Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Freude und auch etwas Angst beim Familienzirkus
Acht Monate ohne Geld und ohne Training – Wie es nun mit dem Zirkus Sperlich weitergeht
BAINDT/HORGENZELL - Acht Monate lang saß die Zirkusfamilie Sperlich in Baindt fest. Wegen der Pandemie durfte sie keine Vorstellungen geben. Ihr Zelt konnte sie aufgrund Platzmangels nicht aufbauen. Für die Künstler und Tiere bedeutete dies viele Monate ohne Training. Aus Geldmangel mussten zudem einige Tiere verkauft werden. Nun darf der Zirkus in Horgenzell das erste Mal nach der Zwangspause wieder Vorstellungen geben. Wie sich das für die Künstler anfühlt und wie die Familie die harten Monate mithilfe von Unterstützern überstand, berichtet das Ehepaar Sperlich.
Die ganze Familie habe gebangt, ob das Zelt während der achtmonatigen Lagerung Schäden davongetragen hat. „Wir hatten größte Sorge, dass das Zelt durch Mäuse oder Feuchtigkeit beschädigt sein könnte. Zu unserem Glück ist es aber in einwandfreiem Zustand“, freut sich Jan Sperlich. Der fünffache Familienvater ist voller Vorfreude auf die erste Vorstellung, jedoch auch nervös, wie er zugibt. Ohne Zelt sei ein Training kaum möglich gewesen, und das über Monate hinweg. „Wir haben alle ein paar Kilo zugenommen, auch Angelo, unser ältester Sohn und Trapezkünstler. Das wird jetzt nach den ersten Proben ganz schön Muskelkater geben“, lacht Sperlich. Und es bestehe Verletzungsgefahr, davor haben die Sperlichs Angst.
„Es gibt Nummern, die beherrschen wir wie im Schlaf. Das ist wie Fahrradfahren, das verlernt man nicht. Meinen Mann kann ich nachts um vier Uhr wecken und er wirft seine Messer zielgenau, da habe ich absolut keine Bedenken“, sagt Tanjela Sperlich. Bei der Trapezartistik allerdings seien alle etwas nervös, denn Monate ohne Training verändere den Körper und mit ihm das Körpergefühl und die Kraft. Deshalb sei nun Training angesagt. „Es wird schon alles gut gehen. Wir freuen uns sehr, dass uns das Landratsamt grünes Licht gegeben hat und wir nun wieder gastieren dürfen.“
In Bayern seien Zirkusvorstellungen schon seit Längerem möglich. Der Familie Sperlich fehlte jedoch das Geld zum Weiterziehen. Spritkosten für den Transport der 22 Fahrzeuge konnte die Familie nicht aufbringen. Denn die vergangenen Monate waren für die Sperlichs hart. Trotz großzügiger Unterstützung seitens der Gemeinde Baindt und deren Bürgern musste sich die Familie von zwei Wohnwagen und auch von drei Kamelen trennen. „Die Entscheidung, drei unserer Kamele zu verkaufen, hat uns fast das Herz gebrochen. Ali, der Kamelhengst, ist bei uns aufgewachsen und war für uns wie ein Familienmitglied. Aber es ging finanziell einfach nicht mehr. Wir haben die Tiere in gute Hände abgeben können, ansonsten hätten wir es nicht gemacht. Uns blieb einfach keine andere Wahl“, berichtet Jan Sperlich den Tränen nahe. Und er fügt hinzu: „Ohne die großartige finanzielle Unterstützung von Bürgern aus Baindt und das großzügige Entgegenkommen der Gemeinde hätten wir es definitiv nicht geschafft.“Die Familie habe keine Corona-Hilfe erhalten, lediglich durch Spenden habe sie sich über Wasser gehalten. Brigitte Wild vom Tierschutzverein habe den Zirkus zudem enorm unterstützt. Sie habe Kosten für Impfungen der Tiere oder Heu übernommen. Für all die Unterstützung sei die Familie über alle Maßen dankbar.
Auch in den schlechtesten Zeiten haben die Sperlichs allerdings nie ans Aufgeben gedacht. „Die Hilfsbereitschaft der Bürger hat uns gezeigt, dass der Zirkus für die Menschen wichtig ist, sonst hätten sie doch nicht so viel geholfen“, sagen sie. Das Publikum zu begeistern, sei ihr Lebensinhalt. „Wir brauchen nicht viel zum Leben. Unser Leben ist der Zirkus. Einen Job als Lkw-Fahrer oder sonstige Jobs kann ich mir nicht vorstellen“, sagt Jan Sperlich.
Auch ein Sesshaftwerden komme für die Familie nicht infrage. „Es wurden in den Monaten in Baindt natürlich Freundschaften geschlossen.
Unsere 14-jährige Tochter Elena hat dort eine liebe Freundin gefunden. Der Abschied wird schmerzhaft werden, für beide, wobei unsere Tochter es ja nicht anders kennt. Das ist ja auch das Schöne am Zirkusdasein: man hat überall auf der Welt Freunde“, sagt Tanjela Sperlich. Das Reisen brauche die Familie wie die Luft zum Atmen.
Die Sperlichs sind glücklich, auf einer landwirtschaftlichen Wiese in Horgenzell nun ihr Zelt aufbauen und gastieren zu dürfen. Schon Jan Sperlichs Urgroßvater habe den Zirkus geführt, mit einem ähnlichen Programm wie heute. Seiltanz, Messerwerfen, Clowns und Ponyshow. So nun auch am Wochenende in Horgenzell neben dem Fußballplatz. Es wurden Familienbänke aufgestellt, um genügend Abstand einhalten zu können. Selbstverständlich gelte auch die 3-G-Regel, Zuschauer müssen getestet, genesen oder geimpft sein.
„Es ist für uns ein unglaubliches Gefühl, endlich wieder Vorstellungen geben zu dürfen. Ab jetzt geht es aufwärts“, sagt Jan Sperlich optimistisch. Anschließend gehe es weiter nach Primisweiler, danach nach Österreich. Das Reisen beginne wieder. „Wir hoffen sehnlichst, dass eine vierte Welle im Herbst ausbleibt. Das dürfen wir uns nicht vorstellen, denn wir wissen nicht, ob wir das noch einmal finanziell durchstehen. Aber aktuell überwiegt die Freude, die Sorgen versuchen wir auszublenden. Endlich dürfen wir wieder Menschen begeistern.“