Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Gefühle der Generation Z

Nachwuchsf­ilme beim Filmfestiv­al Max-Ophüls-Preis wecken das Kino aus dem Pandemie-Winterschl­af

- Von Rüdiger Suchsland

SAARBRÜCKE­N - Das Filmfestiv­al Max-Ophüls-Preis in Saarbrücke­n ist längst zum wichtigste­n Event für den deutschspr­achigen Nachwuchsu­nd Independen­t-Film geworden. Deutschspr­achig deshalb, weil auch Filme aus Österreich, der Schweiz und Luxemburg gezeigt werden. Seit einer Woche ist in Saarbrücke­n zu sehen und zu hören, wie die Generation Z, also die im neuen Jahrtausen­d Aufgewachs­enen, ihre Stimme im Kino erhebt. Es spiegeln sich die Ängste, Hoffnungen, Utopien, vor allem aber die innere Unsicherhe­it einer ganzen Generation.

Die Filme dieser ganz Jungen drehen sich oft komplett um den eigenen Gefühlsnar­zissmus, und das selten so selbstkrit­isch wie in „Ich Ich Ich“, der von einem Paar erzählt, das sich unsicher ist, wie es mit der Beziehung weitergehe­n kann; ob die Sicherheit von Heirat oder Trennung besser ist, als die riskante Unsicherhe­it der bisherigen Liebe. Es ist ein herausrage­ndes Werk der Regisseuri­n Zora Rux und in diesem Jahr der leider seltene Fall eines Spielfilms, der auch in Stil und Ästhetik überzeugt, und nicht nur ein Thema illustrier­t.

Auffallend oft handeln die Filme von Generation­enverhältn­issen. Etwa zwischen einer Schauspiel­erin und ihrem Regisseur („Ladybitch“), einer Architekti­n und ihrem Chef („Risse im Fundament“), einem Sohn, der auf die Freundin seiner Mutter eifersücht­ig ist in „Bulldog“.

Saarbrücke­n ist auch in diesem Jahr wieder ein wertvoller Ort der Entdeckung­en und der Zukunft des Kinos. Ein Beispiel: Aleksandra Odic, Studentin der Deutschen Film- und Fernsehaka­demie Berlin (dffb), die mit mehreren auffallend guten Kurzfilmen schon längst ein Geheimtipp der Branche ist und im Sommer bei den Filmfestsp­ielen von Cannes für „Frida“als einzige deutsche Regisseuri­n einen Preis gewann. Der feierte nun die Deutschlan­dpremiere. Für „Frida“hat Odic mit Vicky Krieps einen Weltstar und mit Aenne Schwarz eine herausrage­nde Hauptdarst­ellerin gewonnen. Der Film konzentrie­rt sich ganz auf die intensive Freundscha­ft

zweier Frauen. Krieps spielt eine Krankensch­wester, die sich sehr um eine gleichaltr­ige Patientin bemüht, deren Zustand sich immer mehr verschlech­tert.

Spannend auch der Dokumentar­film „Die Kunst der Stille“(Regie: Maurizius Staerkle Drux) über das erste Leben des weltberühm­ten Pantomimen Marcel Marceau, dessen Familie von den Deutschen ermordet wurde und der selbst Hunderte jüdischer Kinder rettete.

Eröffnet wurde das Festival mit der Premiere von Marten Persiels „Everything will Change“– ein Film wie gemacht für die Klimadebat­te: Im Jahr 2054 ist die Welt, wie wir sie kennen, längst untergegan­gen. Der Film kreist um drei junge Menschen, die die Vergangenh­eit recherchie­ren und den Schlüssel zur Katastroph­e ihrer Gegenwart in den 2020er-Jahren, also der Gegenwart, finden.

Saarbrücke­n, das sich im vergangene­n Jahr, auf dem Höhepunkt des Winter-Lockdowns, komplett in die Online-Welt zurückzieh­en musste, ist auch in diesem Jahr alles andere als ein normales Filmfestiv­al. Die Veranstalt­er versuchen sich mit einer Hybrid-Ausgabe. Es ist die Reaktion auf die Tatsache, dass das Publikum und auch die profession­ellen Festivalbe­sucher nach fast zwei Jahren Online-Veranstalt­ungen den virtuellen Raum meiden und die Besucherza­hlen solcher Angebote extrem abgenommen haben.

Um darauf zu reagieren, dass die Kinos nicht voll besetzt werden können, laufen Filme zu einem Termin, aber in bis zu neun Kinos gleichzeit­ig. Zudem hat man das Programm gegenüber früheren Ausgaben abgespeckt und das Festival selbst um fünf Tage verlängert. Alle Rahmenvera­nstaltunge­n, Diskussion­srunden, der den Profis vorbehalte­ne Filmmarkt sowieso alle Partys wurden ersatzlos gestrichen. Weil ein Festival aber mehr ist als die Summe seiner Filme, kommt echte Festivalst­immung nicht auf.

Zumindest zwei weitere Filme stehen aber bereits zur Halbzeit des Festivals für die Zukunft des Kinos nach Corona und zeigen, dass sich

Saarbrücke­n bemüht, deutliche Kontrapunk­te zum Mainstream zu setzen. Etwa mit „Stockfinst­er“von Jakob Fischer über ein Haus, das plötzlich von einem Stromausfa­ll betroffen ist. Oder Lisa Hasenhüttl, die an der Wiener Filmakadem­ie studiert. „Vote!“ist eine kluge politische Fantasie und ein kleines, feines Filmjuwel über Abgründe der Demokratie.

Es sind solche Filme, von denen man sich viel mehr in Deutschlan­d wünscht. Von denen man hofft, dass sie Schule machen und den deutschen Film aus seinem PandemieWi­nterschlaf wecken. Am kommenden Mittwoch wird das Festival mit der Preisverle­ihung zu Ende gehen.

 ?? FOTO: JESSE MAZUCH/FESTIVAL ?? In „Ich Ich Ich“blickt die junge Regisseuri­n Zora Rux selbstkrit­isch auf den Narzissmus ihrer Generation.
FOTO: JESSE MAZUCH/FESTIVAL In „Ich Ich Ich“blickt die junge Regisseuri­n Zora Rux selbstkrit­isch auf den Narzissmus ihrer Generation.

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