Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Vom Plastikhüg­el zur Slalom-Krone

Ryding sorgt für Sensation in Kitzbühel – Erster britischer Weltcupsie­ger der Geschichte

- Von Marco Mader

KITZBÜHEL (SID) - Dave Ryding hatte ein Problem. „Die Kneipen machen ja früh zu“, sagte der erste britische Sieger in 55 Jahren Ski-Weltcup fast verzweifel­t. Wo also sollte er seinen historisch­en Triumph von Kitzbühel feiern angesichts der Corona-Sperrstund­e um 22 Uhr? Und so hoffte er, dass wenigstens seine Familie zu Hause im Dörfchen Bretherton bei Liverpool „einen Prosecco aufmacht“. Sie hatte allen Grund dazu: Als Ryding am legendären „Ganslernha­ng“auf die Knie sank und beseelt den Schnee küsste, war nie Dagewesene­s geschehen. Der Engländer Sir Arnold Lunn mag 1922 die ersten Slalomrege­ln festgelegt haben – doch im 1967 begründete­n Weltcup hatte nie zuvor ein Brite gewonnen.

Dass ausgerechn­et Ryding es schaffte, ist beinahe kitschig. „Es war eine lange und wahnsinnig­e Reise“, sagte der 35-Jährige, „von einem kleinen Plastikhüg­el im Vereinigte­n Königreich zum Kitzbühel-Sieger. Viel näher an einem Traum geht es nicht.“Dass er dabei auch von etlichen Ausfällen im zweiten Durchgang profitiert­e, konnte die Freude des Routiniers nicht schmälern. Und hielt die Konkurrenz nicht davon ab, dem beliebten Briten zu gratuliere­n. Alle freuten sich mit ihm – auch der Münchner Linus Straßer, der als 14. zumindest mal wieder Punkte sammelte, und der deutsche Ex-Skistar Felix Neureuther als TV-Experte, der „Pipi in den Augen“hatte. Rydings Trainer Jai Geyer warf sich weinend in den Schnee und schluchzte: „Er hat’s geschafft! Ich kann es nicht glauben!“Die „Krone“titelte: „Der nackte Wahnsinn!“, der „Kurier“wählte als Schlagzeil­e: „Easy Ryding.“

Besagter „Plastikhüg­el“erhebt sich in Pendle in der Grafschaft Lancashire, wo Liverpool-Fan Ryding Skifahren lernte – auf einer 130 Meter langen

Mattenpist­e „voller Gartenbürs­ten“, wie sein Vater Carl einmal sagte. Einmal im Jahr fuhr die Familie in die französisc­he Alpen, mit 13 bestritt Ryding in Norwegen sein erstes Rennen auf Schnee, in Belgien trainierte er später in einer Skihalle. „Die Leute dachten, ich wäre verrückt.“

Vor fünf Jahren war Ryding am „heiligen Berg“der Österreich­er hinter dem rot-weiß-roten Nationalhe­lden Marcel Hirscher schon mal Zweiter, er fuhr zwei weitere Podestplät­ze ein. Sein Sieg jetzt, sagte er, „bedeutet die Welt für mich. Ich bin stolz auf meine Story, weil es so was noch nie gab.“Wobei: Bei der Hahnenkamm­Premiere 1931 gewann der Engländer Gordon „die Maus“Cleaver die Kombinatio­n.

Wie alle Kitz-Sieger ziert Cleavers Name eine Gondel der Hahnenkamm­Bahn, im Spätsommer wird auch Ryding diese Ehre zuteil. Organisati­onschef Michael Huber lud dazu, dem Kitzbühele­r Selbstvers­tändnis entspreche­nd, niemand Geringeren als die Queen ein. Unrealisti­sch? „Wenn ich in Kitzbühel gewinnen kann“, sagte Ryding, „ist alles im Leben möglich!“

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FOTO: JOHANN GRODER/DPA Pure Ekstase: Als erster Brite überhaupt gewinnt Dave Ryding ein alpines Weltcupren­nen.

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