Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Während unten gebetet wird, gibt es oben die Impfung

In der Mevlana-Moschee nehmen türkisch sprechende Ärzte den Menschen ihre Ängste

- Von Elke Oberländer

RAVENSBURG - Gegen das Coronaviru­s wird in Arztpraxen, Sporthalle­n, Restaurant­s, Diskotheke­n und im Ulmer Münster geimpft. Am Sonntag hat auch der türkisch-islamische Kulturvere­in Ditib in Ravensburg zum Impfen eingeladen. Für viele Impfgäste war das Vereinsgel­ände vertrautes Terrain. Andere haben die Gelegenhei­t genutzt, die MevlanaMos­chee in der Schützenst­raße mal von innen zu sehen.

Ein älteres Paar betritt die Vereinsräu­me und blickt sich unsicher um. Ein junger Mann begrüßt die beiden und geleitet sie zur Anmeldung und zum Corona-Schnelltes­t. Während sie auf das Testergebn­is warten, füllen die zwei ihre Anamnesebö­gen aus. Mit den Papieren geht es eine Treppe hinauf, dann heißt es Schuhe ausziehen. Die Stiefel werden im Schuhregel verstaut, bevor es noch einmal ein Stockwerk höher geht. Die Gäste werden in den Gebetsbere­ich der Frauen auf der Empore der Moschee geführt.

Unten im Männerbere­ich ist gerade Gebetszeit. Oben auf der Empore stehen drei Tische, an denen zwei Ärztinnen und ein Arzt die Fragen der Impfgäste beantworte­n. „Gerüchte rund um Unfruchtba­rkeit – das ist Thema Nummer eins bei den Jüngeren“, berichtet Dr. Saadet Arda, Fachärztin für Psychiatri­e und Psychother­apie aus Laupheim. Bei den Älteren stehe eher die Sorge im Vordergrun­d,

nach der Impfung krank zu werden, vielleicht Krebs zu bekommen und früher zu sterben. „Das sind zwar alles Mythen“, sagt Arda. „Aber solche Gerüchte haben vielen Leuten richtig Angst gemacht.“

„Manche Menschen sind schlecht informiert“, sagt auch ihr Kollege Dr. Ayhan Gezgin, Facharzt für Orthopädie und Unfallchir­urgie

Dr. Saadet Arda über das Gerücht, eine Corona-Impfung könnte

unfruchtba­r machen.

aus Ravensburg. Nach seiner Erfahrung spielt gerade bei älteren Menschen mit Migrations­hintergrun­d die Sprachbarr­iere eine Rolle. Informatio­nen aus türkischen Medien könne man nicht eins zu eins auf deutsche Verhältnis­se übertragen, zumal in der Türkei andere Impfstoffe eingesetzt würden.

Gezgin ist Mitglied der türkischis­lamischen Gemeinscha­ft. Für die Impfaktion hat er den Kontakt zu „Med-Türk“hergestell­t. So nennt sich eine Gruppe von Ärztinnen und Ärzten mit türkischen Wurzeln, die vor 20 Jahren gemeinsam in Ulm studiert haben. „Ursprüngli­ch waren wir nur eine Whatsapp-Gruppe“, berichtet Psychiater­in Arda. „Jetzt hat uns die Pandemie wieder zusammenge­bracht.“Die Ärzte impfen in ihrer Freizeit. Und freuen sich, dass sie dabei die Studienkol­legen von früher wiedersehe­n.

Gezgin ist froh, dass an diesem Tag zwei Ärztinnen im Team sind. Vielen Frauen falle es leichter, medizinisc­he Fragen mit einer Frau zu erörtern. Die Frauen würden sich zwar impfen lassen, aber mit einem kleinen Zweifel nach Hause gehen. Das will Gezgin vermeiden.

Die zweite Ärztin ist Dr. Nurcan Incekara. Die Kinderärzt­in aus Senden hat an diesem Tag in der Moschee neben einigen Erwachsene­n bereits 15 Kinder ab fünf Jahren geimpft. Alles in allem haben etwa zur Halbzeit der von 10 bis 16 Uhr dauernden Aktion schon rund 100 Personen die Spritze erhalten, berichtet der Vorsitzend­er der türkisch-islamische­n Gemeinscha­ft Ravensburg,

Hamza Erdogan. Ein Drittel von ihnen seien keine Muslime und wohl zum ersten Mal in der Moschee gewesen. Die türkisch-islamische Gemeinscha­ft Ravensburg hat 450 Mitglieder. Fast alle sind bereits geimpft und geboostert, berichtet Erdogan.

Mit der Impfaktion wolle man unter dem Motto „Gemeinsam gegen Corona“Barrieren abbauen „und unsere Gemeinscha­ft positiv sichtbar machen“, sagt der Vereinsvor­sitzende. „Die Gesellscha­ft braucht es momentan, geimpft zu werden – da wollen wir unsere Hände unter den Stein legen.“Damit bezieht sich Erdogan auf ein türkisches Sprichwort: Wer die Hände unter den Stein legt, der trägt ein Projekt mit. Ihm war es wichtig, zur Impfaktion alle Bürgerinne­n und Bürger einzuladen. Er hofft, dass sich daraus neue Kontakte entwickeln.

Das Senioren-Paar, das am Anfang noch so unsicher im Eingangsbe­reich stand, bewundert inzwischen die Moschee: das einfallend­e Sonnenlich­t, die kunstvoll gestaltete­n blau-goldenen Ornamente und die Weite des Raums. Dann werden sie von den beiden Ärztinnen in den Impfbereic­h gebracht. Das Zimmer ist sonst ein Unterricht­sraum, an der Wand hängt eine weiße Tafel, darüber eine rote Flagge mit Stern und Sichelmond. Die Impfung läuft ab wie überall sonst. Oder doch nicht ganz: „Impfung in Socken“, sagt Arzthelfer­in Jasmin Bogendörfe­r. „Das gibt es nur bei uns.“

Dr. Ayhan Gezgin

„Aber solche Gerüchte

haben vielen Leuten richtig Angst gemacht.“

„Manche Menschen sind schlecht informiert.“

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Im Frauenbere­ich auf der Empore der Mevlana-Moschee gibt es Arztgesprä­che vor der Impfung – ganz rechts beantworte­t Dr. Nurcan Incekara Fragen.
 ?? FOTOS: ELKE OBERLÄNDER ?? Dr. Saadet Arda impft im Unterricht­sraum der Mevlana-Moschee unter der türkischen Flagge.
FOTOS: ELKE OBERLÄNDER Dr. Saadet Arda impft im Unterricht­sraum der Mevlana-Moschee unter der türkischen Flagge.

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