Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Bau-Boom stößt auf Widerstand
In Fronreute wehren sich Bürger gegen sechs Neubaugebiete
FRONREUTE - Sechs neue Baugebiete sollen in Fronreute entstehen. Das könnte bis zu 20 Prozent mehr Einwohner für die knapp 5000 Einwohner zählende Gemeinde bedeuten. Mit einer Unterschriftenaktion möchten Fronreuter Bürger die Planungen der Gemeindeverwaltung zumindest verlangsamen. Auch ein landschaftliches Wahrzeichen spielt dabei eine Rolle.
In Fronreute verteilen sich knapp 5000 Einwohner auf eine Fläche von 4608 Hektar Land. Der neue Flächennutzungsplan, den Verwaltung und Gemeinderat aktuell beraten, weist für jeden der drei Teilorte zwei neue Baugebiete aus. Damit könnte sich die Einwohnerzahl um bis zu 20 Prozent erhöhen. Flächen von rund 17 Hektar Land sind für die Baugebiete vorgesehen, wovon aber nur maximal 7 bis 8 Hektar versiegelt werden sollen. Drei Hektar, das ist Bürgermeister Oliver Spieß wichtig zu betonen, sollen ökologisch sogar aufgewertet werden.
Erleichtert wird der Gemeindeverwaltung die Ausweisung der Baugebiete durch den Paragrafen 13b des Baugesetzbuchs. In einem Verfahren nach diesem Paragrafen ist keine Umweltprüfung notwendig. Es muss auch keinen Ausgleich für den Naturschutz geben. Das soll helfen, neuen Wohnraum zu schaffen. Die Bundesregierung setzte sich mit dem 2017 in Kraft gesetzten „Baumobilisierungsgesetz“zum Ziel, Bauland schneller zu aktivieren und damit mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Vor Kurzem ist diese Regelung bis 2022 verlängert worden, was für die Fronreuter Verwaltung den zeitlichen Druck herausnehme, so Spieß.
Auf der anderen Seite regt sich Widerstand: Vereine wie der Naturschutzbund (Nabu) und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) wie auch private Initiativen kämpfen um Artenschutz und ökologischen Ausgleich. Wertvolle Flächen würden versiegelt, Tier- und Insektenarten würden zurückgedrängt, so ihre Argumente. Die Landwirtschaft müsse aus immer weniger Fläche immer mehr herausholen, was den Einsatz von Dünger verstärke.
Das Problem: Land ist ein endlicher Rohstoff. In Deutschland wurden Stand 2020 täglich 56 Hektar Land verbaut für Siedlungen und Verkehr. Dieser Wert ist in den vergangenen Jahre stetig gesunken, aber trotzdem: „Die besten Flächen sind verbaut“, sagt Oliver Spieß. Und dennoch: Vor allem junge Familien suchen nach Wohnraum, auch im Kreis Ravensburg. „Wir haben noch freie Wohn- und Bebauungsflächen im Ortskern, doch man kann die Eigentümer weder zum Vermieten noch zum Verkaufen zwingen“, so Spieß.
Dazu kommen gesellschaftliche Entwicklungen. In Deutschland werden immer größere Wohnungen gebaut. Die beanspruchte Wohnfläche pro Person steigt. Das zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamts. Gründe sind vor allem die wachsende Anzahl der Single-Haushalte und die Zunahme der Wohnfläche mit steigendem Alter. Der Anteil der Ein-Personenhaushalte liegt demnach bei 40 Prozent. Und viele Paare bleiben nach der Familienphase in großen Wohnungen oder Häusern wohnen.
Nach Angaben des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung belegte ein Ein-Personenhaushalt in der Altersgruppe über 75 Jahre im Jahr 1978 noch 55 Quadratmeter, im Jahr 2010 waren es bereits rund 78 Quadratmeter. Außerdem wächst in BadenWürttemberg die Bevölkerung deutlich schneller als der Wohnungsbestand. Gleichzeitig wohnen aber auch immer mehr Menschen besonders eng. Vor allem Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren sind davon betroffen. Von dieser Altersgruppe wohnen zwölf Prozent in zu kleinen Wohnungen.
Ursprünglich wurde der Paragraf 13b mit der Wohnungsnot in Ballungsräumen und dem Zuzug von Flüchtlingen
begründet. Zwei Drittel der entstandenen Gebiete liegen aber im ländlichen Raum und sind als Einfamilienhausgebiete ausgelegt, schreibt der BUND. Auch diesen Punkt bestätigt Bürgermeister Spieß: „Günstiger Wohnraum entsteht vor allem sekundär durch Freiwerden von Mietwohnungen, die neu gebauten Häuser sind tendenziell eher hochpreisig.“
Benjamin Strasser, FDP-Bundestagsabgeordneter aus Berg, hat den Antrag auf Verlängerung des Paragrafen 13b Anfang dieses Jahres unterstützt. Seine Begründung: „Viele junge Familien in unserer Region suchen händeringend nach der Möglichkeit, ein Eigenheim zu bauen. Bezahlbarer Wohnraum ist auch in eher ländlichen Regionen wie Oberschwaben Mangelware.“Strasser meint außerdem: „Die Innenentwicklung in den Gemeinden wird nicht ausreichen, wir werden auch neu ausgewiesene Baugebiete für den Wohnungsbau benötigen.“Die Verlängerung des Paragrafen 13b bedeute aber nicht, dass der ökologische Ausgleich vernachlässigt werde, so Strasser. Die Gemeinderäte in der Region würden dieser Verantwortung oftmals freiwillig gerecht.
Tatsächlich erwerben einige Gemeinden freiwillig beispielsweise Ökopunkte als Ausgleichsmaßnahme, auch in Fronreute ist das laut Bürgermeister Oliver Spieß geplant. Doch das genügt vielen nicht. Bürger haben eine Unterschriftenaktion ins Leben gerufen. Ein Unterstützer ist Josef Schaut, der elf Jahre als Ortsvorsteher im Teilort Blitzenreute tätig war.
Schaut sagt: „Seit den 1970er Jahren ist die Gemeinde kontinuierlich gewachsen. Früher spielte die Erhaltung des dörflichen Charakters eine große Rolle. Die Baulandpreise waren niedrig, und es wurden große Baugrundstücke vorgesehen.“Für Schaut ist vor allem die Geschwindigkeit, mit der die Baugebiete geplant werden ein Problem. Das gesellschaftliche Miteinander bleibe auf der Strecke, die Integration so vieler Neubürger sei schwierig, so Schaut.
Die Unterschriftenaktion wird auch von der BUND-Ortsgruppe Schenkenwald unterstützt. Dem langjährigen BUND-Mitglied Manfred Wolf ist vor allem die Bergkuppe des Annenberg im Ortsteil Blitzenreute wichtig. „Die Planung nimmt keine Rücksicht auf die Schönheit des Annenbergs, der als landschaftliches Wahrzeichen dauerhaft geschützt werden sollte“, meint Wolf. Seiner Meinung nach wird aus Zeitmangel auf alternative Planungen verzichtet, Wolf merkt an, dass „Erschließungen auf ebenem Gelände einfacher, billiger und weniger zerstörerisch“seien.
Paragraf 13b verlangt weniger Bürgerbeteiligung, ein weiterer Vorwurf der Akteure. Josef Schaut: „Wir möchten mit der Unterschriftenaktion ein Signal setzen für mehr Bürgerbeteiligung in der Gemeindepolitik.“Erschwert durch die Corona-Bedingungen habe man die Bürger nicht richtig beteiligen können, das sieht auch Bürgermeister Spieß so. Inzwischen fanden zwei Online-Informationsveranstaltungen für interessierte Bürger statt, eine dritte ist geplant. Die Unterschriftenaktion läuft
Auch von offizieller Seite kommt im Übrigen Kritik zum Paragrafen 13b des Baugesetzbuchs. Das Umweltbundesamt schreibt dazu: „Die Erweiterung von Siedlungen im Außenbereich wurde vereinfacht, das wirkt Bemühungen zur Innenentwicklung und Revitalisierung im Ortskern entgegen.“Die Kommission Bodenschutz beim Umweltbundesamt und die Kommission Nachhaltiges Bauen am Umweltbundesamt empfahlen den Bundestagsparteien, den Paragrafen schnell wieder abzuschaffen. Die Nachteile, wie ungesteuerter Flächenverbrauch an den Ortsrändern statt Entwicklung der Ortskerne, seien gravierend und irreversibel und rechtfertigten die von der Politik gewünschten Vorteile nicht, so lautete die Begründung.