Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Arztpraxen sind an der Belastungsgrenze
Tausende stehen bei den Hausärzten in der Warteschlange für eine Corona-Impfung
FRIEDRICHSHAFEN - Dauerläutende Telefone, genervte Patienten, hoher Aufwand und fehlender Impfstoff – für die Hausarztpraxen wird die Impfkampagne zur Belastungsprobe. Ärzte aus dem Bodenseekreis berichten über die aktuelle Situation.
„Wir haben weiterhin viel mehr Anfragen als freie Termine“, sagte Dr. Karl-Josef Rosenstock, Arzt aus Tettnang und Pandemiebeauftragter der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) im Bodenseekreis. Die ImpfPriorisierung bei den Hausärzten ist zwar schon vor einigen Wochen weggefallen. Dennoch steht das Telefon kaum still. Dazu komme die Rückmeldung von den genervten Patienten, dass die Praxis schwer zu erreichen ist. Rosenstock hat mittlerweile einen Anrufbeantworter für Rezeptbestellungen geschaltet. Auch per E-Mail kann das jetzt erledigt werden. Dennoch: „Die Belastung ist hoch, wenn ständig das Telefon klingelt“. Mittlerweile seien es aber nur noch „wenige unangenehme Gespräche“, wie Rosenstock sagt. Vor einigen Wochen sei es schlimmer gewesen.
In der Gemeinschaftsparxis, die er zusammen mit Wieland Walter führt, werden weiterhin nur die eigenen Patienten geimpft. Rosenstock vermutet, dass das die überwiegende Mehrheit der Hausärzte so handhabt. „Weil der Impfstoff immer noch knapp ist.“Weiter bestellen die Ärzte am Dienstag den Impfstoff, den sie benötigen, und bekommen dann Ende der Woche die Auskunft, wie viel ihnen in der darauffolgenden Woche zugeteilt wird. An manchen Wochen habe das gut gepasst, sagt Rosenstock, „momentan ist es aber wieder sehr knapp“. Für die Zweitimpfungen sei der Impfstoff ausreichend, aber es werde auch nächste Woche nur wenige Erstimpfungen geben. Pro Arzt würden in der Regel zwischen zwölf und 30 Dosen Impfstoff pro Woche ausgegeben. Nur Biontech stehe den Ärzten aktuell zur Verfügung. Mit zwei Ärzten hatte seine Praxis aber auch schon einmal 140 Dosen zur Verfügung.
Laut einer Pressemitteilung der Kreisverwaltung sind es 138 Praxen im Bodenseekreis, die gegen Corona impfen. Darunter sind neben den Hausärzten auch Fachärzte wie Kinder
oder Frauenärzte. Ein schwieriges Thema sei derzeit noch, die Frage, ob Kinder zwischen zwölf und 16 Jahren geimpft werden sollen, sagt Rosenstock. Man halte sich momentan an die Empfehlung des Sozialministeriums, dass möglichst nur Kinder geimpft werden sollen, die besondere Risiken in Verbindung mit Corona haben. Rosenstock impft aktuell keine unter 16-Jährigen.
„Wir mussten vor Pfingsten einen Stopp einbauen“, sagt auch Dr. Marcus Schwandt, der mit drei Kollegen die Familienpraxis Kluftern führt. Bis zum 14. Juni gibt es keine neuen Termine mehr für Erstimpfungen. Das habe den Druck etwas rausgenommen. In der Praxis wurden auch für die nächsten Wochen und Monate schon Impftermine vergeben. Jedoch nur für die eigenen, rund 3000 Patienten der Praxis. Derzeit gibt es auch hier nur Zweitimpfungen, teilweise 200 an einem Tag. Ab kommender Woche rechnet Schwandt wieder mit einem Ansturm, wenn er die Terminvergabe wieder öffnet. Teilweise seien die Mitarbeiterinnen in der Vergangenheit beschimpft worden, berichtet der Mediziner. „Das war nicht schön.“
Dadurch, dass vier Ärzte in der Praxis arbeiten, bekommt man hier relativ viel Impfstoff. Dennoch ist es oft zu wenig. Wenn die Rückmeldung gegen Ende der Woche kommt, wie viel Impfstoff kommt, müssen die Praxen ihre Termine überarbeiten. Teilweise müsse man Leuten absagen, einmal habe man 200 Leute zum Impfen einbestellen müssen. „Da sitzt man dann von morgens bis abends da“, sagt Schwandt. Wartelisten führt die Familienpraxis nicht mehr. „Das macht keinen Sinn“, sagt der Arzt. „Wir vergeben die Termine so, dass wir denken, dass es klappen könnte.“
Sorge macht Schwandt, dass das Thema Corona-Impfung zur Daueraufgabe für die Ärzte werden könnte und dass vielleicht schon im Herbst aufgefrischt werden muss. In der Praxis habe man in der Regel 800 bis 900 Grippeimpfungen zu bewältigen. „Das wird nicht funktionieren“, sagt der Arzt. Gerade, da mit der Corona-Impfung ein hoher logistischer und organisatorischer Aufwand verbunden sei. „Es ist unsere Aufgabe, wir wollen das auch machen“, sagt Schwandt zum Thema, der aber gleichzeitig vor einer Überlastung der Praxen warnt. „Die Patienten sind sehr dankbar, mein Team und ich nehmen die Mehrarbeit daher gerne auf uns“, sagt Dr. Katrin Wiesener, die eine Hausarztpraxis in Immenstaad führt. Sie versucht die Patienten schon im Vorfeld der Impfung gut aufzuklären, so dass sich der Aufwand beim Impfen dann reduziert. Frustrierend ist aus ihrer Sicht, dass seitens der Politik zu wenig organisiert werde. „Die Probleme werden auf die Ausführenden abgewälzt“, sagt sie. Es würden Versprechungen gemacht, von denen man schon vorher wisse, dass sie nicht gehalten werden könnten. „Am Tag, als die Impfpriorisierung fiel, hatten wir 350 unbeantwortete Anrufe“, sagt Wiesener. Obwohl zwei Medizinische Fachangestellte durchgehend telefonierten. Es tue weh, viele Patienten vertrösten und enttäuschen zu müssen.
Die Verzweiflung der Menschen werde dann oft am Empfang in den Praxen abgepuffert. „Die Arzthelferinnen, nicht nur in meiner Praxis, sind am Anschlag“, sagt Wiesener. „Wir verlängern die Sprechstunden und wir verkürzen die Mittagspausen fürs Impfen.“