Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Inmitten historischer Kulisse pulsiert neues Leben
Was im Bereich der früheren Erba-Arbeitersiedlung in Wangen zuletzt passiert ist – und was sich dort in absehbarer Zeit tun könnte
WANGEN - Die ersten vier Arbeiterhäuser auf dem Gebiet der früheren Erba-Baumwollspinnerei entstanden in den 1870er-Jahren. Nun, etwa 150 Jahre später, nimmt die gesamte Siedlung, bestehend aus denkmalgeschützten Gebäuden und ergänzt durch Neubauten, allmählich wieder ein ähnliches, historisches Erscheinungsbild an – dank des Engagements von Privatinvestoren, einer Genossenschaft und eines Immobilienunternehmens. Die SZ gibt einen Überblick, was in den vergangenen Monaten passiert ist und was sich in absehbarer Zeit tun könnte.
Was macht das Projekt „Am Spinnereigarten 3“?
„Wie eine Familie das ,Abenteuer Arbeiterhaus’ angeht“: So war der erste SZ-Artikel über das Gebäude „Am Spinnereigarten 3“überschrieben. Damals, nach jahrzehntelangem Leerstand, hatte das Haus gravierende Schäden aufgewiesen: undichtes Dach, Feuchtigkeit in Decken und Außenmauern, zu allem Überfluss noch hartnäckiger Pilzbefall. Die Architektin Sybille Schneider-Campillo und ihre Familie nahmen dennoch diese Herausforderung an und arbeiten seit Ende 2020 mit Liebe zum Detail daran, das einst marode Gemäuer in ein Mehrgenerationenhaus zu verwandeln. Getreu dem Ansatz, der bereits vor 150 Jahren galt: Menschen zu binden und Familien zusammenzuführen, wie Peter Schneider erläutert.
Der Bauhistoriker hat zu dem Arbeiterhaus die aufwändige Dokumentation, das sogenannte „Raumbuch“, mitgestaltet. „Bei der Sanierung kommt es uns auf den absoluten Respekt vor dem alten Material und vor der Qualität und der Lebensleistung der damaligen Handwerker an“, sagt der Cousin Schneider-Campillos. Das spiegelt sich allein schon beim Blick aufs Gebäudeäußere wider: Jeder der historischen, intakten Dachziegel wurde geputzt und auf der Nordseite wiederverwendet. Der Rest wird innen zum Beschweren der Decken verwendet – als Wärmespeicher und Schalldämmer. Erhalten wurden auch die zentralen Kaminblöcke.
Die Brüstungen, Gewände, Simse und Stürze wurden zudem mit original Rohrschacher Natursandstein restauriert – auch bei den Fenstern. Deren sechsteilige Sprossenstruktur wurde mit altem Glas versehen, nach Innen wurden aus Wärmeschutzgründen Kastenfenster mit modernen Innenflügeln eingebaut. So gut wie möglich erhalten, repariert oder restauriert werden Türen, Treppen und Dielen. Gegen den Pilz im Holz (Hausschwamm) war eine Fachfirma beauftragt worden. „Da wollten wir auf Nummer sicher gehen“, sagt Sybille Schneider-Campillo.
Die Architektin wollte auch bei der Fassadenfarbe nach dem Bestand gehen, ein Befund aus dem Jahr 1936 habe hier einen Ocker-Ton ergeben, der sich an den Erdfarben aus der Anfangszeit orientiere. Außerdem wurde der sogenannte Kriechkeller erhalten, der die Belüftung sicherstellt und die Feuchtigkeit aus dem Gebäude zieht. Das Haus ist außen so gut wie fertig, in den kommenden Monaten steht der Innenausbau mit einer komplett neuen Haustechnik im Vordergrund. Das Ziel, so SchneiderCampillo, ist ein Einzug im Sommer 2022.
Wie ist der Stand bei der Genossenschaft Wohnen plus?
Ebenfalls bis zum kommenden Sommer will die Genossenschaft Wohnen plus mit ihrem zweiten Gebäudekomplex fertig sein. Bei dem zweiten Bauabschnitt läuft der Innenausbau für die insgesamt 19 Wohnungen, die allesamt bereits vergeben sind. Dabei hoffen die Wohngenossen, von Teuerungen und Lieferengpässen verschont zu bleiben. „Wir haben rechtzeitig das Material bestellt und denken, dass wir hier mit einem blauen Auge davonkommen“, sagt Christine Bretzel. Das Wohnen plus-Vorstandsmitglied steht dabei im Gemeinschaftsraum des ersten Gebäudes, der eine neue Küche erhält und in diesen Tagen fertiggestellt wird. Daneben und darüber sind die neun Reihenhäuser und zwei große Wohnungen bereits seit einiger Zeit bewohnt.
Was passiert auf dem noch leeren Gebäude-Grundstück?
Lange Zeit galt für die Wohngenossen das benachbarte Grundstück auf der gegenüberliegenden Seite des Spinnereigartens, wo früher ebenfalls ein Arbeiterhaus stand, als Option für eine Erweiterung. Unter dem Motto „Zukunftsspinnerei“gab es schon ein Konzept, mit Gewerbe zu den Themen Kreativ- und Quartiersarbeit im Erdgeschoss und mit Wohnungen in den beiden Etagen darüber. Den Zuschlag von der Stadt erhielt jedoch Maximilian Maibach. Er ist Geschäftsführer von „CrossFit Wangen“, das angeleitetes Fitnesstraining in der Gruppe anbietet – zuerst in der Braugasse, mittlerweile im Gewerbegebiet Niederwangen-Feld.
Maibach will nun im Arbeiterhaus-Stil eine neue Heimat für sein Unternehmen im Erba-Areal schaffen, die Pläne werden derzeit mit der Verwaltung abgestimmt. „Die Stadt hat bei der Größe und dem Erscheinungsbild
des Gebäudes klare Vorstellungen“, so der Geschäftsführer. Für das Innenleben gibt es ebenfalls konkrete Pläne: Im Erdgeschoss sollen die Räumlichkeiten für das Fitnesstraining sein, im ersten Stock weitere Betriebsräume und Sanitäranlagen und unter dem Dach eine Betriebsleiterwohnung. „Wir verfolgen weiter unser Konzept eines inklusiven und generationenübergreifenden Trainings für alle Alters- und Fitnessgruppen“, so der Inhaber. „Das Gemeinschaftliche steht im Vordergrund.“Wenn möglich, will Maibach sein Projekt noch vor der Landesgartenschau 2024 abgeschlossen haben – das ist auch Vorgabe seitens der Stadt.
Wie steht es beim letzten der drei Ritter-Arbeiterhäuser?
Zwei Häuser, nämlich die beiden äußeren, sind bereits fertig saniert. Darin
haben jeweils acht Parteien eine neue Heimat gefunden. Seit einigen Monaten wird am mittleren der einstigen Arbeiterhäuser geschafft. Dach, Fassade und Fenster sind soweit fertig, auch hier gibt es nun eine Winterbaustelle für die Gewerke im Innern. Bezugsfertig sein sollen die weiteren acht Wohneinheiten im Mai 2022, so Investor Michael Ritter von der gleichnamigen Treuhaus GmbH.
Wie weit ist die Bauherrengemeinschaft mit ihren Doppelhäusern?
Anschließend an die Ritter-Arbeiterhäuser, am südwestlichen Ende der Erba-Areals, wollen sich sechs Familien ihren Traum vom Eigenheim erfüllen. Die Bauherrengemeinschaft erstellt derzeit sechs Doppelhäuser in Holzständerbauweise. Die beiden Gebäude Richtung Kanal sind am weitesten, das dritte soll, wenn es die Witterung zulässt, in den kommenden Wochen aufgerichtet werden, wie Lajos Elsner sagt. Anschließend, über den Winter, soll in allen drei Häusern der Innenausbau laufen, so der Sprecher der Gemeinschaft weiter: „Die Fertigstellung ist dann sequenziell.“Heißt: Als erstes soll im Frühjahr/Frühsommer 2022 das Doppelhaus am Kanal bezogen werden, sechs bis acht Wochen später würde das mittlere Haus folgen, und am Ende die beiden letzten Doppelhaushälften.
Im zweiten Baufeld nordwestlich der Ritterarbeiterhäuser sollen ebenfalls drei Doppelhäuser entstehen. Laut Stadt gibt es hierfür aktuell mehr Nachfrage als Angebot, die Vergabe ist für Anfang 2022 geplant. Auch hier hat sich die Stadt zum Ziel gesetzt, dass die Fläche bis zum Start der Landesgartenschau 2022 bebaut ist.