Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Lahmer Ladesäulenausbau
Es gibt zu wenige Ladepunkte für zu viele E-Autos – Wie die Ampel-Koalition gegensteuern will
BERLIN - Als sich Tesla-Chef Elon Musk vor Jahren aufmachte, den Automarkt von der Verbrennungsmotor-Technologie hin zur Elektromobilität umzukrempeln, wurde er noch belächelt. Selbst als VW-Chef Herbert Diess die Abkehr vom Dieselund Benzinauto verkündete, schüttelten viele nur den Kopf. Die Kritiker sind nun verstummt. Die Zeichen der Zeit stehen voll auf Elektromobilität. Es gibt nur ein großes Problem, was viele Menschen vor dem Kauf eines elektrischen Autos abhält und viele E-Auto-Fahrer nervt: die Ladesäule. Es gibt zu wenige davon, die Bezahlung ist kompliziert und die Preise undurchsichtig. Die Ampel-Koalition will, dass die EMobilität noch mehr in Schwung kommt und Stromzapfen so leicht wie Sprittanken ist. Das sind die größten Problemfelder.
Der Ausbau:
2021 hat die Elektromobilität einen enormen Schub erfahren. Laut Kraftfahrtbundesamt wurden rund 220 000 mehr Hybridmodelle als Diesel-Pkw zugelassen. Auch das rein batteriebetriebene Auto ist beliebt wie nie zuvor und hat seinen Marktanteil um 83 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesteigert. Doch während das E-Auto boomt, stockt der Ausbau der Ladeinfrastruktur. Derzeit gibt es rund 51 000 Normalladepunkte und rund 7500 SchnellladeAutokonzerne punkte in ganz Deutschland. Damit müssen sich heute 22 E-Autos und Hybride eine Ladesäule teilen, vor einem Jahr waren es 13. Die Bundesregierung plant, bis 2030 eine Million öffentliche Ladepunkte zu bauen. Dabei ist Tempo gefragt, fordert der Verband der Automobilindustrie (VDA). Damit das Millionen-Ziel erreicht wird, muss der Bau siebenmal so schnell wie jetzt vorangehen.
Die Verantwortung:
Jahrelang haben sich Autoindustrie und Bundesregierung gegenseitig den schwarzen Peter zugeschoben. Auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) nimmt die Industrie in die Pflicht. Ein flächendeckendes Ladenetz sei nicht eine Anstrengung, „die der Staat alleine“unternehme, sagte er dem SWR, auch die Automobilindustrie sei verantwortlich. Deshalb sollten sich
in einem Dialog daran beteiligen, Konzepte zu einem möglichst schnellen Ausbau zu liefern. Das bekräftigen auch die Grünen. „Nur wenn die Ladeinfrastruktur endlich als Gemeinschaftsaufgabe verstanden wird, steigt das Ausbautempo“, sagt der verkehrspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Stefan Gelbhaar. Grundsätzlich sieht das auch VDA-Präsidentin Hildegard Müller so. Zugleich fordert sie aber auch, die Verantwortung aufzuteilen und will Lösungen bei einem branchenübergreifenden Gipfeltreffen von Tankstellenbetreibern, Kommunen und Energieversorgern suchen.
Der SPD-Verkehrspolitiker Mathias Stein, der 2021 das Schnelladegesetz verhandelt hat und an der Ausarbeitung der Ladesäulen-Pläne im Koalitionsvertrag beteiligt war, sieht noch ein anderes Problem. Vielerorts würden Ladesäulen von Stadtwerken nur sehr zögerlich aufgestellt, da der zu erwartende Ertrag in der Zukunft unklar sei. Deshalb plädiert er für eine deutliche Kommunikation seitens der Politik, „dass die batterieelektrische Mobilität beschlossen ist und synthetische Kraftstoffe ein Nischenthema sind“. Zudem müsse der Zugang zur E-Mobilität vereinfacht werden. Dazu seien Investitionsprogramme für Parkhäuser nötig. Dort müsste nahezu jeder Parkplatz mit einer Ladesäule ausgestattet werden. Bereits in der vergangenen Legislaturperiode wollte die SPD die Anforderungen für neue Parkhäuser erhöhen – war aber mit ihren Plänen an der Union gescheitert. „Da werden wir nun mit dem neuen Koalitionspartner nachrüsten müssen“, sagt Stein.
Die Bezahlung:
Die gängigsten Bezahlmethoden sind derzeit per Ladekarte – dazu muss man einen Vertrag mit dem Stromanbieter abschließen. Oder Kunden haben keinen Vertrag und können ihr Fahrzeug ad hoc mithilfe einer Smartphone-App laden. Durch eine Überarbeitung der Ladesäulenverordnung soll ab Juli 2023 auch das Bezahlen per Kredit- oder EC-Karte möglich sein. Darüber hinaus wurde auch ein Roaming-System entwickelt. Kunden können mit einer Karte bei mehreren Ladesäulenbetreibern zahlen. Doch das Roaming ist den Betreibern selbst überlassen. Dadurch können Wucherpreise und ein Tarifdschungel entstehen, beklagen Verbraucherschützer.
Der ADAC fordert, dass Neukunden der Zugang zur Elektromobilität erleichtert und Barrieren abgebaut werden. „Dass Preise oft nicht transparent an der Ladesäule einsehbar sind, ist ein großes Problem“, sagt ADAC-Referent Matthias Vogt. Denn grundsätzlich gelte: „Je komplizierter der Ladevorgang ist, umso höher sind die Hürden für den Einstieg in die Elektromobilität“, sagt Vogt. Preistransparenz sei ein entscheidender Faktor.
Die Ampel will Barrieren abbauen. „Wir sorgen für transparente Strompreise und einen öffentlich einsehbaren Belegungsstatus“, heißt es im Koalitionsvertrag. Derzeit sind in einem Ladesäulenregister nur die Anzahl und der Standort der Ladesäulen verzeichnet, nicht aber der Belegungsstatus. Dass E-Autos aber länger als notwendig an der Zapfsäule hängen oder gar ausgewiesene Parkplätze über Tage blockieren, ist ein weiterer Grund für viele Fahrer, kein E-Auto zu kaufen. Das geht aus einer aktuellen ADAC-Umfrage hervor.
Für den grünen Verkehrspolitiker Gelbhaar sind bessere Ladesäulen wesentlich, um die Attraktivität von E-Mobilität zu steigern. „Wir wollen, dass das Laden von E-Autos so einfach wird wie das Tanken“, sagt Gelbhaar. Die Ladesäulen-Datenbank sollte zu einer umfassenden Plattform ausgebaut werden. Ähnlich zur Markttransparenzstelle für Kraftstoffe sollten Strompreise, Belegungsstand und andere Daten immer aktuell abrufbar sein. „Autofahrerinnen und Autofahrer finden dann nicht nur schneller eine freie Ladesäule, sondern auch günstige Ladetarife und Infos zu Bezahlmöglichkeiten“, erläutert Gelbhaar.
Der Wettbewerb:
In vielen Regionen stellen einzelne Energieanbieter bis zu zwei Drittel der Ladesäulen und bestimmen damit die Preise. E-Auto-Fahrer haben häufig keine andere Möglichkeit, als in ihrer Region zu tanken, und sind dabei den Preisen ausgeliefert. Mehr Wettbewerb könnte Abhilfe schaffen.
Die Bundesnetzagentur schlägt ein Modell vor, bei dem Kunden die Möglichkeit haben, an der Ladesäule zwischen allen Stromanbietern im Markt frei zu wählen. Dazu müssten die Betreiber ihre Ladesäulen für andere Anbieter öffnen. Gesetzlich vorgeschrieben ist das noch nicht. Ex-Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat sich gegen gesetzliche Vorgaben gesträubt. Die Ampel will auf die Mobilisierung privater Investitionen setzen. „Wo wettbewerbliche Lösungen nicht greifen, werden wir mit Versorgungsauflagen, wo baulich möglich, die verlässliche Erreichbarkeit von Ladepunkten herstellen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Doch bevor man soweit ist, dürfte noch einige Zeit vergehen.