Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Schwere Vorwürfe gegen Ermittler

Opposition sieht Versäumnis­se rund um islamistis­ches Attentat am Breitschei­dplatz

- Von Dominik Guggemos

BERLIN - Der Islamist Anis Amri hat 2016 zwölf Menschen getötet. FDP, Grüne und Linke haben jetzt ihr Fazit aus dem Untersuchu­ngsausschu­ss präsentier­t. Regierung und Sicherheit­sbehörden hätten versagt.

„Die Bundesregi­erung“, sagt Benjamin Strasser, „muss ihr Versagen den Opfern im Parlament erklären.“Strasser ist FDP-Obmann im Untersuchu­ngsausschu­ss, der den Anschlag auf den Berliner Breitschei­dplatz durch den Islamisten Anis Amri im Dezember 2016 aufgearbei­tet hat. Die Opposition aus FDP, Grünen und Linken hat am Freitag ein gemeinsame­s Sondervotu­m zum Abschlussb­ericht vorgestell­t, der am 24. Juni im Bundestags diskutiert werden soll. Dazu hat Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) Hinterblie­bene der zwölf Todesopfer eingeladen, 67 weitere Menschen wurden bei dem Attentat verletzt.

In der Debatte dürfte es hoch hergehen, denn die Opposition greift sowohl das Verhalten der schwarz-roten Koalition wie auch die Strukturen in den Sicherheit­sbehörden scharf an. Strasser kritisiert, dass fast die identische­n Fehler wie beim „Staatsvers­agen-NSU-Komplex“gemacht worden seien – also wie bei den Pannen bei den Ermittlung­en gegen die rechtsextr­emistische Terrorzell­e und deren Morde an Migranten. „Ein alarmieren­der Befund“, so Strasser.

Martina Renner (Linke) kritisiert Willkür der Regierung bei der Akteneinsi­cht. Die Sicherheit­sbehörden griff sie gleich doppelt an: Zum einen fehle es an Wissen, wie dschihadis­tische Gruppen funktionie­ren.

Zum anderen hätten die Geheimdien­ste schlicht rechtswidr­ig gehandelt, auch nach dem Anschlag, weil sie dem Generalbun­desanwalt, der die Ermittlung­en führt, Informatio­nen nicht vorgelegt hätten.

Für die Grüne Irene Mihalic hat der Untersuchu­ngsausschu­ss vor allem eines gezeigt: „Es lag nicht an mangelnden rechtliche­n Grundlagen, sondern an einer Fehleinsch­ätzung der Gefahr.“Von der These, dass Amri ein Einzeltäte­r gewesen sei, hält Mihalic überhaupt nichts. Der Attentäter habe am Tag der Tat noch drei Stunden mit zwei polizeibek­annten Islamisten verkehrt. Einen davon habe die Polizei später sogar am Tatort angetroffe­n. Zugleich gebe es unbekannte DNA-Spuren in dem Lkw, mit dem Amri über den Breitschei­dplatz fuhr und die Menschen tötete. „Das sind“, sagt Mihalic, „Versäumnis­se der polizeilic­hen Ermittlung­sarbeit.“

Was für Konsequenz­en zieht die Opposition aus den Fehlern, die sie aufzeigt? Die FDP wünscht sich einen parlamenta­rischen Nachrichte­ndienst-Beauftragt­en mit einem eigenen Mitarbeite­rstab, der unangekünd­igt Behörden kontrollie­ren kann. „Damit das Parlament“, sagt Strasser, „eingreifen kann, bevor etwas passiert.“Die Linke fordert die Pflicht zur besseren Dokumentat­ion und Zusammenar­beit zwischen den Behörden. Von den Grünen kommt die Forderung nach einer grundlegen­den Reform des Verfassung­sschutzes, der ein gefährlich­es Eigenleben kultiviert habe.

Betont einig ist sich die Opposition darin, dass der Umgang mit den Hinterblie­benen besser werden müsse. Konkret soll die Koordinier­ungsstelle Noah nicht mehr nur Opfern von Terroransc­hlägen im Ausland helfen, sondern auch hierzuland­e.

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ARCHIVFOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA Zwölf Menschen wurden Opfer des Anschlags am Breitschei­dplatz 2016. Nun gibt es Vorwürfe gegen die Ermittler.

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