Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Zverev verpasst nach Krimi das Finale
Fluch gegen Topspieler geht bei den French Open weiter – Tsitsipas fordert Djokovic
PARIS (SID) - Alexander Zverev war nach dreieinhalb Stunden beherztem Kampf untröstlich. „Wenn mich die nächsten drei Tage jemand anspricht, gehe ich weg. Viel sprechen darüber werde ich wahrscheinlich nicht“, sagte der deutsche Topspieler wenige Minuten, nachdem sein großer Traum vom ersten Grand-SlamTriumph bei den French Open erneut geplatzt war. Der 24 Jahre alte Hamburger kassierte in einem echten Halbfinalkrimi eine bittere 3:6, 3:6, 6:4, 6:4, 3:6-Niederlage gegen den Griechen Stefanos Tsitsipas und ließ die Chance auf sein zweites MajorFinale aus. Zverev übte sich direkt danach in schonungsloser Selbstkritik. „Ich kann nicht gegen einen TopTen-Spieler die ersten beiden Sätze so spielen. Er ist jetzt im Finale, ich nicht“, sagte der Weltranglistensechste. „Am Ende des Tages ist es meine Schuld.“
Statt Zverev, der bei den US Open 2020 den Titelgewinn nur knapp verpasst hatte, trifft nun Tsitsipas in seinem ersten Grand-Slam-Finale am Sonntag (15 Uhr/Eurosport und ServusTV) auf den Weltranglistenersten Novak Djokovic, der in einem sensationellen Abendmatch den 13-maligen Titelträger Rafael Nadal mit 3:6, 6:3, 7:6 (7:4), 6:2 ausschaltete. Für Nadal war es bei 105 Siegen erst die dritte (!) Niederlage bei den French Open.
„Alles in allem geht der Sieg völlig in Ordnung“, sagte Boris Becker bei Eurosport: „Tsitsipas war über weite Strecken der aktivere und auch bessere Spieler.“Der bis dato letzte deutsche Profi im Finale von Roland Garros bleibt Michael Stich, der 1996 das Endspiel gegen den Russen Jewgeni Kafelnikow verlor.
Für die deutsche Nummer 1 setzte sich mit der schwer zu verdauenden Niederlage ein Fluch fort: Es bleibt dabei, dass Zverev bei Grand Slams Top-Ten-Spieler nicht schlagen kann. Auch im zehnten Versuch klappte es nicht. „Solche Statistiken interessieren mich nicht. Ich weiß, zu was ich fähig bin“, hatte Zverev vor dem Match gesagt. Gleichzeitig wusste er um die Schwierigkeit der
Aufgabe. Tsitsipas ging mit 38 Siegen als klar erfolgreichster Profi der bisherigen Saison in das Match – und mit dem Selbstvertrauen aus dem deutlichen Viertelfinalerfolg gegen den Weltranglistenzweiten Daniil Medwedew (Russland).
„Seine positive Arroganz gefällt mir“, sagte Becker – und die zeigte der 22-Jährige auch in den ersten beiden Sätzen.
Tsitsipas dominierte die Anfangsphase mit seiner starken Vorhand. Die deutsche Nummer 1 war lange zu passiv und musste den Durchgang nach 37 Minuten abhaken. Im zweiten Satz schenkte Zverev dann einen 3:0-Vorsprung fahrlässig her. „Er muss riskanter spielen“, sagte Becker. „Tsitsipas wird das Match nicht herschenken, das musst du dir in einem
Alexander Zverev
Halbfinale erarbeiten.“Zverev jedoch, dem bei den US Open 2020 nur zwei Punkte zum Sieg gefehlt hatten, gab sich noch lange nicht auf. Er animierte das Publikum zur Unterstützung nach dem Spielgewinn zum 3:1 im dritten Satz, legte sich wenig später mit dem Schiedsrichter an – und schnappte sich den Durchgang mit neuer Energie. Plötzlich spielte er seine volle Power aus und glich nach Sätzen aus. Der finale Durchgang war dann Drama pur. Tsitsipas schaffte das Break zum 3:1 und vergab vier Matchbälle – ließ sich den Finaleinzug dann aber nicht mehr nehmen.
„Wenn mich die nächsten drei Tage jemand anspricht, gehe ich weg.“