Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Zaudern bei der Impfpflicht
Die Debatte um die Impfpflicht, sie zieht sich hin. Und zieht sich hin. Und wird so immer mehr zum Spiegelbild einer CoronaPolitik, der es an Kraft, Mut und Führung fehlt.
Keine Frage, die Impfpflicht ist ein Eingriff in die Unversehrtheit des Körpers und auch kein Allheilmittel gegen die Pandemie. Sie könnte aber vielen Menschen das Leben retten, Corona-Langzeitschäden verhindern, das Gesundheitssystem entlasten und uns allen Freiheit zurückgeben. Dagegen stehen minimale Risiken. Zwar können viele Menschen von – zeitweisen – Impfnebenwirkungen berichten, von Langzeitschäden aber kaum welche. So wurde in Bayern bisher nur bei vier Personen ein impfbedingter Gesundheitsschaden anerkannt – bei 25 Millionen verabreichten Dosen. Und trotzdem wird das Thema überhöht, von Staatsfeinden gekapert und es verunsichert die Menschen. Was auch an der Unentschlossenheit der Politik liegt.
In vielen Staaten der Welt wird die Bekämpfung der Pandemie als nationale Aufgabe begriffen, bestimmt durch Überzeugungsarbeit (Zuckerbrot) und feste Regeln (Peitsche). Diesen Weg hat bisher keine Bundesregierung hinbekommen, im Gegenteil. Regelwirrwarr und Hickhack aus Verschärfung und Lockerung nehmen viele längst als lachhaft wahr. Ähnliches droht bei der Impfpflicht, die zu Beginn noch tabu war, erst kürzlich aber hochgejubelt wurde und jetzt schon wieder auf der Kippe steht.
Mag Abwägung bei dieser Frage noch richtig sein, erweckt die Debatte jedoch einmal mehr den Eindruck, als wollten die Entscheidungsträger mit ihrer Haltung bloß niemandem wehtun, es wird gezaudert, zerfleddert und vertagt. So lässt sich aber keine Politik machen. Weil Politik Klarheit und Konsequenz braucht. Karl Lauterbach indes, lange Taktgeber in der Pandemie, wirkt als Gesundheitsminister wie ein Getriebener. Und Olaf Scholz („Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch“) sollte sich vielleicht an Helmut Schmidt erinnern, auch ein sozialdemokratischer Kanzler. Und ein unerschrockener Meister der Krisen.