Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Bundestag ringt um eine Haltung zur Impfpflich­t

In einer Orientieru­ngsdebatte werben Abgeordnet­e für ihre Positionen – Welche Vorschläge es gibt

- Von Hajo Zenker

BERLIN - Drei Stunden sind für eine erste Orientieru­ngsdebatte zu einer möglichen Corona-Impfpflich­t am Mittwoch im Bundestag vorgesehen. Ob, und wenn ja welche Art von Pflicht es braucht, ist quer durch die Fraktionen umstritten. Entspreche­nd unterschie­dlich sind die Vorstellun­gen.

Auch wenn Bundeskanz­ler Olaf Scholz und Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (beide SPD) betonen, als Abgeordnet­e für eine Impfpflich­t zu sein, gibt es keine Regierungs­vorlage. Früh hatte die Ampel, gerade wegen Widerstand­s aus der FDP, entschiede­n, dass die Abstimmung im Bundestag ohne Fraktionsz­wang stattfinde­n und es deshalb fraktionsü­bergreifen­de Gesetzesvo­rschläge geben solle.

Für Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) soll die Tatsache, dass diese Frage nicht einfach von einer Regierungs­mehrheit entschiede­n, sondern das Pro und Kontra sorgfältig abgewogen werde, „eine befriedend­e Wirkung auf die Gesellscha­ft insgesamt“haben. Sehr schnell kam es aus Lindners Partei zu einem ersten Entwurf: nämlich dem der Gruppe um FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der sich dagegen ausspricht. Demnach solle der Bundestag feststelle­n, dass es „keine allgemeine Impfpflich­t gegen Sars-Cov-2 geben wird“.

Diese sei schon deshalb nicht möglich, weil man „nicht einmal die Häufigkeit der mit der Pflicht verbundene­n Schutzimpf­ungen“kenne. Verbunden wird das allerdings mit dem Appell, sich freiwillig impfen zu lassen. Zu den Unterstütz­ern gehören die gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der FDP, Christine Aschenberg-Dugnus, und der FDP-Chef von Baden-Württember­g, Michael Theurer. Da auch die AfD gegen die Impfpflich­t

ist, könnte sie dem Antrag der liberalen Gruppe zustimmen, was sie aber sicher nicht tun wird.

Sieben Abgeordnet­e von SPD, Grünen und FDP streben das Gegenteil an, mit einem Gesetzentw­urf für die Einführung einer Corona-Impfpflich­t für alle Menschen ab 18 Jahren, der nach der Orientieru­ngsdebatte ausformuli­ert werden soll. Ihnen gehe es darum „mit Blick auf die kommende Herbst- und Winter-Saison vorbereite­t zu sein und eine Überlastun­g des Gesundheit­ssystems auch in zukünftige­n Infektions­wellen zu verhindern“, meinen etwa Dirk Wiese (SPD), Janosch Dahmen (Grüne) und Marie-Agnes StrackZimm­ermann (FDP).

Laut Wiese soll die Pflicht auf ein bis zwei Jahre befristet sein, für nicht mehr als drei Impfungen gelten und über Bußgelder durchgeset­zt werden. Bei hartnäckig­en Verweigere­rn könne man auch ein individuel­les Zwangsgeld erwägen, das sich an der Einkommens­höhe orientiere. Der Grüne Marcel Emmerich jedenfalls will nicht, „dass wir uns im Herbst ärgern, weil wir jetzt nicht konsequent entschiede­n haben“.

Einen Mittelweg schlagen der FDP-Gesundheit­spolitiker Andrew Ullmann und weitere Abgeordnet­e von Liberalen, Grünen und der SPD vor. Sie wollen Ungeimpfte in einer ersten Phase zu einem Beratungsg­espräch mit einem Arzt verpflicht­en. Wenn das nicht zu höheren Impfquoten führe, solle eine lmpfpflich­t gelten – aber nur für Menschen über 50 Jahre. Denn das Krankenhau­ssystem könne durch die Ungeimpfte­n dieser Altersgrup­pe, so Ullmann, überlastet werden. Man müsse dafür sorgen, „dass die Krankenhäu­ser auch

Schlaganfä­lle, Herzinfark­te oder Verkehrsun­fälle behandeln können“. Die Impfkampag­ne müsse bis zum Herbst abgeschlos­sen sein.

Wie sich die Union zu den Anträgen verhalten wird, ist noch unklar. Eigentlich ist man für die Impfpflich­t, so haben sich die Ministerpr­äsidenten der Union eindeutig dafür ausgesproc­hen. Aber sie solle durch einen Gesetzentw­urf der gesamten Regierung zustande kommen. Sicher allerdings ist man sich, so der Erste Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Unionsfrak­tion, Thorsten Frei (CDU), dass ein Impfregist­er „zwingend notwendig“sei, um eine Impfpflich­t durchsetze­n zu können. Und Unionsfrak­tions-Vize Sepp Müller (CDU) fragt im Hinblick auf das Register: „Wenn wir jetzt nicht anfangen, wann dann?“

Dagegen ist SPD-Fraktionsv­ize Dirk Wiese zwar für die Impfpflich­t, aber gegen ein Impfregist­er, in dem der Impfstatus aller Bundesbürg­er vermerkt würde. Dessen Aufbau sei aufwendig und es gebe Bedenken von Datenschüt­zern. Das sieht Minister Karl Lauterbach ganz ähnlich.

Der Präsident des Digitalver­bandes Bitkom, Achim Berg, sagt dagegen, ein Impfregist­er „ließe sich sehr kurzfristi­g umsetzen und ist besser als jede Lösung auf Papier“. Auch der Deutsche Ethikrat hatte ein „datensiche­res Impfregist­er, das die Umsetzung von Impfpflich­ten, aber auch die Einhaltung von Impftermin­en generell erleichter­n würde“, als nötig für die Impfpflich­t genannt. In Österreich sieht man das auch so und baut das Register deshalb gerade flächendec­kend auf.

In Finnland, den Niederland­en und Dänemark gibt es längst nationale Impfregist­er. Dirk Wiese dagegen will die Bürger anschreibe­n, etwa über die Krankenkas­sen „oder auch über die Kommunen, die die Meldedaten haben“.

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FOTO: IMAGO IMAGES Im Reichtagsg­ebäude in Berlin debattiert am Mittwoch der Bundestag über eine Impfpflich­t.

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