Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ungebremst auf Talfahrt
VfB Stuttgart ist auch beim 0:2 in Freiburg chancenlos – Neuer negativer Vereinsrekord
FREIBURG (dpa) - Sven Mislintat redete sich in Rage, Sasa Kalajdzic wirkte ratlos. Während der Angreifer des VfB Stuttgart so aussah, als wollte er sich in seiner Jacke verkriechen, um dem Abstiegskampf auf diese Weise zu entfliehen, schaltete Sportdirektor Mislintat vor der Abreise in das sechstägige Trainingslager nach Marbella am Sonntag in den Angriffsmodus. Der Schuldige nach dem 0:2 (0:1) im Südwest-Derby beim SC Freiburg war in Tobias Stieler schnell gefunden. „Schiedsrichterleistungen dieser Art zerstören die Spiele“, polterte Mislintat beim TV-Sender Sky. „Es ist unfassbar, völlig irrsinnig. Es würde nie passieren, dass das gegen Mannschaften zurückgenommen wird, die eine andere Reputation haben als der VfB.“Schon beim 0:2 gegen RB Leipzig in der Vorwoche fühlten sich die Stuttgarter nach strittigen Entscheidungen ungerecht behandelt.
Die Szene, die den 49-Jährigen so rasend machte, ereignete sich in der 34. Minute. Nach einem Dribbling im Strafraum stürzte Alexis Tibidi über das Bein von Lukas Kübler. Der Videoschiedsrichter schaltete sich ein, obwohl keine klare Fehlentscheidung vorlag. Stieler betrachtete dann selbst die Fernsehbilder und kam zu dem Schluss, dass tatsächlich kein strafwürdiges Vergehen des Freiburger Verteidigers vorgelegen haben soll. Er nahm seine Entscheidung zurück. Im Gegenzug kam es dann noch schlimmer. Nach einem Fernschuss von Nicolas Höfler fälschte Hiroki Ito den Ball unhaltbar zum 1:0 ab. Nur Augenblicke vergingen zwischen den beiden Szenen, die als Sinnbild der bisherigen Saison des VfB herhalten könnten. „Die Phase war sicherlich ausschlaggebend für den restlichen Spielverlauf“, sagte Trainer Pellegrino Matarazzo über die Nackenschläge. „Wir hatten aber auch danach noch ausreichend Zeit, um die Partie umzubiegen.“Seiner Mannschaft fehlte in der Vorwärtsbewegung jedoch der Mut und so erhöhte Kevin Schade für die Breisgauer auf 2:0 (71.).
Die Zahlen der Schwaben, die in der Hinrunde auf zahlreiche Leistungsträger verzichten mussten, sprechen eine klare Sprache: Fünf Spiele nacheinander ohne Tor blieben sie in ihrer Vereinshistorie noch nie, und als Tabellen-17. beträgt der Rückstand zu den rettenden Plätzen drei Zähler. Der Tripp nach Spanien soll nun für einen Umschwung sorgen. „Die nächsten zwei Wochen sind sehr wichtig“, sagte Matarazzo über die Bundesliga. Das Trainingslager werde „athletisch eine Overload-Woche. Sehr viel arbeiten, damit wir für die nächsten Wochen einen Effekt erzielen. Es ist nicht ganz unwichtig für uns, noch fitter zu werden.“Das gilt ins Besondere für den wegen einer Schulterverletzung über vier Monate ausgefallenen Hoffnungsträger Kalajdzic. Auch der Österreicher erhofft sich neue Impulse. „Ich muss schauen, was ich besser machen kann und werde das mit dem Trainer analysieren. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht“, sagte Kalajdzic. „Das einzige Positive, das ich nach dem Spiel sehe, ist, dass wir jetzt zwei Wochen Zeit haben, uns vorzubereiten und zu trainieren.“
Der SC Freiburg ist nach einem holprigen Rückrundenstart derweil zurück in einem Stimmungshoch. Das Selbstvertrauen und der Glaube an die eigene Stärke sind nach dem ersten Bundesliga-Sieg im neuen Jahr und dem Einzug ins Viertelfinale des DFBPokals enorm. Nach dem vierten Sieg in Folge über den VfB Stuttgart sowie dem Achtelfinalerfolg unter der Woche gegen die TSG Hoffenheim sind die Breisgauer wieder die Nummer 1 im Südwesten. Von einer Verschiebung der Machtverhältnisse im Ländle will Freiburgs Trainer Christian Streich dennoch nichts wissen. So ein Thema könne er nun wirklich nicht gebrauchen, hatte der 56-Jährige schon vor dem Spiel gesagt. Stattdessen äußerte er nach dem Sieg Verständnis
für die Krise beim VfB. „Über viele Monate sind Schlüsselspieler mit schweren Verletzungen ausgefallen. Du kannst das nicht kompensieren in der Qualität“, erklärte Streich. „Es gibt nur ganz wenige Mannschaften, die das können. Wir könnten das auch nicht.“
Müssen die Freiburger auch nicht. Sie bleiben eine der größten positiven Überraschungen der Saison. Für Torschütze Höfler ist der fünfte Platz der verdiente Lohn harter Arbeit im Breisgau. „Wir haben extreme Qualität in der Mannschaft“, sagte er bei Sky. „Bis auf das 1:5 in Dortmund haben wir das in den letzten Monaten auch regelmäßig gezeigt. Wenn wir diese Linie weiterfahren, dann ist es extrem schwer, gegen uns zu gewinnen.“Von solch einem Selbstbewusstsein können sie in Stuttgart derzeit nur träumen.