Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der VfB Stuttgart braucht sofort einen klaren Schnitt
So richtig schlau werden beim VfB Stuttgart derzeit weder Fans noch Verantwortliche. Eine vor Qualität und Talenten nur so strotzende Mannschaft, ein absoluter Fachmann als Trainer – der noch dazu sämtliche Sympathiepreise abräumen kann –, dazu ein Diamantenauge als Kaderplaner und dennoch krebst der VfB seit geraumer Zeit am Tabellenende herum und kommt dem dritten Abstieg binnen weniger Jahre immer näher. Wie das Ganze zusammenpasst, darüber zerbrechen sich alle Beteiligten schon etwas länger den Kopf. Die Erklärungsversuche? Fehlendes Glück, fehlende Mentalität, fehlende Spieler. Doch ist das alles zu billig.
Natürlich hätte etwa eine andere Schiedsrichterentscheidung bei der verhängnisvollen Elfmeterszene gegen Freiburg den Spielverlauf umkehren können, doch vielleicht auch eben nicht. Und wie sagte schon Trainer-Urgestein Herman Gerland? Immer Glück ist Können. Demzufolge ist immer Unglück auch Nichtkönnen. Wo wir beim Thema Mentalität und fehlende Spieler (egal ob verletzt oder nicht verpflichtet) wären. Ja, es gab Widrigkeiten und Verletzte an zentralen Positionen (etwa Silas Katompa Mvumpa und Sasa Kalajdzic), doch wer entscheidet denn, ob ein neuer Stürmer mit Erfahrung verpflichtet wird oder nicht? Richtig, die Bosse selber, namentlich bislang Sven Mislintat, Pellegrino Matarazzo und der Vorstandsvorsitzende auf Abruf Thomas Hitzlsperger. Fehlt etwas im Kader, hat das Triumvirat schlichtweg seine Hausaufgaben nicht gemacht. Und da müssen sie beim VfB nun unverzüglich ansetzen. Doch leider gefallen sich die Stuttgarter seit Beginn der Talfahrt in der passiven Opferrolle. Kleine Stellschrauben wurden gedreht, Gespräche geführt, Systeme angepasst und dennoch ist nichts passiert. Am eingeschlagenen Weg mit jungen, entwicklungsfähigen Spielern festzuhalten, ist absolut löblich, doch ist bei einem „Weiterso“die Chance nicht gerade klein, sich in der zweiten Liga wiederzufinden – wo man neu angreifen müsste. Sollte dieser (der Freiburger) Weg wirklich nun am Wasen gelten, müsste er klar kommuniziert werden, à la: Wir glauben an uns und den Trainer mit aller Konsequenz. Bleibt dies aus, muss endlich gehandelt werden, um die Wende zu schaffen. Und hier darf es keine Denkverbote geben. Denn auf das Glück allein – das wissen sie beim VfB aktuell zur Genüge – können sie sich nicht verlassen.
Felix Alex
Ein bisschen blöd kommt sich Pellegrino Matarazzo zurzeit selbst vor. „Ich will mich nicht wie eine Schallplatte anhören und immer das gleiche sagen“, betonte er schon vor dem Spiel beim SC Freiburg, nur um dann – wie eine Vinylscheibe mit Sprung – die immerselben Töne anzuschlagen: „Aber ich glaube, wenn wir unsere Leistung zeigen, werden wir wieder erfolgreich sein.“Das Problem: Momentan ruft seine Mannschaft nicht ansatzweise ihr Leistungsvermögen ab, auf einen Torerfolg wartet sie schon seit 477 Minuten. Für zweites kann Matarazzo nichts. Dennoch trägt der Trainer sicher eine Teilschuld an der derzeitigen Situation. Offensichtlich gelingt es dem im Abstiegskampf unerfahrenen Coach nicht, seiner jungen Truppe jene Eigenschaften zu vermitteln, die nötig sind, um im Tabellenkeller zu bestehen. Da geht es um mehr als Schnelligkeit und Kombinationsfußball, gefragt sind Kampf und Leidenschaft. Aktuell lässt der VfB alles davon vermissen.
Deshalb aber am Trainer zu zweifeln, wäre falsch. Matarazzo hat in der Vergangenheit bewiesen, über welche Qualitäten er verfügt und ist durchaus bereit, an sich zu arbeiten. Vielleicht sei nun der Zeitpunkt gekommen, um „ein gewisses Risiko“einzugehen, sagte er nach der Pleite in Freiburg. Man möchte ergänzen: Nicht vielleicht, sondern ganz sicher. Schlechter kann es kaum werden.
Das betrifft aber nur die Einstellung auf dem Platz. Abseits davon ist der VfB gut beraten, nicht in Aktionismus zu verfallen, sondern an seiner Philosophie und an den Verantwortungsträgern festzuhalten. Matarazzo und Sven Mislintat sind ein Glücksfall für den Club, sie ha ben dem VfB nach Jahren im Chaos eine neue Identität eingehaucht. Gleichwohl ist auch Kritik am Trainer und Kaderplaner angebracht. Natürlich wäre es aus heutiger Sicht besser gewesen, der VfB hätte Gonzalo Castro als Führungsspieler nicht vom Hof gejagt. Doch deshalb den generellen Weg des Clubs, auf junge Talente zu setzen, infrage zu stellen, wäre grundlegend falsch. Schließlich hat Mislintat Recht, wenn er auf 2019 verweist: „Ich glaube, gerade wir haben beim letzten Abstieg kennengelernt, dass man mit acht ehemaligen Nationalspielern in die Relegation gegangen ist und diese dann verloren hat.“
Dennoch: Es wird nicht reichen, Ruhe zu bewahren und zu hoffen, dass der Erfolg von selbst zurückkommt. Es braucht Veränderungen. Doch muss es nicht gleich der große Rundumschlag sein.
„Immer Unglück
ist auch Nichtkönnen.“
„Den Weg infrage zu stellen,
wäre falsch.“
Martin Deck