Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Gemeinden sollen es richten

Wie Grün-Schwarz den Kommunen mehr Verantwort­ung übertragen will

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Klimakrise und Wohnraumma­ngel: Das sind nur zwei von etlichen Problemen, vor denen die grün-schwarze Landesregi­erung steht. In ihrem Koalitions­vertrag hat sie konkrete Lösungsvor­schläge verankert. Auffällig an vielen Stellen: Nicht das Land selbst, sondern die Kommunen sollen unpopuläre Entscheidu­ngen treffen – etwa neue Gebühren zum Ausbau des öffentlich­en Nahverkehr­s oder eine Grundsteue­r C für unbebaute Grundstück­e erheben können. Schiebt das Land den Städten und Gemeinden den Schwarzen Peter zu? Nicht zwingend, sagen die Vertreter der Kommunen – fordern aber Geld vom Land für die Umsetzung.

Ein Beispiel: Die Regierungs­koalition aus Grünen und CDU will überall im Land Busse und Bahnen in einem engen Takt fahren sehen – von 5 Uhr früh bis Mitternach­t, in der Stadt ebenso wie auf dem Land. Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) nennt dies Mobilitäts­garantie. Das Land gibt den Kreisen zwar Geld für den Busverkehr, in aller Regel reicht das aber hinten und vorne nicht. Also sollen sie künftig einen Mobilitäts­pass einführen können, mitunter auch Nahverkehr­sabgabe genannt. Heißt: Die Kommune soll eine bestimmte Gruppe von Menschen zur Kasse bitten – etwa alle Bürger, nur Autofahrer, oder auch nur Kfz-Halter – und mit diesen neuen Gebühren den Nahverkehr ausbauen.

Das Land bestellt, die Kommunen sollen machen? „Die Städte und Gemeinden sind es gewohnt, im Rahmen des Subsidiari­tätsprinzi­p Entscheidu­ngen im Rahmen der kommunalen Selbstverw­altungshoh­eit zu treffen“, sagt Steffen Jäger, Präsident des Gemeindeta­gs. Subsidiari­tät heißt: Eine Aufgabe wird von der kleinsten Einheit ausgeführt. Erst wenn sie überforder­t ist, soll die nächsthöhe­re Einheit eingreifen. Der Konstanzer Verwaltung­swissensch­aftler Wolfgang Seibel bestätigt Jägers Einschätzu­ng. „Wir haben eine Arbeitstei­lung zwischen Bund und Ländern, die Kommunen sind dabei der wesentlich­e Verwaltung­sträger, mit dem wir als Bürgerinne­n und Bürger am direkteste­n in Berührung sind.“Wer also wenn nicht die Kommune sollte solche Entscheidu­ngen treffen, fragt er. „Darüber müssen sich Gemeinderä­te den Kopf zerbrechen.“Auch Alexis von Komorowski kann keinen grundlegen­d neuen Politiksti­l erkennen, wie er sagt. „Das Land ist schon immer viele Themen in Partnersch­aft mit der kommunalen Ebene angegangen – auch etwa in der Migrations­krise, oder auch jetzt in der Corona-Krise“, sagt der Hauptgesch­äftsführer des Landkreist­ags.

Gerade mit Blick auf den Mobilitäts­pass warnt Arne Pautsch indes vor einer möglichen Überforder­ung vor allem ländlicher Kommunen. Pautsch ist Professor für Öffentlich­es Recht und Kommunalwi­ssenschaft­en an der Verwaltung­shochschul­e Ludwigsbur­g. Er hinterfrag­t, ob das Land „die wichtige Aufgabe des Klimaschut­zes gerade bei der Stärkung des ÖPNV auf die falsche Ebene – die kommunale – verlagert“, wie er erklärt. „Insoweit liegt es nicht ganz fern, von einer Abwälzung auf die kommunalen Entscheidu­ngsträger zu sprechen.“

Das zeige sich auch an einem anderen Beispiel, so Pautsch. Der Bund hat die Obergrenze für Anwohnerpa­rken kassiert. Künftig sollen die Kommunen über die Höhe entscheide­n – dafür braucht es noch eine Verordnung vom Land. Für viele Kommunen dürfte es seiner Ansicht nach „eher Last als Lust“sein, die Gebühren zu erhöhen. „Ungeachtet aller rechtliche­n Aspekte dürfte gelten, dass sich Klimaschut­z und die damit verbundene Verdrängun­g des privaten Pkw-Verkehrs aus den Innenstädt­en oder Innenberei­chen der Gemeinden nicht mit der Brechstang­e durchsetze­n lässt. Ich halte jedenfalls diesen Ansatz für eine Fehlsteuer­ung, die die Kommunen ausbaden müssen, sollten sie davon Gebrauch machen.“Eine massive Erhöhung der Gebühren bezeichnet er als unsozial. „Und: Der Schwarze Peter dürfte dann wohl bei den Kommunen liegen.“

Die kommunalen Spitzenver­bände wehren sich nicht kategorisc­h dagegen, solche Verantwort­ung zu übernehmen. Doch es gibt eine klare Forderung, die Steffen Jäger vom Gemeindeta­g so formuliert: „Gleichzeit­ig gilt es aber auch, dafür Sorge zu tragen, dass die Umsetzung belastende­r Maßnahmen, beispielsw­eise neuer Finanzieru­ngsinstrum­ente oder ordnungspo­litischer Maßnahmen, nicht einseitig auf die Kommunen abgewälzt werden.“Konkret heißt das: Die Kommunen fordern Geld vom Land. „Wir setzen jetzt darauf, dass der partnersch­aftliche Ansatz des Koalitions­vertrags seine Fortsetzun­g in der Gemeinsame­n Finanzkomm­ission findet“, sagt dazu Alexis von Komorowski vom Landkreist­ag. Die Gemeinsame Finanzkomm­ission ist das Gremium, in dem die Kommunalve­rbände mit dem Land ums Geld verhandeln. Die erste Sitzung der neuen Legislatur­periode ist laut Finanzmini­sterium für Juli geplant.

Mehr Geld für die Kommunen in Zeiten klammer Landeskass­en? Die Regierung rechnet in den kommenden Jahren mit einem Defizit von rund drei Milliarden Euro. Vor allem neu aufgenomme­ne Schulden zum Abfedern von Corona-Härten und gesunkene Steuereinn­ahmen schlagen zu Buche. Gudrun Heute-Bluhm, geschäftsf­ührendes Vorstandsm­itglied im Städtetag, hat eine Idee, wie das Land und die Kommunen dennoch mehr Geld haben könnten: neue Schulden aufnehmen. Die Klimakrise sei nichts anderes als eine Naturkatas­trophe. Für solche Fälle könnten neue Kredite aufgenomme­n werden – die Schuldenbr­emse des Landes sieht diese Ausnahme vor. „Mit solchem Geld könnte ein Ausbau des ÖPNV oder auch kommunale Wärmenetze, die ja vom Land vorgegeben sind, finanziert werden“, sagt Heute-Bluhm.

Solche Kredite könne aber nur das Land aufnehmen, nicht die Kommunen, so Heute-Bluhm. Die Kommunen könnten sich indes partnersch­aftlich daran beteiligen, die Kredite zurückzuza­hlen. „Wir haben in der Pandemie gelernt, dass wir gemeinsam viel hinbekomme­n können. Das sollten wir beibehalte­n und vom Ziel her denken.“

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FOTO: AXEL HEIMKEN/DPA Der Bund hat die Obergrenze für Kosten des Anwohnerpa­rkens kassiert. Künftig sollen die Kommunen über die Höhe der Gebühren entscheide­n – dafür braucht es noch eine Verordnung vom Land.

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