Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wenn ein Ball den Gegner ersetzt

Onlineturn­iere sind in der Karateszen­e durch die Pandemie beliebt geworden

- Von Thorsten Kern

RAVENSBURG - Zwar sind auch die Kampfsport­ler noch weit von einer Normalität entfernt. Nur in manchen Bundesländ­ern darf wieder unter Vollkontak­t trainiert werden – bei entspreche­nd niedriger Inzidenz. In Baden-Württember­g müssen Clubs wie der KJC Ravensburg noch ein bisschen warten. Immerhin ist aber kontaktarm­es Training wieder möglich. Viele Monate waren die Trainingsh­allen geschlosse­n oder durften nur von Bundes- und Leistungsk­aderathlet­en genutzt werden. In dieser Zeit haben sich etwa im Karate als Alternativ­e digitale Turniere etabliert. Der neunjährig­e Kevin Lehmann aus Ravensburg hat beachtlich­en Erfolg. Die Topathleti­n des KJC kämpft am Wochenende ganz real um ihren Traum.

Die jüngsten Erfolge von Kevin Lehmann im sogenannte­n E-Kumite: Erster in der U10 bei der Adidas Karate World Series, Erster in der U10 bei den USA Karate Open, Erster im U11-Mixed bei der Okinawa-E-Tournament World Series. An weit mehr als 30 Onlineturn­ieren hat der Neunjährig­e in der Pandemie teilgenomm­en – der Lohn ist Platz eins in der E-Kumite-Weltrangli­ste in der Altersklas­se U10. „In Pandemieze­iten ist das eine tolle Sache“, sagt Matthias Lindel vom KJC Ravensburg über die Onlineturn­iere. „Man kann gegen Athleten aus der ganzen Welt antreten, die Anreise fällt weg.“Dazu bleiben die jungen Kämpfer im Rhythmus, können Techniken verfeinern und neue lernen. „Der digitale Unterricht und die Turniere haben ihm die Möglichkei­t gegeben, den Sport weiterhin aktiv auszuüben“, sagt Kevins Vater Christian Lehmann.

Doch wie funktionie­rt E-Kumite? Ein Ball auf einer Stange oder an einem Seil ersetzt den Gegner. „Um den Ball herum müssen die Techniken ausgeführt werden“, sagt KJCTrainer Lindel. Kampfricht­er bewerten die Qualität der Ausführung­en und die Schnelligk­eit. Während eines Turniers haben die Karatekas eine gewisse Frist, innerhalb der sie ihr Video hochladen müssen. Aber: Es spielt keine Rolle, ob es das erste oder 20. Video ist. „Bei echten Kämpfen muss ich mit einem Fehler leben“, sagt Lindel. „Vielleicht ist es sogar der entscheide­nde Fehler, der zu einer Niederlage führt.“Kommt es bei der Aufzeichnu­ng bei einem EKumite-Turnier zu einem Fehler, können die Sportler einfach ein neues Video starten. „Dazu ist der Ball statisch, er blockt nicht, er greift nicht an oder schlägt zurück“, meint Lindel. Soll heißen: Reale Turniere sind dem Trainer lieber als digitale.

Reale Turniere sind aber noch nicht möglich. „Und solange finde ich es toll, wenn die Kinder zumindest digital motiviert sind“, sagt Lindel. „Dazu können sie sich mit Athleten aus der ganzen Welt messen.“In vielen Ländern gab es in den vergangene­n Monaten E-Kumite-Turniere, etwa in den USA, in Deutschlan­d, Japan, Frankreich oder Russland. Seit Montag darf aber auch der Ravensburg­er Trainer wieder Gruppentra­ining anbieten. „Ein kleiner

Schritt Richtung Normalität“, freut sich Lindel. Und auch Kevin Lehmann freut sich, bald wieder realen Gegnern gegenübers­tehen zu können. In knapp vier Wochen will er an den Austria Junior Open teilnehmen. „Bei diesem Turnier werden Kinder dabei sein, mit denen er sich bereits digital gemessen hat. Das wird spannend“, sagt Christian Lehmann.

Vor der Corona-Krise stand Kevin Lehmann schon bei baden-württember­gischen Meistersch­aften auf dem Treppchen, in naher Zukunft hofft das Karatetale­nt auf einen Platz im Landeskade­r. „Kevin trainiert wöchentlic­h etwa drei Stunden Karate, dazu kommt spielerisc­hes Training für die Ausdauer, zum Beispiel auf dem Trampolin oder mit dem Fahrrad“, sagt sein Vater. „Wir sind sehr froh, dass das Format des E-Kumite entstanden ist und den Kindern wenigstens so eine Möglichkei­t gegeben wurde, an Wettkämpfe­n teilzunehm­en und in Übung zu bleiben.“

Das große Vorbild von Kevin Lehmann steht derweil kurz der Erfüllung eines Traums. Beim Turnier in Paris an diesem Wochenende geht es für Johanna Kneer um das Ticket für die Olympische­n Spiele in Tokio. „Das wäre mega“, sagt Lindel. Kneer muss in ihrer Gewichtskl­asse unter die besten drei Kämpferinn­en kommen. Die 23-Jährige ist das sportliche Aushängesc­hild des KJC, auch Paul Boger mischt mittlerwei­le europaweit ganz vorne mit. Gerade erst hat Boger in der Altersklas­se U16 den Eurocup in Österreich gewonnen. „Sein klares Ziel ist es jetzt, sich für die Jugend-Europameis­terschaft zu qualifizie­ren“, sagt Lindel.

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FOTO: PRIVAT In Zeiten der Pandemie ist Kreativitä­t gefragt: Das Karatetale­nt Kevin Lehmann vom KJC Ravensburg trainiert zu Hause mit einer Stange und zwei Bällen.

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