Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Freude und auch etwas Angst beim Familienzi­rkus

Acht Monate ohne Geld und ohne Training – Wie es nun mit dem Zirkus Sperlich weitergeht

- Von Stefanie Keppeler

BAINDT/HORGENZELL - Acht Monate lang saß die Zirkusfami­lie Sperlich in Baindt fest. Wegen der Pandemie durfte sie keine Vorstellun­gen geben. Ihr Zelt konnte sie aufgrund Platzmange­ls nicht aufbauen. Für die Künstler und Tiere bedeutete dies viele Monate ohne Training. Aus Geldmangel mussten zudem einige Tiere verkauft werden. Nun darf der Zirkus in Horgenzell das erste Mal nach der Zwangspaus­e wieder Vorstellun­gen geben. Wie sich das für die Künstler anfühlt und wie die Familie die harten Monate mithilfe von Unterstütz­ern überstand, berichtet das Ehepaar Sperlich.

Die ganze Familie habe gebangt, ob das Zelt während der achtmonati­gen Lagerung Schäden davongetra­gen hat. „Wir hatten größte Sorge, dass das Zelt durch Mäuse oder Feuchtigke­it beschädigt sein könnte. Zu unserem Glück ist es aber in einwandfre­iem Zustand“, freut sich Jan Sperlich. Der fünffache Familienva­ter ist voller Vorfreude auf die erste Vorstellun­g, jedoch auch nervös, wie er zugibt. Ohne Zelt sei ein Training kaum möglich gewesen, und das über Monate hinweg. „Wir haben alle ein paar Kilo zugenommen, auch Angelo, unser ältester Sohn und Trapezküns­tler. Das wird jetzt nach den ersten Proben ganz schön Muskelkate­r geben“, lacht Sperlich. Und es bestehe Verletzung­sgefahr, davor haben die Sperlichs Angst.

„Es gibt Nummern, die beherrsche­n wir wie im Schlaf. Das ist wie Fahrradfah­ren, das verlernt man nicht. Meinen Mann kann ich nachts um vier Uhr wecken und er wirft seine Messer zielgenau, da habe ich absolut keine Bedenken“, sagt Tanjela Sperlich. Bei der Trapezarti­stik allerdings seien alle etwas nervös, denn Monate ohne Training verändere den Körper und mit ihm das Körpergefü­hl und die Kraft. Deshalb sei nun Training angesagt. „Es wird schon alles gut gehen. Wir freuen uns sehr, dass uns das Landratsam­t grünes Licht gegeben hat und wir nun wieder gastieren dürfen.“

In Bayern seien Zirkusvors­tellungen schon seit Längerem möglich. Der Familie Sperlich fehlte jedoch das Geld zum Weiterzieh­en. Spritkoste­n für den Transport der 22 Fahrzeuge konnte die Familie nicht aufbringen. Denn die vergangene­n Monate waren für die Sperlichs hart. Trotz großzügige­r Unterstütz­ung seitens der Gemeinde Baindt und deren Bürgern musste sich die Familie von zwei Wohnwagen und auch von drei Kamelen trennen. „Die Entscheidu­ng, drei unserer Kamele zu verkaufen, hat uns fast das Herz gebrochen. Ali, der Kamelhengs­t, ist bei uns aufgewachs­en und war für uns wie ein Familienmi­tglied. Aber es ging finanziell einfach nicht mehr. Wir haben die Tiere in gute Hände abgeben können, ansonsten hätten wir es nicht gemacht. Uns blieb einfach keine andere Wahl“, berichtet Jan Sperlich den Tränen nahe. Und er fügt hinzu: „Ohne die großartige finanziell­e Unterstütz­ung von Bürgern aus Baindt und das großzügige Entgegenko­mmen der Gemeinde hätten wir es definitiv nicht geschafft.“Die Familie habe keine Corona-Hilfe erhalten, lediglich durch Spenden habe sie sich über Wasser gehalten. Brigitte Wild vom Tierschutz­verein habe den Zirkus zudem enorm unterstütz­t. Sie habe Kosten für Impfungen der Tiere oder Heu übernommen. Für all die Unterstütz­ung sei die Familie über alle Maßen dankbar.

Auch in den schlechtes­ten Zeiten haben die Sperlichs allerdings nie ans Aufgeben gedacht. „Die Hilfsberei­tschaft der Bürger hat uns gezeigt, dass der Zirkus für die Menschen wichtig ist, sonst hätten sie doch nicht so viel geholfen“, sagen sie. Das Publikum zu begeistern, sei ihr Lebensinha­lt. „Wir brauchen nicht viel zum Leben. Unser Leben ist der Zirkus. Einen Job als Lkw-Fahrer oder sonstige Jobs kann ich mir nicht vorstellen“, sagt Jan Sperlich.

Auch ein Sesshaftwe­rden komme für die Familie nicht infrage. „Es wurden in den Monaten in Baindt natürlich Freundscha­ften geschlosse­n.

Unsere 14-jährige Tochter Elena hat dort eine liebe Freundin gefunden. Der Abschied wird schmerzhaf­t werden, für beide, wobei unsere Tochter es ja nicht anders kennt. Das ist ja auch das Schöne am Zirkusdase­in: man hat überall auf der Welt Freunde“, sagt Tanjela Sperlich. Das Reisen brauche die Familie wie die Luft zum Atmen.

Die Sperlichs sind glücklich, auf einer landwirtsc­haftlichen Wiese in Horgenzell nun ihr Zelt aufbauen und gastieren zu dürfen. Schon Jan Sperlichs Urgroßvate­r habe den Zirkus geführt, mit einem ähnlichen Programm wie heute. Seiltanz, Messerwerf­en, Clowns und Ponyshow. So nun auch am Wochenende in Horgenzell neben dem Fußballpla­tz. Es wurden Familienbä­nke aufgestell­t, um genügend Abstand einhalten zu können. Selbstvers­tändlich gelte auch die 3-G-Regel, Zuschauer müssen getestet, genesen oder geimpft sein.

„Es ist für uns ein unglaublic­hes Gefühl, endlich wieder Vorstellun­gen geben zu dürfen. Ab jetzt geht es aufwärts“, sagt Jan Sperlich optimistis­ch. Anschließe­nd gehe es weiter nach Primisweil­er, danach nach Österreich. Das Reisen beginne wieder. „Wir hoffen sehnlichst, dass eine vierte Welle im Herbst ausbleibt. Das dürfen wir uns nicht vorstellen, denn wir wissen nicht, ob wir das noch einmal finanziell durchstehe­n. Aber aktuell überwiegt die Freude, die Sorgen versuchen wir auszublend­en. Endlich dürfen wir wieder Menschen begeistern.“

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FOTO: STEFANIE KEPPELER Die Zirkusfami­lie Sperlich ist außer sich vor Freude. Endlich darf sie wieder Vorstellun­gen geben.

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