Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„In all den Jahren war das meine bisher schwierigste, weil emotionalste Übertragung“
Die Partie in Kopenhagen wird nach dem Schock um Christian Eriksen fortgesetzt, das sorgte auch für Kritik – Bange und bewegende Momente für Kommentator Béla Réthy
Das ZDF ist von Medienwissenschaftlern für seine Berichterstattung vom EMSpiel Dänemark gegen Finnland mit dem Bangen um den Christian Eriksen gelobt worden. „Keiner kann sich auf so eine Schocksituation vorbereiten. Umso bemerkenswerter ist es, wie empathisch und vor allem zurückhaltend das ZDF direkt nach den Geschehnissen berichtet hat“, sagte Jana Wiske. Die Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin von der Hochschule Ansbach fügte an: „Ob nun intuitiv oder gewollt: Das Schweigen von Béla Réthy ist eine große Leistung. Nichts anderes hätte die Betroffenheit mehr zeigen können.“Wiske sagte zudem: „Es ging um das Leben eines Menschen, nicht mehr um Fußball. Das war auch durch die einfühlsamen, dosierten Sätze von Moderator Jochen Breyer und den Experten im ZDF-Studio spürbar.“Es hatte zuvor auch Kritik gegeben, unter anderem von Frank Überall. Der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) hatte die Übertragung „voyeuristisch“genannt, was das ZDF zurückwies. Im Gespräch mit Patrick Strasser schildert Reporter Béla Réthy seine Sicht des Vorfalls.
Herr Réthy, während Ihrer Kommentierung des EM-Spiels Dänemark gegen Finnland brach plötzlich der dänische Nationalspieler Christian Eriksen zusammen und musste medizinisch notversorgt werden. Haben Sie solch eine Situation live am Mikrofon schon einmal erlebt?
Nein. Und dass man um das Leben eines Sportlers live im Stadion kämpft und bangt, will ich auch nie wieder erleben. In all den Jahren meines Berufslebens war das meine bisher schwierigste, weil emotionalste Übertragung.
Als Eriksen zusammenbrach und die dänischen Mitspieler einen Sichtschutz bildeten – wie schwer fiel Ihnen das Kommentieren? Mein Assistent und ich hingen zunächst im luftleeren Raum, das war ja vor der Gegentribüne, also von mir aus gesehen schräg gegenüber. An den Bewegungen der Ärzte, die eine Herzdruckmassage durchführten, konnte man erkennen, dass etwas Schlimmes passiert sein musste.
Sie haben während der Unterbrechung der Partie lange geschwiegen. Die Bilder haben leider für sich gesprochen. Manchmal fehlen einem auch die Worte. Auf solche Situationen kann man sich nicht vorbereiten.
Wie sehr hat Sie das mitgenommen?
Sehr. Es wurde von Minute zu Minute emotionaler, weil er nicht aufstand. In dem Moment bist du ja nicht nur Reporter, sondern auch Mensch.
Was lief im Hintergrund ab mit der ZDF-Redaktion in Mainz?
Wir haben von dort versucht, mit gewissen Kontaktpersonen Telefonate zu führen, wie Eriksen Zustand ist und was nun passiert.
Waren Sie froh, dass relativ zeitnah ins ZDF-Studio zu Moderator Jochen Breyer geschaltet wurde?
Wir alle haben uns darauf verständigt, dass wir aus der Liveübertragung aussteigen. Auch ich habe dafür plädiert. Ich konnte den Studio-Ton mitverfolgen und finde, dass man es dort sehr gut aufgefangen hat.
Allerdings. Hätten Sie persönlich für einen Abbruch beziehungsweise eine Verschiebung plädiert?
Ja, das wäre meiner Meinung nach besser gewesen. Aber wie ich gehört habe, hat die UEFA die Spieler nicht gedrängt, sondern frei entscheiden lassen. Die Alternative wäre eine Fortsetzung am Sonntag um 12 Uhr gewesen. Ob das dann nach einer Nacht mit all den Gedanken, die sich die Spieler machen, besser gewesen wäre, ist die Frage.
Wie hat sich das Kommentieren nach dem Wiederbeginn angefühlt?
Schwierig, eine große Herausforderung. Plötzlich wurde wieder Fußball gespielt. Zunächst war da die Erleichterung, dass Eriksen stabil ist und mit seinen Mitspielern kommuniziert hat. Ich wollte dennoch möglichst angemessen kommentieren, sehr fachlich, sparsam. Ohne große
Wortspiele oder Dönekes. Am Ende gab es mit dem 1:0-Erfolg der Finnen eine große sportliche Überraschung zu vermitteln, das gehört zur Reporterpflicht. Aber dass die Dänen von den Vorfällen nachhaltig beeinträchtigt waren, konnte man sehen.
Was sagen Sie zu den Vorwürfen, die internationale Bildregie hätte zu lange auf die Spielertraube und Eriksens Frau draufgehalten?
Es ist ein schmaler Grat zwischen Informationspflicht und Sensationslust oder Voyeurismus, vergleichbar mit TV-Bildern von einem Autounfall. Ich fand die Bildführung überwiegend gelungen, es war nicht unangemessen. Einmal hat man für zwei Sekunden Eriksen mit aufgerissenen Augen gesehen, da ist mir das Blut in den Adern gefroren. Das geht sensibler.
Wie finden Sie nun in den EM-Alltag zurück?
Wir reisen nach München, am Dienstag kommentiere ich mit Sandro Wagner als Experte an meiner Seite Deutschland gegen Frankreich. Ich hoffe, es geht wirklich nur um Fußball. Das würde mich freuen.