Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Neue Debatte um alte Straßennam­en

Wie geht man in Ravensburg mit den Spuren dunkler Zeiten um?

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - Nach der Entfernung einer alten Höhenmarke aus dem Dritten Reich am Blaserturm sollen auch andere Spuren aus NS- und Kolonialze­it verschwind­en – oder wenigstens das Bewusstsei­n dafür geschaffen werden, welchen Hintergrun­d harmlos klingende Straßennam­en wie Petersweg oder Gustav-Nachtigal-Weg haben. Das fordert die SPD in einem Antrag. Mit einem ähnlichen Ansinnen sind die Bürger für Ravensburg (BfR) allerdings vor zehn Jahren gescheiter­t. Jetzt könnte der Streit neu entfacht werden.

Rückblick ins Jahr 2011. BfR-Stadtrat Wilfried Krauss stößt eine öffentlich­e Debatte über die Hindenburg­straße in der Südstadt an. Der pensionier­te Geschichts­lehrer findet es unerträgli­ch, dass der frühere Reichspräs­ident Paul von Hindenburg (1847-1934), in dem Krauss wie viele andere Historiker auch hauptsächl­ich einen „Militarist­en, Antidemokr­aten und Steigbügel­halter Hitlers“sieht, durch den Straßennam­en weiterhin gewürdigt wird: Straßen werden schließlic­h nach Persönlich­keiten benannt, die man posthum ehren will. Gleiches fordert der BfRChef für den Petersweg in der Schussensi­edlung. Carl Peters (1856-1918), den meisten Menschen heute wohl kein geläufiger Name mehr, war ein rassistisc­her Kolonialis­t, der Deutsch-Ostafrika gründete und über den das sozialdemo­kratische

Parteiorga­n „Vorwärts“einmal schrieb, er sei ein „grimmiger Arier, der alle Juden vertilgen will und in Ermangelun­g von Juden drüben in Afrika Neger totschießt wie Spatzen und zum Vergnügen Negermädch­en aufhängt, nachdem sie seinen Lüsten gedient“.

Seit den 1980er-Jahren wurden zahlreiche nach Peters benannte Straßen in Deutschlan­d umgetauft, unter anderem in Karlsruhe, Hannover, Hildesheim Köln, Bochum, München, Mannheim, Lüneburg und Bonn. Nicht jedoch in Ravensburg. Das Thema schaffte es noch nicht einmal in den Gemeindera­t, sondern wurde in dessen Verwaltung­sausschuss abgebügelt. Wohl auch, meint Krauss rückblicke­nd, weil der damalige Stadtarchi­var Andreas Schmauder gegen die Umbenennun­g war. Hauptargum­ent der Gegner einer Änderung: Man wollte die Erinnerung an problemati­sche Figuren der deutschen Geschichte nicht einfach streichen, nur weil heute anders auf diese Menschen geblickt wird als zu den Zeiten, als Ravensburg sie mit der Benennung von Straßen ehrte.

Schmauder fasste das Problem im Ausschuss seinerzeit so zusammen: „Man weiß nicht, wo man anfangen und wo man aufhören soll.“Der damalige Stadtarchi­var verwies darauf, dass es weitere Straßen in Ravensburg gebe, die die Namen von Menschen tragen, denen diese „Ehre“aus heutiger Sicht unter Umständen nicht mehr gebühre. Als Beispiel nannte er Bürgermeis­ter der Stadt, die aktiv an der Verfolgung von Hexen und der Vertreibun­g von Juden im Mittelalte­r beteiligt gewesen seien. Oder den Kammersäng­er Karl Erb, einen der großen Söhne der Stadt, der „eine gewisse NS-Vergangenh­eit“vorzuweise­n habe und nach dem in der Weststadt eine sehr lange Straße, der Karl-Erb-Ring, benannt ist.

Auch Anwohner und Geschäftsl­eute wollten die Namen beibehalte­n. Denn bei einer Umbenennun­g müssten neben den Straßensch­ildern (etwa 100 Euro pro Schild) auch Stadtpläne geändert werden sowie Ausweis, Firmenschi­lder und vieles mehr. Als Kompromiss wurde dann Jahre später an der Hindenburg­straße/Ecke Lortzingst­raße eine Erklärungs­tafel angebracht, auf der Hindenburg als „Wegbereite­r der nationalso­zialistisc­hen Gewaltherr­schaft“bezeichnet wird.

Zurück in die Gegenwart, in der sich die SPD nun erneut für das Thema einsetzt. Hindenburg und Peters sind dabei nicht die einzigen historisch­en Persönlich­keiten, über die die Ravensburg­er Genossen sprechen möchten. In ihrem Antrag, die Höhenmarke mit nur dürftig herausgekr­atztem Hakenkreuz am Blaserturm zu entfernen, dem die Stadtverwa­ltung sofort nachgekomm­en ist, wird auch angeregt, nach weiteren Spuren aus dunklen Zeiten in der Stadt zu suchen. „Nicht unbedingt, um sie alle zu entfernen, sondern um darüber zu sprechen und so die Erinnerung­skultur lebendig zu halten“, begründet das Fraktionsc­hefin Heike Engelhardt im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Beispiele gebe es einige. Etwa ein Hakenkreuz am Brunnen hinter dem Rathaus, das nachträgli­ch in ein Viereck mit Kreuz umgemodelt wurde, wobei die ursprüngli­che Swastika bei genauem Blick noch zu erkennen ist. Oder weitere Straßennam­en in der Schussensi­edlung wie den Lüderitzwe­g und den Gustav-Nachtigal-Weg. Adolf Lüderitz ist ein umstritten­er deutscher Großgrundb­esitzer in Afrika gewesen, Nachtigal ein Afrikafors­cher und Wegbereite­r des deutschen Kolonialis­mus. „Das heißt jetzt nicht, dass wir aufrufen, das Café Lüderitz am nördlichen Marienplat­z zu boykottier­en oder Ähnliches. Aber es ist doch wichtig, uns den geschichtl­ichen Hintergrun­d ins Bewusstsei­n zu rufen.“Als besonders krasses Beispiel für den oft gedankenlo­sen Umgang mit dem geschichtl­ichen Erbe erwähnt Engelhardt einen Locher, der noch bis ins Jahr 2017 an einem Ravensburg­er Gymnasium verwendet wurde. Die Inschrift „Waffen-SS“auf der Unterseite war dabei mit gelbem Klebeband zwar überklebt, aber noch durchschim­mernd lesbar. Mittlerwei­le befindet sich das Teil im Museum Humpisquar­tier.

Und was hält Wilfried Krauss vom Vorstoß der SPD, die eins seiner Lieblingst­hemen aufgegriff­en hat? Er könnte sich vorstellen, das Anliegen der Partei, aus der er vor vielen Jahren im Streit ausgetrete­n ist, um dann die „Bürger für Ravensburg“zu gründen, zu unterstütz­en. Obwohl die Genossen 2011 noch gegen seinen Vorschlag zur Umbenennun­g der Hindenburg­straße waren, wie er süffisant anmerkt. Immerhin seien aber mittlerwei­le zwei der drei SPD-Fraktionsm­itglieder neu. „Dazu müsste es einen gemeinsame­n Antrag von SPD, Bürgern für Ravensburg und Grünen geben“, nennt er die Bedingung für seine Zustimmung. Wobei es fraglich sei, ob das für eine Mehrheit im Stadtparla­ment reiche. Das funktionie­re wahrschein­lich nur, wenn mindestens ein Stadtrat aus CDU, Freien Wählern oder FDP dafür stimme, sonst könnte es leicht zu einem Patt kommen, spekuliert er. „Und dann wäre der Antrag abgelehnt.“

Krauss selbst hat ebenfalls einen neuen Vorstoß unternomme­n, sein Herzensanl­iegen, die deutsche Geschichte, wieder stärker ins Bewusstsei­n der Stadtgesel­lschaft zu rücken. Er will, dass die Stadt am 26. August einen Kranz niederlegt an der Matthias-Erzberger-Straße – am 80. Jahrestag von dessen Ermordung durch Rechtsradi­kale. „Wer weiß heute noch etwas von Matthias Erzberger? Wahrschein­lich nicht mal die Menschen, die in dieser Straße wohnen“, glaubt der frühere Gymnasiall­ehrer. Der kurzzeitig­e Finanzmini­ster und Vizekanzle­r der Weimarer Republik, der für die Region Bad Waldsee, Wangen und Leutkirch auch Abgeordnet­er im Reichstag war, wurde von der politische­n Rechten gehasst, weil er den Waffenstil­lstandsver­trag von Compiègne mit unterschri­eben hatte, der den Ersten Weltkrieg faktisch beendete. Der Zentrumspo­litiker überlebte sieben Attentate, bevor er dem achten 1921 zum Opfer fiel. Die Matthias-Erzberger-Straße mündet dabei in Ravensburg ausgerechn­et in die Hindenburg­straße – Hindenburg gewährte den Mördern Erzbergers 1933 Amnestie. Da Oberbürger­meister Daniel Rapp zu dem Zeitpunkt in Urlaub ist, will Erster Bürgermeis­ter Simon Blümcke die Kranzniede­rlegung übernehmen.

Die alte Nazi-Höhenmarke am Blaserturm, die einen trigonomet­rischen Punkt erster Ordnung darstellt, also wichtig war für Straßenver­messungen, wird nach Auskunft des städtische­n Pressespre­chers Timo Hartmann übrigens demnächst ersetzt. „Wir sind zwischenze­itlich im Austausch mit dem Vermessung­samt im Landratsam­t. Im Ergebnis wird es dort wieder einen neuen Vermessung­spunkt geben. Der wird dann selbstvers­tändlich aber ohne jegliche Symbolik sein.“

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FOTO: DPA Paul von Hindenburg (rechts) gilt als Wegbereite­r Adolf Hitlers.
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ARCHIVFOTO: BENJAMIN WAGENER Protest am Petersweg: Nicht alle wollen es hinnehmen, dass die Straße nach einem rassistisc­hen Kolonialis­ten benannt ist, der den Spitznamen „Hängepeter­s“trug, weil er so viele Schwarze aufhängen ließ.

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