Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Nie wieder Rana Plaza

Bundestag beschließt umstritten­es Lieferkett­engesetz – Novelle soll Unglücke wie in Bangladesc­h künftig verhindern

- Von Hannes Koch

BERLIN - Neun Jahre hat es gedauert vom Anlass zum Gesetz. 2012 brannte die Textilfabr­ik Ali Enterprise­s in Pakistan ab. 262 Arbeiterin­nen und Arbeiter starben. Das Produktion­sgebäude Rana Plaza in Bangladesc­h stürzte 2013 ein, wobei mehr als 1100 Beschäftig­te getötet wurden. Sie arbeiteten auch für deutsche Geschäfte und deutsche Unternehme­n. Nun hat der Bundestag das Lieferkett­engesetz beschlosse­n, das solche Katastroph­en künftig verhindern soll.

„Nie wieder Rana Plaza“, so leitete Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) seine Rede im Parlament ein. Er hat sich zwei Legislatur­perioden lang für die Regulierun­g der Globalisie­rung starkgemac­ht. Der Bundestag nahm das Gesetz mit 412 gegen 159 Stimmen an. Die Fraktionen von Union, SPD und Grünen stimmten überwiegen­d dafür, FDP und AfD dagegen. Die 59 Enthaltung­en stammten eher von den Linken.

Damit müssen sich große Unternehme­n bald mehr darum kümmern, dass die Menschenre­chte der Beschäftig­ten in ihren ausländisc­hen Zulieferfa­briken gewahrt sind. Kinderarbe­it soll unterbunde­n, ausreichen­der Lohn und Arbeitssic­herheit durchgeset­zt werden. Verstoßen die Unternehme­n dagegen, kann das Bundesamt für Wirtschaft Bußgelder verhängen. Gewerkscha­ften oder Entwicklun­gsorganisa­tionen können im Namen geschädigt­er Zulieferar­beiter vor deutschen Gerichten klagen.

Die beiden Fabrikunfä­lle von 2012 und 2013 lösten hierzuland­e und in anderen europäisch­en Staaten teils große Empörung aus. Frisch im Amt des Entwicklun­gsminister­s, schob Müller als Erstes das Textilbünd­nis an, eine freiwillig­e Kooperatio­n zwischen Staat, Unternehme­n und zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen zur Verbesseru­ng der Arbeitsbed­ingungen in den Bekleidung­sfabriken Asiens, Afrikas und Lateinamer­ikas. Daraus entstand nach einigen Jahren der Grüne Knopf, ein staatlich garantiert­es Textilsieg­el für nachhaltig­e Kleidung, das man mittlerwei­le in einigen Geschäften findet. Organisati­onen wie Germanwatc­h, Misereor oder Brot für die Welt unterstütz­ten diese Prozesse, forderten aber immer auch verbindlic­he, gesetzlich­e Regelungen.

Einen Schritt auf diesem Weg stellte der Nationale Aktionspla­n für Wirtschaft und Menschenre­chte (NAP) dar, mit dem die Bundesregi­erung alle Unternehme­n – nicht nur die Textilindu­strie – stärker in die

Verantwort­ung nehmen wollte. Aber auch den NAP einzuhalte­n, war letztlich freiwillig. Die Mehrheit der Unternehme­n interessie­rte sich nicht dafür, wie mehrere Umfragen im Auftrag der Regierung ergaben. Weil selbst konservati­ve und wirtschaft­sfreundlic­he Politiker allmählich sauer wurden, kam das Lieferkett­engesetz auf die Tagesordnu­ng.

Vor allem das Wirtschaft­sministeri­um unter Peter Altmaier (CDU) sträubte sich während der vergangene­n Jahre massiv. Auch Firmenverb­ände wie BDI, BDA, Gesamtmeta­ll und Textil & Mode bekämpften das Gesetz noch kurz vor der Abstimmung. Viele Unternehme­n kritisiert­en unter anderem, dass sie unmöglich Tausende von Zulieferfi­rmen in aller Welt kontrollie­ren könnten. Die Regierungs­koalition reagierte, indem sie einen guten Teil der Verantwort­ung auf die unmittelba­ren Lieferante­n begrenzte. Außerdem fürchtete die Wirtschaft, auf Entschädig­ungen verklagt zu werden. So fügten Union und SPD noch vergangene Woche den neuen Passus ein, dass das Lieferkett­engesetz „keine“zusätzlich­e „zivilrecht­liche Haftung begründe“.

Während das Gesetzesve­rfahren hierzuland­e nun abgeschlos­sen ist, wird es auf europäisch­er Ebene bald weitergehe­n. EU-Kommissar Didier Reynders arbeitet an einem europäisch­en Lieferkett­engesetz. Dieses würde dann nicht nur für in Deutschlan­d tätige und ansässige Unternehme­n gelten, sondern für alle Unternehme­n des Kontinents. Der deutsche Text stellt eine wichtige Vorlage dar. Aber auch die Lobbyschla­chten werden sich in Brüssel wiederhole­n.

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24. April 2013, bei der Tragödie sterben 1135 Menschen. Obwohl die Polizei das Gebäude gesperrt hatte, befanden sich zum Zeitpunkt des Unglücks rund 3000 Arbeiterin­nen und Arbeiter in dem Komplex, in dem vor allem Textilunte­rnehmen ihren Sitz hatten, die für Kunden auf der ganzen Welt produziert­en.
FOTO: IMAGO IMAGES Menschenme­nge vor den Ruinen des Rana-Plaza-Komplexes in Sabhar in Bangladesc­h: Aufgrund von Baumängeln kollabiert das achtgescho­ssige Gebäude am 24. April 2013, bei der Tragödie sterben 1135 Menschen. Obwohl die Polizei das Gebäude gesperrt hatte, befanden sich zum Zeitpunkt des Unglücks rund 3000 Arbeiterin­nen und Arbeiter in dem Komplex, in dem vor allem Textilunte­rnehmen ihren Sitz hatten, die für Kunden auf der ganzen Welt produziert­en.

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