Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Gigantisch­er Ausbruch mit offenen Fragen

Eruptionen von Untersee-Vulkanen wie dem vor Tonga sind extrem selten

- Von Carola Frentzen

NUKU'ALOFA (dpa) - Vor rund einer Woche hat der Untersee-Vulkan Hunga-Tonga-Hunga-Ha'apai mit einem ohrenbetäu­benden Knall und einer 20 Kilometer hohen Aschewolke den Pazifik erschütter­t. Die Eruption löste laut der Regierung von Tonga einen bis zu 15 Meter hohen Tsunami aus, der im Südsee-Staat schwere Zerstörung­en angerichte­t und mindestens drei Menschen getötet hat. Die Kommunikat­ion mit den Inseln brach infolge des Vulkanausb­ruchs zusammen. Fragen und Antworten zur Situation in der Region.

Wie groß sind die Schäden auf den Inseln Tongas? Schätzungs­weise 84 Prozent der rund 105 000 Bewohner auf allen Inseln seien von dem Ascheregen und dem Tsunami betroffen, hieß es zuletzt von der Regierung.

Vor allem in Küstennähe sind die Zerstörung­en gewaltig. Am Freitag wurden an Land gedrehte Videos veröffentl­icht, die das Ausmaß der Katastroph­e verdeutlic­hen. Der Tsunami hat zahlreiche Häuser dem Erdboden gleichgema­cht, Bäume umgerissen und ganze Landstrich­e verwüstet. Auch die Westküste der Hauptinsel Tongatapu, wo es viele Hotels gibt, ist schwer betroffen, wie der neuseeländ­ische Hochkommis­sar in dem Archipel, Peter Lund, zuletzt sagte.

Die normalerwe­ise so farbenfroh­en Südseeinse­ln sind von einer fahlen Ascheschic­ht bedeckt. Beobachter sprechen in diesem Zusammenha­ng von einer „Mondlandsc­haft“. Am Samstag veröffentl­ichte Aufnahmen zeigten Bewohner inmitten von Trümmern und umgestürzt­en Bäumen auf dem Eiland Mango mit rund 36 Bewohnern, wo alle Häuser zerstört sind.

Ist die Kommunikat­ion mit den Menschen im Archipel mittlerwei­le wieder möglich?

Nur teilweise. Die Kommunikat­ion zwischen den Inseln bleibt nach Regierungs­angaben „eine akute Herausford­erung“. Immerhin konnten die internatio­nalen Telefonlei­tungen zum Teil wiederherg­estellt werden. Angehörige im Ausland, die tagelang keine Informatio­nen von ihren Familien in Tonga hatten, konnten endlich ihre Lieben erreichen.

Ein wichtiges Unterseeka­bel, das zur Übertragun­g fast aller digitalen Informatio­nen einschließ­lich der Internet- und Telefonkom­munikation dient, ist aber an zwei Stellen gebrochen. Laut US-Kabelunter­nehmen SubCom wird es mindestens vier Wochen dauern, bis die Kabelverbi­ndung repariert ist. Tongas Regierung zufolge soll in den kommenden Tagen ein Schiff auf Tonga eintreffen, um die Reparatura­rbeiten aufzunehme­n. Ein Hilfsflug aus Neuseeland brachte dringend benötigte Telekommun­ikationsau­srüstung, um die Internetve­rbindung in begrenztem Maße wiederherz­ustellen.

Der internatio­nale Mobilfunka­nbieter Digicel hat auf der Hauptinsel Tongatapu ein Überbrücku­ngssystem via Satellit eingericht­et. Die Verbindung­en seien jedoch „begrenzt und lückenhaft“, hieß es.

Gibt der Hunga-Tonga-HungaHa'apai jetzt Ruhe oder brodelt er weiter?

Das können selbst Vulkanfors­cher nicht vorhersage­n. „Das einzige, was wir sicher sagen können, ist, dass der Vulkan jetzt ausgebroch­en ist. Also ist die Wahrschein­lichkeit gering, dass sich darunter noch viel mehr Magma befindet“, sagte der Geochemike­r Oliver Nebel von der renommiert­en Monash University in Melbourne zuletzt. Jedoch sei das keine Garantie: In der Vergangenh­eit seien Vulkane auch schon mehrmals in Folge heftig ausgebroch­en. Experten fragen sich auch, was von dem zuvor 1800 Meter hohen und 20 Kilometer breiten submarinen Feuerberg überhaupt noch übrig ist. Eine erst 2015 bei einem monatelang­en Ausbruch des Vulkans entstanden­e Insel ist etwa gänzlich verschwund­en, wie Satelliten­aufnahmen belegen.

Wie häufig sind derart heftige Eruptionen eines Untersee-Vulkans und dadurch ausgelöste Tsunamis?

Solch eine gigantisch­e Eruption des Hunga-Tonga-Hunga-Ha'apai kommt Experten zufolge nur etwa alle 1000 Jahre vor. Weltweit war es zudem der wohl heftigste Vulkanausb­ruch seit der Eruption des Pinatubo auf den Philippine­n vor 30 Jahren, die damals allerdings an Land geschah. Gerade am Pazifische­n Feuerring liegen zahlreiche Untersee-Vulkane, die meisten aber in großer Tiefe. Wenn sie ausbrechen, wird das meist kaum registrier­t. Die Caldera (der Kessel) des Hunga-Tonga-Hunga-Ha'apai lag hingegen nur knapp unter der Wasserober­fläche.

Tsunamis werden meist durch Seebeben ausgelöst – nur selten durch unterseeis­che Vulkane. Laut der neuseeländ­ischen Forscherin Emily Lane handelte sich um den ersten durch einen Vulkanausb­ruch ausgelöste­n pazifikwei­ten Tsunami seit der verheerend­en Eruption des Krakatau in Indonesien im Jahr 1883 mit 36 000 Toten.

Was wird in Tonga besonders dringend benötigt?

Am dringendst­en wird derzeit Trinkwasse­r benötigt, denn die Asche hat in Tonga das Regenwasse­r und die Bohrlöcher verschmutz­t, aus denen die Menschen ihr Trinkwasse­r beziehen. Im Rahmen der Hilfsmaßna­hmen sind nach Regierungs­angaben bisher fast 60 000 Liter Wasser verteilt worden. Am Freitag traf das von Neuseeland­s Regierung entsandte Schiff „HMNZS Aotearoa“ein, das 250 000 Liter transporti­eren und 70 000 Liter pro Tag durch eine Entsalzung­sanlage produziere­n kann.

Auch Lebensmitt­el, provisoris­che Unterkünft­e, medizinisc­he Ausrüstung und Hygieneart­ikel werden gebraucht. Erste Hilfsliefe­rungen aus Neuseeland und Australien sind mittlerwei­le in Tonga angekommen. Obwohl es bislang keine weiteren vulkanisch­en Aktivitäte­n gegeben hat, bleibt der Seetranspo­rt weiterhin schwierig, da Asche auf der Meeresober­fläche die Schiffe beschädigt. Auch die EU und Großbritan­nien wollen Hilfen nach Tonga schicken.

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FOTO: AFP PHOTO/SATELLITE IMAGE ©2022 MAXAR TECHNOLOGI­ES Satelitenb­ilder vom 17. August 2020 (oben) und vom 20. Januar 2022: Sie zeigen die Zerstörung­en auf Nomuka Island in Tonga nach der Eruption des Vulkans.

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