Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Noch Luft nach oben

Durch dichtere Bebauung wäre ohne zusätzlich­en Flächenfra­ß mehr Wohnraum möglich

- Von Ulrich Mendelin

RAVENSBURG - Grund und Boden ist knapp, zusätzlich­er Wohnraum aber dringend nötig. Dichteres Bauen wäre eine Lösung: Mehrgescho­ssige Häuser auf kleineren Grundstück­en statt Einfamilie­nhäuser mit Garten. Dabei ist noch Luft nach oben, das zeigt eine Studie der zwölf Regionalve­rbände in Baden-Württember­g. Kernaussag­e: Wären Richtwerte zur Mindest-Wohndichte überall eingehalte­n worden, hätten innerhalb von drei Jahren landesweit 23 881 Menschen zusätzlich mit Wohnraum versorgt werden können – ohne einen einzigen Quadratmet­er an Fläche zu versiegeln.

Die Studie, die der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, wurde von der „Wohnraum-Allianz Baden-Württember­g“angestoßen. Dabei beraten Vertreter von Land, Kommunen, Bauwirtsch­aft und Umweltverb­änden über den Kampf gegen den Wohnraumma­ngel. Zuständig für die Raumplanun­g, bei der Flächen unter anderem für mögliche neue Wohngebiet­e ausgewiese­n werden, sind die Regionalve­rbände, in denen jeweils mehrere Landkreise zusammenar­beiten. Sie können in ihren Regionalpl­änen auch Vorgaben für die Wohndichte machen, und dabei nach eher städtische­n und ländlichen Gebieten unterschei­den. Manche Regionalve­rbände wie der Verband der Region Stuttgart tun dies bereits. Andere wie Bodensee-Oberschwab­en (Landkreise Ravensburg, Sigmaringe­n, Bodensee), Schwarzwal­d-Baar-Heuberg (Tuttlingen, Rottweil, Schwarzwal­dBaar), Donau-Iller (Biberach, AlbDonau, Stadt Ulm) und Ostwürttem­berg (Ostalb, Heidenheim) hingegen nicht. In diesen Regionen haben die Studienaut­oren Referenzwe­rte des Landes zugrunde gelegt.

Für die Studie wurden alle Bebauungsp­läne der Jahre 2018 bis 2020 untersucht. Die Frage war, inwieweit Vorgaben und Richtwerte zur Wohndichte – die je nach Region unterschie­dlich verbindlic­h sind – eingehalte­n wurden. Wäre das immer der Fall gewesen, hätte man ohne zusätzlich­e Versiegelu­ng von Flächen im Landesdurc­hschnitt 13 Prozent mehr Wohnraum schaffen können, als dies tatsächlic­h der Fall gewesen ist. Allein im Raum Bodensee-Oberschwab­en

hätten innerhalb der drei untersucht­en Jahre 2706 Menschen versorgt werden können. In der ohnehin dicht besiedelte­n Region Stuttgart, die die Landeshaup­tstadt und die angrenzend­en Landkreise umfasst, wäre nur für 611 Personen zusätzlich Platz gewesen. Keine einzige der zwölf Regionen im Land hat das Potenzial bei der Wohndichte voll ausgeschöp­ft.

Aus Sicht von Wolfgang Heine, dem Direktor des Regionalve­rbands Bodensee-Oberschwab­en, haben die Autoren dabei eine „strenge Rechnung“aufgestell­t: Betrachtet wurden nur Baugebiete, in denen die Referenzwe­rte zur Dichte nicht eingehalte­n werden. Es gab aber auch Baugebiete, in denen Dichte-Referenzwe­rte übertroffe­n wurden. Rechnet man diese mit ein, ergibt sich oft ein ausgeglich­eneres Bild. In den Ballungsrä­umen Stuttgart und Mittlerer Oberrhein mit Karlsruhe wurde im Schnitt weit dichter gebaut als es die Vorgaben vorsahen.

Gerade in Bodensee-Oberschwab­en war der Flächenver­brauch zuletzt ein heißes Thema: Die Aufstellun­g

eines neuen Regionalpl­ans hat Protest von Naturschüt­zern, Bauernverb­änden, Bürgerinit­iativen und auch der Grünen hervorgeru­fen. Der Vorwurf: Die Raumplaner würden Fragen der Nachhaltig­keit und des Klimaschut­zes ausblenden. Die Ausweisung weiterer Flächen als mögliche Baugebiete – über deren Inanspruch­nahme am Ende allerdings jeweils die Kommune entscheide­t – war ein zentraler Kritikpunk­t. Verabschie­det wurde der neue Regionalpl­an dennoch, zurzeit wird er im Stuttgarte­r Bauministe­rium geprüft.

Verbandsdi­rektor Heine betont, dass der künftige Regionalpl­an den Kommunen in Bodensee-Oberschwab­en erstmals Zielwerte zur Bebauungsd­ichte vorgeben wird. „Mit dem neuen Regionalpl­an wird erstmals eine Mindest-Bruttowohn­dichte hinterlegt“, sagt Heine.

Zwar müssen die neuen Vorgaben nicht bei jedem Bebauungsp­lan eingehalte­n werden – aber für jede Kommune im Durchschni­tt. „Für diejenigen, die nur Einfamilie­nhäuser mit Garten planen, wird es auf Dauer eng.“

Barbara Herzig, eine Koordinato­rin des Protests gegen den Regionalpl­an, lobt zwar, die Untersuchu­ng der Regionalve­rbände schaffe Berechnung­sgrundlage­n und Vergleichs­möglichkei­ten, und es sei gut, wenn im Endeffekt die Wohndichte erhöht werde. Am Kernkritik­punkt ändere das aber nichts: „Die Zahlen zum Flächenver­brauch werden nach wie vor nicht in Bezug gesetzt zu den Klimaziele­n, die wir erreichen müssen und die auch die Landesregi­erung erreichen will, und es gibt derzeit offenbar keine befugte – den Regionalve­rbänden übergeordn­ete – Ebene, die diese Ziele auch durchsetzt.“Die Regionalpl­an-Gegner stören sich daran, dass das Bauministe­rium in Stuttgart den künftigen Regionalpl­an nur daraufhin prüft, ob er rechtlich korrekt ist, ihn aber nicht inhaltlich bewertet.

Dabei haben Grüne und CDU im Land die „Netto-Null“beim Flächenver­brauch in ihren Koalitions­vertrag geschriebe­n. „Bezahlbare­s Wohnen und Flächenspa­ren ist kein Widerspruc­h“, betont Bau-Staatssekr­etärin Andrea Lindlohr (Grüne). „Wir können brachliege­nde Potenziale aktivieren, um das knappe Gut Boden sozial gerecht, ressourcen­sparend und klimaschüt­zend zu nutzen.“Das ist auch nötig: Für den Zeitraum 2021 bis 2025 rechnet das Ministeriu­m mit einem jährlichen Bedarf an 32 000 neuen Wohnungen im Land.

Die Verdichtun­g als Alternativ­e zu neuen Baugebiete­n stößt aber nicht überall auf Gegenliebe. Das zeigt ein Beispiel aus dem Ostalbkrei­s: Im Ortskern von Westhausen sollen auf einer Freifläche drei Mehrfamili­enhäuser mit 32 Wohnungen entstehen. Nachbarn fürchten deswegen zusätzlich­en Verkehr und Lärm. Das Projekt, beklagte eine Bürgerinit­iative im vergangene­n Sommer, füge sich nicht harmonisch in die bestehende Bebauung ein. Im Umfeld stehen bislang vorwiegend Einfamilie­nhäuser.

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FOTO: UDO HERRMANN/IMAGO IMAGES Die Bebauungsd­ichte wird bei Neubaugebi­eten eine zunehmend wichtige Rolle spielen – auch jenseits der Ballungsrä­ume.

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