Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die Gefühle der Generation Z
Nachwuchsfilme beim Filmfestival Max-Ophüls-Preis wecken das Kino aus dem Pandemie-Winterschlaf
SAARBRÜCKEN - Das Filmfestival Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken ist längst zum wichtigsten Event für den deutschsprachigen Nachwuchsund Independent-Film geworden. Deutschsprachig deshalb, weil auch Filme aus Österreich, der Schweiz und Luxemburg gezeigt werden. Seit einer Woche ist in Saarbrücken zu sehen und zu hören, wie die Generation Z, also die im neuen Jahrtausend Aufgewachsenen, ihre Stimme im Kino erhebt. Es spiegeln sich die Ängste, Hoffnungen, Utopien, vor allem aber die innere Unsicherheit einer ganzen Generation.
Die Filme dieser ganz Jungen drehen sich oft komplett um den eigenen Gefühlsnarzissmus, und das selten so selbstkritisch wie in „Ich Ich Ich“, der von einem Paar erzählt, das sich unsicher ist, wie es mit der Beziehung weitergehen kann; ob die Sicherheit von Heirat oder Trennung besser ist, als die riskante Unsicherheit der bisherigen Liebe. Es ist ein herausragendes Werk der Regisseurin Zora Rux und in diesem Jahr der leider seltene Fall eines Spielfilms, der auch in Stil und Ästhetik überzeugt, und nicht nur ein Thema illustriert.
Auffallend oft handeln die Filme von Generationenverhältnissen. Etwa zwischen einer Schauspielerin und ihrem Regisseur („Ladybitch“), einer Architektin und ihrem Chef („Risse im Fundament“), einem Sohn, der auf die Freundin seiner Mutter eifersüchtig ist in „Bulldog“.
Saarbrücken ist auch in diesem Jahr wieder ein wertvoller Ort der Entdeckungen und der Zukunft des Kinos. Ein Beispiel: Aleksandra Odic, Studentin der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb), die mit mehreren auffallend guten Kurzfilmen schon längst ein Geheimtipp der Branche ist und im Sommer bei den Filmfestspielen von Cannes für „Frida“als einzige deutsche Regisseurin einen Preis gewann. Der feierte nun die Deutschlandpremiere. Für „Frida“hat Odic mit Vicky Krieps einen Weltstar und mit Aenne Schwarz eine herausragende Hauptdarstellerin gewonnen. Der Film konzentriert sich ganz auf die intensive Freundschaft
zweier Frauen. Krieps spielt eine Krankenschwester, die sich sehr um eine gleichaltrige Patientin bemüht, deren Zustand sich immer mehr verschlechtert.
Spannend auch der Dokumentarfilm „Die Kunst der Stille“(Regie: Maurizius Staerkle Drux) über das erste Leben des weltberühmten Pantomimen Marcel Marceau, dessen Familie von den Deutschen ermordet wurde und der selbst Hunderte jüdischer Kinder rettete.
Eröffnet wurde das Festival mit der Premiere von Marten Persiels „Everything will Change“– ein Film wie gemacht für die Klimadebatte: Im Jahr 2054 ist die Welt, wie wir sie kennen, längst untergegangen. Der Film kreist um drei junge Menschen, die die Vergangenheit recherchieren und den Schlüssel zur Katastrophe ihrer Gegenwart in den 2020er-Jahren, also der Gegenwart, finden.
Saarbrücken, das sich im vergangenen Jahr, auf dem Höhepunkt des Winter-Lockdowns, komplett in die Online-Welt zurückziehen musste, ist auch in diesem Jahr alles andere als ein normales Filmfestival. Die Veranstalter versuchen sich mit einer Hybrid-Ausgabe. Es ist die Reaktion auf die Tatsache, dass das Publikum und auch die professionellen Festivalbesucher nach fast zwei Jahren Online-Veranstaltungen den virtuellen Raum meiden und die Besucherzahlen solcher Angebote extrem abgenommen haben.
Um darauf zu reagieren, dass die Kinos nicht voll besetzt werden können, laufen Filme zu einem Termin, aber in bis zu neun Kinos gleichzeitig. Zudem hat man das Programm gegenüber früheren Ausgaben abgespeckt und das Festival selbst um fünf Tage verlängert. Alle Rahmenveranstaltungen, Diskussionsrunden, der den Profis vorbehaltene Filmmarkt sowieso alle Partys wurden ersatzlos gestrichen. Weil ein Festival aber mehr ist als die Summe seiner Filme, kommt echte Festivalstimmung nicht auf.
Zumindest zwei weitere Filme stehen aber bereits zur Halbzeit des Festivals für die Zukunft des Kinos nach Corona und zeigen, dass sich
Saarbrücken bemüht, deutliche Kontrapunkte zum Mainstream zu setzen. Etwa mit „Stockfinster“von Jakob Fischer über ein Haus, das plötzlich von einem Stromausfall betroffen ist. Oder Lisa Hasenhüttl, die an der Wiener Filmakademie studiert. „Vote!“ist eine kluge politische Fantasie und ein kleines, feines Filmjuwel über Abgründe der Demokratie.
Es sind solche Filme, von denen man sich viel mehr in Deutschland wünscht. Von denen man hofft, dass sie Schule machen und den deutschen Film aus seinem PandemieWinterschlaf wecken. Am kommenden Mittwoch wird das Festival mit der Preisverleihung zu Ende gehen.