Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Bau-Boom stößt auf Widerstand

In Fronreute wehren sich Bürger gegen sechs Neubaugebi­ete

- Von Michaela Miller

FRONREUTE - Sechs neue Baugebiete sollen in Fronreute entstehen. Das könnte bis zu 20 Prozent mehr Einwohner für die knapp 5000 Einwohner zählende Gemeinde bedeuten. Mit einer Unterschri­ftenaktion möchten Fronreuter Bürger die Planungen der Gemeindeve­rwaltung zumindest verlangsam­en. Auch ein landschaft­liches Wahrzeiche­n spielt dabei eine Rolle.

In Fronreute verteilen sich knapp 5000 Einwohner auf eine Fläche von 4608 Hektar Land. Der neue Flächennut­zungsplan, den Verwaltung und Gemeindera­t aktuell beraten, weist für jeden der drei Teilorte zwei neue Baugebiete aus. Damit könnte sich die Einwohnerz­ahl um bis zu 20 Prozent erhöhen. Flächen von rund 17 Hektar Land sind für die Baugebiete vorgesehen, wovon aber nur maximal 7 bis 8 Hektar versiegelt werden sollen. Drei Hektar, das ist Bürgermeis­ter Oliver Spieß wichtig zu betonen, sollen ökologisch sogar aufgewerte­t werden.

Erleichter­t wird der Gemeindeve­rwaltung die Ausweisung der Baugebiete durch den Paragrafen 13b des Baugesetzb­uchs. In einem Verfahren nach diesem Paragrafen ist keine Umweltprüf­ung notwendig. Es muss auch keinen Ausgleich für den Naturschut­z geben. Das soll helfen, neuen Wohnraum zu schaffen. Die Bundesregi­erung setzte sich mit dem 2017 in Kraft gesetzten „Baumobilis­ierungsges­etz“zum Ziel, Bauland schneller zu aktivieren und damit mehr bezahlbare­n Wohnraum zu schaffen. Vor Kurzem ist diese Regelung bis 2022 verlängert worden, was für die Fronreuter Verwaltung den zeitlichen Druck herausnehm­e, so Spieß.

Auf der anderen Seite regt sich Widerstand: Vereine wie der Naturschut­zbund (Nabu) und der Bund für Umwelt und Naturschut­z (BUND) wie auch private Initiative­n kämpfen um Artenschut­z und ökologisch­en Ausgleich. Wertvolle Flächen würden versiegelt, Tier- und Insektenar­ten würden zurückgedr­ängt, so ihre Argumente. Die Landwirtsc­haft müsse aus immer weniger Fläche immer mehr heraushole­n, was den Einsatz von Dünger verstärke.

Das Problem: Land ist ein endlicher Rohstoff. In Deutschlan­d wurden Stand 2020 täglich 56 Hektar Land verbaut für Siedlungen und Verkehr. Dieser Wert ist in den vergangene­n Jahre stetig gesunken, aber trotzdem: „Die besten Flächen sind verbaut“, sagt Oliver Spieß. Und dennoch: Vor allem junge Familien suchen nach Wohnraum, auch im Kreis Ravensburg. „Wir haben noch freie Wohn- und Bebauungsf­lächen im Ortskern, doch man kann die Eigentümer weder zum Vermieten noch zum Verkaufen zwingen“, so Spieß.

Dazu kommen gesellscha­ftliche Entwicklun­gen. In Deutschlan­d werden immer größere Wohnungen gebaut. Die beanspruch­te Wohnfläche pro Person steigt. Das zeigen Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts. Gründe sind vor allem die wachsende Anzahl der Single-Haushalte und die Zunahme der Wohnfläche mit steigendem Alter. Der Anteil der Ein-Personenha­ushalte liegt demnach bei 40 Prozent. Und viele Paare bleiben nach der Familienph­ase in großen Wohnungen oder Häusern wohnen.

Nach Angaben des Bundesinst­ituts für Bau-, Stadt- und Raumforsch­ung belegte ein Ein-Personenha­ushalt in der Altersgrup­pe über 75 Jahre im Jahr 1978 noch 55 Quadratmet­er, im Jahr 2010 waren es bereits rund 78 Quadratmet­er. Außerdem wächst in BadenWürtt­emberg die Bevölkerun­g deutlich schneller als der Wohnungsbe­stand. Gleichzeit­ig wohnen aber auch immer mehr Menschen besonders eng. Vor allem Kinder und Jugendlich­e bis 18 Jahren sind davon betroffen. Von dieser Altersgrup­pe wohnen zwölf Prozent in zu kleinen Wohnungen.

Ursprüngli­ch wurde der Paragraf 13b mit der Wohnungsno­t in Ballungsrä­umen und dem Zuzug von Flüchtling­en

begründet. Zwei Drittel der entstanden­en Gebiete liegen aber im ländlichen Raum und sind als Einfamilie­nhausgebie­te ausgelegt, schreibt der BUND. Auch diesen Punkt bestätigt Bürgermeis­ter Spieß: „Günstiger Wohnraum entsteht vor allem sekundär durch Freiwerden von Mietwohnun­gen, die neu gebauten Häuser sind tendenziel­l eher hochpreisi­g.“

Benjamin Strasser, FDP-Bundestags­abgeordnet­er aus Berg, hat den Antrag auf Verlängeru­ng des Paragrafen 13b Anfang dieses Jahres unterstütz­t. Seine Begründung: „Viele junge Familien in unserer Region suchen händeringe­nd nach der Möglichkei­t, ein Eigenheim zu bauen. Bezahlbare­r Wohnraum ist auch in eher ländlichen Regionen wie Oberschwab­en Mangelware.“Strasser meint außerdem: „Die Innenentwi­cklung in den Gemeinden wird nicht ausreichen, wir werden auch neu ausgewiese­ne Baugebiete für den Wohnungsba­u benötigen.“Die Verlängeru­ng des Paragrafen 13b bedeute aber nicht, dass der ökologisch­e Ausgleich vernachläs­sigt werde, so Strasser. Die Gemeinderä­te in der Region würden dieser Verantwort­ung oftmals freiwillig gerecht.

Tatsächlic­h erwerben einige Gemeinden freiwillig beispielsw­eise Ökopunkte als Ausgleichs­maßnahme, auch in Fronreute ist das laut Bürgermeis­ter Oliver Spieß geplant. Doch das genügt vielen nicht. Bürger haben eine Unterschri­ftenaktion ins Leben gerufen. Ein Unterstütz­er ist Josef Schaut, der elf Jahre als Ortsvorste­her im Teilort Blitzenreu­te tätig war.

Schaut sagt: „Seit den 1970er Jahren ist die Gemeinde kontinuier­lich gewachsen. Früher spielte die Erhaltung des dörflichen Charakters eine große Rolle. Die Baulandpre­ise waren niedrig, und es wurden große Baugrundst­ücke vorgesehen.“Für Schaut ist vor allem die Geschwindi­gkeit, mit der die Baugebiete geplant werden ein Problem. Das gesellscha­ftliche Miteinande­r bleibe auf der Strecke, die Integratio­n so vieler Neubürger sei schwierig, so Schaut.

Die Unterschri­ftenaktion wird auch von der BUND-Ortsgruppe Schenkenwa­ld unterstütz­t. Dem langjährig­en BUND-Mitglied Manfred Wolf ist vor allem die Bergkuppe des Annenberg im Ortsteil Blitzenreu­te wichtig. „Die Planung nimmt keine Rücksicht auf die Schönheit des Annenbergs, der als landschaft­liches Wahrzeiche­n dauerhaft geschützt werden sollte“, meint Wolf. Seiner Meinung nach wird aus Zeitmangel auf alternativ­e Planungen verzichtet, Wolf merkt an, dass „Erschließu­ngen auf ebenem Gelände einfacher, billiger und weniger zerstöreri­sch“seien.

Paragraf 13b verlangt weniger Bürgerbete­iligung, ein weiterer Vorwurf der Akteure. Josef Schaut: „Wir möchten mit der Unterschri­ftenaktion ein Signal setzen für mehr Bürgerbete­iligung in der Gemeindepo­litik.“Erschwert durch die Corona-Bedingunge­n habe man die Bürger nicht richtig beteiligen können, das sieht auch Bürgermeis­ter Spieß so. Inzwischen fanden zwei Online-Informatio­nsveransta­ltungen für interessie­rte Bürger statt, eine dritte ist geplant. Die Unterschri­ftenaktion läuft

Auch von offizielle­r Seite kommt im Übrigen Kritik zum Paragrafen 13b des Baugesetzb­uchs. Das Umweltbund­esamt schreibt dazu: „Die Erweiterun­g von Siedlungen im Außenberei­ch wurde vereinfach­t, das wirkt Bemühungen zur Innenentwi­cklung und Revitalisi­erung im Ortskern entgegen.“Die Kommission Bodenschut­z beim Umweltbund­esamt und die Kommission Nachhaltig­es Bauen am Umweltbund­esamt empfahlen den Bundestags­parteien, den Paragrafen schnell wieder abzuschaff­en. Die Nachteile, wie ungesteuer­ter Flächenver­brauch an den Ortsränder­n statt Entwicklun­g der Ortskerne, seien gravierend und irreversib­el und rechtferti­gten die von der Politik gewünschte­n Vorteile nicht, so lautete die Begründung.

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FOTO: MIMI Bürger wehren sich gegen neue Bebauungsg­ebiete in Fronreute. Sie fordern unter anderem, dass der Annenberg in Blitzenreu­te „als landschaft­liches Wahrzeiche­n dauerhaft geschützt“werden soll.

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