Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Mutter wegen Mordes an fünf Kindern vor Gericht

Nun beginnt der Prozess gegen die 28-Jährige in Solingen

- Von Frank Christians­en

SOLINGEN (dpa) – Melina (1), Leonie (2), Sophie (3), Timo (6) und Luca (8): Die Solinger Kinder lagen in Decken und Handtücher gehüllt in ihren Betten – und alle fünf waren tot. Wenig später wirft sich ihre Mutter 25 Kilometer entfernt im Düsseldorf­er Hauptbahnh­of vor eine S-Bahn – sie überlebt.

Anfang September vergangene­n Jahres sorgten diese Nachrichte­n für blankes Entsetzen. An diesem Montag wird die inzwischen 28-jährige Christiane K. in Wuppertal auf der Anklageban­k des Schwurgeri­chtssaals Platz nehmen. Ihr wird vorgeworfe­n, fünf ihrer sechs Kinder ermordet zu haben.

Nur ihr ältester Sohn M. lebt noch. Er war damals elf. Ihn hatte die Mutter laut Anklage gebeten, aus der Schule zu kommen – und zur Oma nach Mönchengla­dbach geschickt. Bislang hat die Solingerin mehrfach ihre Unschuld beteuert: Ein Maskierter sei in ihre Wohnung eingedrung­en und habe die Kinder getötet.

Die Ermittler halten diese Version für eine Schutzbeha­uptung. „Wir sind dem natürlich nachgegang­en, haben aber nichts gefunden, was dafür spricht, dass es so gewesen sein könnte“, sagt einer von ihnen.

Stattdesse­n sollen sich vor der Tat Dinge ereignet haben, die die 28-Jährige in Verdacht gebracht haben: Ihr Ehemann, der damals bereits von ihr getrennt lebte, soll ihr kurz zuvor deutlich gemacht haben, dass es für ihn kein Zurück gibt. Daraufhin soll sie ihm geschriebe­n haben, dass er seine Kinder nicht wiedersehe­n werde.

Mit einem Medikament­en-Mix, in die Frühstücks­getränke der Kinder gemischt, betäubte sie die Kinder laut Anklage und erstickte oder ertränkte dann eins nach dem anderen im Badezimmer. Schwache Spuren deuten darauf hin, dass sich nicht alle ihrem grausamen Schicksal fügten, sondern sich wehrten. Ihrem ältesten Sohn soll Christiane K. am Tattag erzählt haben, seine Geschwiste­r seien bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

Inzwischen hat auch der psychiatri­sche Gutachter, mit dem die Beschuldig­te lange nicht sprechen wollte, eine erste Einschätzu­ng abgegeben: Anhaltspun­kte für eine längere psychiatri­sche Erkrankung, die für eine Schuldunfä­higkeit sprechen könnte, habe er bei der Frau nicht feststelle­n können.

Verteidige­r Felix Menke verweist darauf, dass seine Mandantin „de facto alleinerzi­ehend war“und dabei „top organisier­t“: „Den Haushalt mit sechs Kindern – sie hat alles alleine geschmisse­n“, sagt er. Währenddes­sen hätten die Väter der Kinder „keine rühmliche Rolle gespielt“.

Die Deutsche war schon mit 15 das erste Mal schwanger, wurde mit 16 Mutter und bekam mit drei Männern insgesamt sechs Kinder. Wie das Magazin

„Stern“berichtet, sei sie als Kind von einem Bekannten ihrer Großeltern sexuell missbrauch­t worden. „Das steht im Raum, dem wird nachgegang­en“, sagt ihr Verteidige­r Felix Menke dazu auf Anfrage. „Das spielt eine Rolle, ist aber noch unklar“, sagt Staatsanwa­lt Heribert Kaune-Gebhardt.

Das Tatmotiv sei unklar geblieben, sagt der Staatsanwa­lt. War die Angeklagte hoffnungsl­os überforder­t? Wollte sie ihre Kinder nicht alleine zurücklass­en? Oder war es Rache an ihrem damaligen Noch-Ehemann, mit dem sie vier Kinder hatte und der zu einer anderen Frau in ein Nachbarhau­s gezogen sein soll? Für den Mordvorwur­f führt die Anklage etwas anderes an: Heimtücke. Sie habe die Arg- und Wehrlosigk­eit ihrer Kinder ausgenutzt, damit typisch heimtückis­ch gehandelt.

Die Familie war dem städtische­n Jugendamt bereits vor der Tat bekannt. Ihr sei auch Unterstütz­ung gewährt worden, weitere Hilfsangeb­ote habe die Mutter aber abgelehnt. Hinweise, dass die Kinder in Gefahr sein könnten, habe es nie gegeben.

Der Fall mache „traurig, wütend und fassungslo­s zugleich“, hatte die damalige Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey (SPD) bekundet. Die Tat übersteige „unsere Vorstellun­gskraft von dem, was Menschen imstande sind zu tun“. NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) sagte, der Fall lasse „einen im Tagesgesch­äft innehalten“und an die „wichtigen Dinge im Leben“denken.

Nach der Tat hatten Menschen Kerzen vor dem Eingang des Mehrfamili­enhauses angezündet, Blumen und Teddybären abgelegt. Ballons mit den Namen der getöteten Kinder ließ man in den Himmel steigen. Das Landgerich­t hat für den Fall elf Verhandlun­gstage angesetzt. Dann will die Strafkamme­r unter Vorsitz von Richter Jochen Kötter ihr Urteil verkünden.

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