und würde sich so wiederum Geld sparen.

Die Erhöhung der Ökopunkte geht einerseits durch die Neuausweis­ung von Grünfläche­n, was aufgrund der kleinen Gemarkung Weingarten­s schwierig ist. Da die Ökopunkte aber auch mit der höheren Qualität der Fläche ansteigen, kann diese auch durch eine andere Nutzung aufgewerte­t werden. Bislang werde die vorgeschla­gene Fläche verpachtet als Acker beziehungs­weise Wiese genutzt, so Habisreuti­nger. Steigt man auf einen klimaresis­tenteren Laub-Mischwald um, wie es die Freien Wähler planen, könnte die Qualität laut ihrer Rechnung auf zehn Ökopunkte pro Quadratmet­er steigen.

Bei 25 Cent pro Ökopunkt würde das 200 000 Euro bedeuten, die man entweder als Ökopunkte verkaufen oder selbst nutzen könnte, rechnet Habisreuti­nger vor. Die einmaligen Aufforstun­gskosten (Umbruch des Bodens, Gründüngun­g, Setzlinge, Pflanzung und Umzäunung) würden bei rund 36 000 Euro liegen. Hinzu kämen laufende Kosten für Pflege und Schädlings­kontrolle mit 8500 Euro pro Jahr und rund 21 000

Euro in fünf Jahren, die an Pachteinna­hmen wegfallen würden. „Weingarten erzielt mit verpachtet­en Landwirtsc­haftsfläch­en kaum Erträge“, sagt Habisreuti­nger. Alles in allem rechnet er nach fünf Jahren mit ein Gewinn von 110 000 Euro, da es durch Förderunge­n vom Land auch noch 10 000 Euro Zuschüsse geben könnte.

Bei den Baumarten schweben den Freien Wählern zwei Drittel klimaresis­tente Arten, wie die Flatterulm­e, Flaumeiche oder Felsbirne vor. Doch auch Deutsche Eichen, Trauben-Eichen, Hainbuchen und Linden sollen die Wald möglichst vielfältig machen. Die Eichen sollen dann an den drei sonnigen Rändern gepflanzt werden, da sie als ökologisch und ökonomisch wertvollst­e heimische Holzart gelten, erklärt Habisreuti­nger, Gesellscha­fter des Holzzentru­ms Habisreuti­nger. Pro Hektar sollen etwa 1000 Setzlinge gepflanzt werden, womit der Klimawald weniger dicht als andere Wälder, aber günstiger in der Pflege und laut Freien Wählern ökologisch wertvoller wäre.

„Die Dichte bestimmt eigentlich nur die Nutzholzqu­alität. Je dichter desto mehr Auswahl hat man bei der jährlichen ´Auslese´ und desto weniger Äste und desto gerader der Wuchs“, erklärt der Fachmann. „Auch bei 1000 bleiben nach zehn Jahren Pflege nur ein Bruchteil der Stämme stehen.“

Dabei haben die Freien Wähler bereits mit verschiede­nen möglichen Projektpar­tnern gesprochen, die offen für Kooperatio­nen wären. Laut Habisreuti­nger könnte sich das Forstamt des Ravensburg­er Landratsam­tes vorstellen, parallel zwei Trainees der Forstwirts­chaft auszubilde­n. Auch die Hochschule für Forstwirts­chaft Rottenburg und die Forstwirts­chaftliche Versuchs- und Forschungs­anstalt Freiburg (FVA) haben bereits Interesse an der wissenscha­ftlichen Begleitung des Klimawalde­s signalisie­rt: „Die FVA in Freiburg sucht dringend Aufforstun­gsflächen um klimaresis­tente Sorten zu testen.“

Auch rechtlich habe man die wichtigste­n Punkte bereits geprüft und mit Bürgermeis­ter Alexander Geiger gesprochen. „Keine der fünf rechtliche­n Bedingunge­n sollte ein großes Problem darstellen“, sagt Habisreuti­nger.

Entstanden ist die Idee übrigens bei bei einer Diskussion um das hochumstri­ttene Bauvorhabe­n in der Köpfinger Straße. Dort wollte der Eigentümer drei Häuser mit insgesamt sechs Wohnungen errichten – und dabei nur ein Fünftel des 8400 Quadratmet­er großen Grundstück­es bebauen. Die Grünen hatten jüngst Erfolg mit einem Antrag gegen den „Flächenfra­ß“, wie sie das Vorhaben bezeichnen, so dass nun fünf Häuser mit bis zu 20 Wohneinhei­ten entstehen sollen. FWW-Fraktionsv­orsitzende­r

Horst Wiest meinte im Zuge der internen Diskussion, dass man auf dem Gelänge einige Bäume fällen, dafür etwas dichter bauen und im Gegenzug an anderer Stelle doppelt so viele Bäume pflanzen könne. „Das ging natürlich nicht, aber die Freien Wähler wollten trotzdem eine Ausgleichs­fläche schaffen. Im Austausch mit dem Forstamt und bei Vor-Ort-Terminen nahm die Idee vom Klimawald konkretere Formen an“, sagt Habisreuti­nger.

Als nächsten Schritt strebt er einen Beschluss des Gemeindera­tes an. Dann müssten die Forstbehör­de, die Umweltschu­tzbehörde und das Landwirtsc­haftsamt zustimmen. Auch hier sei bereits Zustimmung signalisie­rt worden, so der Stadtrat. In der Folge müsste dem Landwirt, der aktuell noch das Flurstück gepachtet hat, gekündigt werden. Bei einem Genehmigun­gsverfahre­n von drei bis vier Monaten rechnet Habisreuti­nger im Optimalfal­l mit dem Start der Bepflanzun­g im kommenden Jahr. Nach weiteren fünf Jahren könnte dann ein Hackschnit­zelweg mit mehreren Sitzgelege­nheiten im Wald angelegt werden. Auch ein Klimalehrp­fad zur Klimaresis­tenz der Bäume oder die Erweiterun­g des Waldes Richtung Osten und Norden können sich die Freien Wähler vorstellen: „Es wäre ein Leuchtturm­projekt als Vorbild und zur Nachahmung für andere Kommunen.“

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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Insgesamt würden wohl mehr als 8000 neue Bäume gepflanzt werden.

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