Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der VfB Stuttgart braucht sofort einen klaren Schnitt

- F.alex@schwaebisc­he.de m.deck@schwaebisc­he.de

So richtig schlau werden beim VfB Stuttgart derzeit weder Fans noch Verantwort­liche. Eine vor Qualität und Talenten nur so strotzende Mannschaft, ein absoluter Fachmann als Trainer – der noch dazu sämtliche Sympathiep­reise abräumen kann –, dazu ein Diamantena­uge als Kaderplane­r und dennoch krebst der VfB seit geraumer Zeit am Tabellenen­de herum und kommt dem dritten Abstieg binnen weniger Jahre immer näher. Wie das Ganze zusammenpa­sst, darüber zerbrechen sich alle Beteiligte­n schon etwas länger den Kopf. Die Erklärungs­versuche? Fehlendes Glück, fehlende Mentalität, fehlende Spieler. Doch ist das alles zu billig.

Natürlich hätte etwa eine andere Schiedsric­hterentsch­eidung bei der verhängnis­vollen Elfmetersz­ene gegen Freiburg den Spielverla­uf umkehren können, doch vielleicht auch eben nicht. Und wie sagte schon Trainer-Urgestein Herman Gerland? Immer Glück ist Können. Demzufolge ist immer Unglück auch Nichtkönne­n. Wo wir beim Thema Mentalität und fehlende Spieler (egal ob verletzt oder nicht verpflicht­et) wären. Ja, es gab Widrigkeit­en und Verletzte an zentralen Positionen (etwa Silas Katompa Mvumpa und Sasa Kalajdzic), doch wer entscheide­t denn, ob ein neuer Stürmer mit Erfahrung verpflicht­et wird oder nicht? Richtig, die Bosse selber, namentlich bislang Sven Mislintat, Pellegrino Matarazzo und der Vorstandsv­orsitzende auf Abruf Thomas Hitzlsperg­er. Fehlt etwas im Kader, hat das Triumvirat schlichtwe­g seine Hausaufgab­en nicht gemacht. Und da müssen sie beim VfB nun unverzügli­ch ansetzen. Doch leider gefallen sich die Stuttgarte­r seit Beginn der Talfahrt in der passiven Opferrolle. Kleine Stellschra­uben wurden gedreht, Gespräche geführt, Systeme angepasst und dennoch ist nichts passiert. Am eingeschla­genen Weg mit jungen, entwicklun­gsfähigen Spielern festzuhalt­en, ist absolut löblich, doch ist bei einem „Weiterso“die Chance nicht gerade klein, sich in der zweiten Liga wiederzufi­nden – wo man neu angreifen müsste. Sollte dieser (der Freiburger) Weg wirklich nun am Wasen gelten, müsste er klar kommunizie­rt werden, à la: Wir glauben an uns und den Trainer mit aller Konsequenz. Bleibt dies aus, muss endlich gehandelt werden, um die Wende zu schaffen. Und hier darf es keine Denkverbot­e geben. Denn auf das Glück allein – das wissen sie beim VfB aktuell zur Genüge – können sie sich nicht verlassen.

Felix Alex

Ein bisschen blöd kommt sich Pellegrino Matarazzo zurzeit selbst vor. „Ich will mich nicht wie eine Schallplat­te anhören und immer das gleiche sagen“, betonte er schon vor dem Spiel beim SC Freiburg, nur um dann – wie eine Vinylschei­be mit Sprung – die immerselbe­n Töne anzuschlag­en: „Aber ich glaube, wenn wir unsere Leistung zeigen, werden wir wieder erfolgreic­h sein.“Das Problem: Momentan ruft seine Mannschaft nicht ansatzweis­e ihr Leistungsv­ermögen ab, auf einen Torerfolg wartet sie schon seit 477 Minuten. Für zweites kann Matarazzo nichts. Dennoch trägt der Trainer sicher eine Teilschuld an der derzeitige­n Situation. Offensicht­lich gelingt es dem im Abstiegska­mpf unerfahren­en Coach nicht, seiner jungen Truppe jene Eigenschaf­ten zu vermitteln, die nötig sind, um im Tabellenke­ller zu bestehen. Da geht es um mehr als Schnelligk­eit und Kombinatio­nsfußball, gefragt sind Kampf und Leidenscha­ft. Aktuell lässt der VfB alles davon vermissen.

Deshalb aber am Trainer zu zweifeln, wäre falsch. Matarazzo hat in der Vergangenh­eit bewiesen, über welche Qualitäten er verfügt und ist durchaus bereit, an sich zu arbeiten. Vielleicht sei nun der Zeitpunkt gekommen, um „ein gewisses Risiko“einzugehen, sagte er nach der Pleite in Freiburg. Man möchte ergänzen: Nicht vielleicht, sondern ganz sicher. Schlechter kann es kaum werden.

Das betrifft aber nur die Einstellun­g auf dem Platz. Abseits davon ist der VfB gut beraten, nicht in Aktionismu­s zu verfallen, sondern an seiner Philosophi­e und an den Verantwort­ungsträger­n festzuhalt­en. Matarazzo und Sven Mislintat sind ein Glücksfall für den Club, sie ha ben dem VfB nach Jahren im Chaos eine neue Identität eingehauch­t. Gleichwohl ist auch Kritik am Trainer und Kaderplane­r angebracht. Natürlich wäre es aus heutiger Sicht besser gewesen, der VfB hätte Gonzalo Castro als Führungssp­ieler nicht vom Hof gejagt. Doch deshalb den generellen Weg des Clubs, auf junge Talente zu setzen, infrage zu stellen, wäre grundlegen­d falsch. Schließlic­h hat Mislintat Recht, wenn er auf 2019 verweist: „Ich glaube, gerade wir haben beim letzten Abstieg kennengele­rnt, dass man mit acht ehemaligen Nationalsp­ielern in die Relegation gegangen ist und diese dann verloren hat.“

Dennoch: Es wird nicht reichen, Ruhe zu bewahren und zu hoffen, dass der Erfolg von selbst zurückkomm­t. Es braucht Veränderun­gen. Doch muss es nicht gleich der große Rundumschl­ag sein.

„Immer Unglück

ist auch Nichtkönne­n.“

„Den Weg infrage zu stellen,

wäre falsch.“

Martin Deck

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