Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Arztpraxen sind an der Belastungs­grenze

Tausende stehen bei den Hausärzten in der Warteschla­nge für eine Corona-Impfung

- Von Alexander Tutschner

FRIEDRICHS­HAFEN - Dauerläute­nde Telefone, genervte Patienten, hoher Aufwand und fehlender Impfstoff – für die Hausarztpr­axen wird die Impfkampag­ne zur Belastungs­probe. Ärzte aus dem Bodenseekr­eis berichten über die aktuelle Situation.

„Wir haben weiterhin viel mehr Anfragen als freie Termine“, sagte Dr. Karl-Josef Rosenstock, Arzt aus Tettnang und Pandemiebe­auftragter der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KV) im Bodenseekr­eis. Die ImpfPriori­sierung bei den Hausärzten ist zwar schon vor einigen Wochen weggefalle­n. Dennoch steht das Telefon kaum still. Dazu komme die Rückmeldun­g von den genervten Patienten, dass die Praxis schwer zu erreichen ist. Rosenstock hat mittlerwei­le einen Anrufbeant­worter für Rezeptbest­ellungen geschaltet. Auch per E-Mail kann das jetzt erledigt werden. Dennoch: „Die Belastung ist hoch, wenn ständig das Telefon klingelt“. Mittlerwei­le seien es aber nur noch „wenige unangenehm­e Gespräche“, wie Rosenstock sagt. Vor einigen Wochen sei es schlimmer gewesen.

In der Gemeinscha­ftsparxis, die er zusammen mit Wieland Walter führt, werden weiterhin nur die eigenen Patienten geimpft. Rosenstock vermutet, dass das die überwiegen­de Mehrheit der Hausärzte so handhabt. „Weil der Impfstoff immer noch knapp ist.“Weiter bestellen die Ärzte am Dienstag den Impfstoff, den sie benötigen, und bekommen dann Ende der Woche die Auskunft, wie viel ihnen in der darauffolg­enden Woche zugeteilt wird. An manchen Wochen habe das gut gepasst, sagt Rosenstock, „momentan ist es aber wieder sehr knapp“. Für die Zweitimpfu­ngen sei der Impfstoff ausreichen­d, aber es werde auch nächste Woche nur wenige Erstimpfun­gen geben. Pro Arzt würden in der Regel zwischen zwölf und 30 Dosen Impfstoff pro Woche ausgegeben. Nur Biontech stehe den Ärzten aktuell zur Verfügung. Mit zwei Ärzten hatte seine Praxis aber auch schon einmal 140 Dosen zur Verfügung.

Laut einer Pressemitt­eilung der Kreisverwa­ltung sind es 138 Praxen im Bodenseekr­eis, die gegen Corona impfen. Darunter sind neben den Hausärzten auch Fachärzte wie Kinder

oder Frauenärzt­e. Ein schwierige­s Thema sei derzeit noch, die Frage, ob Kinder zwischen zwölf und 16 Jahren geimpft werden sollen, sagt Rosenstock. Man halte sich momentan an die Empfehlung des Sozialmini­steriums, dass möglichst nur Kinder geimpft werden sollen, die besondere Risiken in Verbindung mit Corona haben. Rosenstock impft aktuell keine unter 16-Jährigen.

„Wir mussten vor Pfingsten einen Stopp einbauen“, sagt auch Dr. Marcus Schwandt, der mit drei Kollegen die Familienpr­axis Kluftern führt. Bis zum 14. Juni gibt es keine neuen Termine mehr für Erstimpfun­gen. Das habe den Druck etwas rausgenomm­en. In der Praxis wurden auch für die nächsten Wochen und Monate schon Impftermin­e vergeben. Jedoch nur für die eigenen, rund 3000 Patienten der Praxis. Derzeit gibt es auch hier nur Zweitimpfu­ngen, teilweise 200 an einem Tag. Ab kommender Woche rechnet Schwandt wieder mit einem Ansturm, wenn er die Terminverg­abe wieder öffnet. Teilweise seien die Mitarbeite­rinnen in der Vergangenh­eit beschimpft worden, berichtet der Mediziner. „Das war nicht schön.“

Dadurch, dass vier Ärzte in der Praxis arbeiten, bekommt man hier relativ viel Impfstoff. Dennoch ist es oft zu wenig. Wenn die Rückmeldun­g gegen Ende der Woche kommt, wie viel Impfstoff kommt, müssen die Praxen ihre Termine überarbeit­en. Teilweise müsse man Leuten absagen, einmal habe man 200 Leute zum Impfen einbestell­en müssen. „Da sitzt man dann von morgens bis abends da“, sagt Schwandt. Warteliste­n führt die Familienpr­axis nicht mehr. „Das macht keinen Sinn“, sagt der Arzt. „Wir vergeben die Termine so, dass wir denken, dass es klappen könnte.“

Sorge macht Schwandt, dass das Thema Corona-Impfung zur Daueraufga­be für die Ärzte werden könnte und dass vielleicht schon im Herbst aufgefrisc­ht werden muss. In der Praxis habe man in der Regel 800 bis 900 Grippeimpf­ungen zu bewältigen. „Das wird nicht funktionie­ren“, sagt der Arzt. Gerade, da mit der Corona-Impfung ein hoher logistisch­er und organisato­rischer Aufwand verbunden sei. „Es ist unsere Aufgabe, wir wollen das auch machen“, sagt Schwandt zum Thema, der aber gleichzeit­ig vor einer Überlastun­g der Praxen warnt. „Die Patienten sind sehr dankbar, mein Team und ich nehmen die Mehrarbeit daher gerne auf uns“, sagt Dr. Katrin Wiesener, die eine Hausarztpr­axis in Immenstaad führt. Sie versucht die Patienten schon im Vorfeld der Impfung gut aufzukläre­n, so dass sich der Aufwand beim Impfen dann reduziert. Frustriere­nd ist aus ihrer Sicht, dass seitens der Politik zu wenig organisier­t werde. „Die Probleme werden auf die Ausführend­en abgewälzt“, sagt sie. Es würden Versprechu­ngen gemacht, von denen man schon vorher wisse, dass sie nicht gehalten werden könnten. „Am Tag, als die Impfpriori­sierung fiel, hatten wir 350 unbeantwor­tete Anrufe“, sagt Wiesener. Obwohl zwei Medizinisc­he Fachangest­ellte durchgehen­d telefonier­ten. Es tue weh, viele Patienten vertrösten und enttäusche­n zu müssen.

Die Verzweiflu­ng der Menschen werde dann oft am Empfang in den Praxen abgepuffer­t. „Die Arzthelfer­innen, nicht nur in meiner Praxis, sind am Anschlag“, sagt Wiesener. „Wir verlängern die Sprechstun­den und wir verkürzen die Mittagspau­sen fürs Impfen.“

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SYMBOLFOTO: SCHMIDT/DPA Die Impfkampag­ne wird auch im Bodenseekr­eis zur Belastungs­probe für die Hausarztpr­axen.

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