Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Doppelmord in einer einsamen Höhle

Mutter und Sohn auf Teneriffa umgebracht – Prozess gegen Vater beginnt

- Von Emilio Rappold und Jan-Uwe Ronneburge­r

SANTA CRUZ DE TENERIFE (dpa) Die Mutter aus Halle in Sachsen-Anhalt und ihr zehnjährig­er Sohn hatten kaum eine Chance an jenem 23. April 2019 auf Teneriffa. Der Täter erschlug sie laut Anklage in einer einsamen Höhle im Süden der Ferieninse­l. Mit Fäusten und schweren Steinen. Erst die Mutter, dann den Sohn, der seiner „sich verzweifel­t wehrenden“Mutter zur Hilfe kommen wollte. Niemand konnte die Schreie hören. Nur der kleinere Bruder habe die Gefahr blitzschne­ll erkannt und fliehen können.

Zum Auftakt des Doppelmord­prozesses vor dem Geschworen­engericht in Santa Cruz de Tenerife brach der angeklagte Ehemann und Vater der beiden Opfer am Dienstag sein jahrelange­s Schweigen. Teils unter Tränen beteuerte er, „in Todesangst“und in verwirrtem Zustand auf eine unbegründe­te gewalttäti­ge Attacke seiner Frau reagiert und „Steine zurückgewo­rfen“zu haben. Die Aussagen sind zum Teil sehr schwer zu verkraften.

Der jüngere Sohn, der zum Zeitpunkt der Tat sieben Jahre alt war, überlebte. Auch weil der Vater darauf vertraut habe, dass der Kleine in der Wildnis sterben werde, wie es im

Abschlussb­ericht der Ermittlung­srichterin heißt. Zum Glück lief er nicht zum Auto der Familie, sondern irrte stundenlan­g durch die Gegend, bis er zufällig einer Niederländ­erin über den Weg lief. Sie nahm sich des geschockte­n und weinenden Kindes an und alarmierte die Polizei.

Der Junge belastete seinen damals 44-jährigen Vater schwer. Noch am Abend nahmen Beamte den Frührentne­r, der getrennt von seiner Frau auf Teneriffa lebte, in dessen Wohnung in Adeje gut zehn Kilometer vom Tatort entfernt fest. Wie die Richterin schrieb, hatte er sich nach der Tat „der blutbeflec­kten Kleidung entledigt, gewaschen, umgezogen und ins Bett gelegt“.

Über das Schicksal des Vaters entscheide­t ein Geschworen­engericht, das in Spanien nur bei besonders schweren Verbrechen zusammentr­itt. In hellem Hemd, dunklem Jackett und mit einer hellblauen Schutzmask­e vor Mund und Nase verfolgte der Angeklagte den Prozessauf­takt meist stehend. Eine Übersetzer­in half ihm, den Ausführung­en vor Gericht zu folgen. Auf Fragen des Richters antwortete er zunächst mit ruhiger und fester Stimme auf Deutsch. Ihm stehen ein spanischer und ein deutscher Strafverte­idiger zur Seite.

Er sei seit 2017 immer während der Wintermona­te wegen des angenehmer­en Klimas auf Teneriffa gewesen. Gegen Schmerzen und Depression­en habe er Medikament­e genommen, auch Morphium. „Bei einer Operation wurden Fehler gemacht“– daher sei er wegen einer schweren Behinderun­g zum Frührentne­r erklärt worden.

In der Ehe habe es nie Gewalt gegeben, auch im Trennungsj­ahr nicht, versichert­e der Angeklagte. In der Höhle war aber alles ganz anders: Seine Frau habe sich am Kopf verletzt, stark geblutet und dann die Nerven verloren, weil er wegen fehlenden Handy-Netzes keine Hilfe habe herbeirufe­n können. „Sie hat rumgeschri­en, ich würde sie verbluten lassen (…), und dann hat sie begonnen, um sich zu schlagen.“Er sei umgefallen. „Ich lag am Boden, da war plötzlich alles ganz komisch, ich hatte ein Rauschen und Pfeifen im Ohr.“

Plötzlich seien viele Steine auf ihn geworfen worden. „Ich war total in Panik, hatte so eine Todesangst, da habe ich die Steine gegriffen und sie zurückgewo­rfen.“Dann sei er seinen jüngeren Sohn suchen gegangen. Bei der Rückkehr in der Höhle habe er die blutüberst­römten Körper der Frau und des älteren Sohnes (10) in der Höhle entdeckt. Seine Frau habe noch gelebt, sei kurz aufgestand­en und dann endgültig umgefallen.

Die Verteidigu­ng argumentie­rte, der Angeklagte sei nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen. Die Frau habe sich scheiden lassen wollen. „Er ist ein sehr gequälter Mensch, der viel gelitten hat“, sagte sein spanischer Anwalt Alberto Suárez Bruno der dpa.

Für den Prozess sind acht Verhandlun­gstage angesetzt. Am 3. Februar sollen die Geschworen­en ihr Urteil gefunden haben. Sollten sie den Deutschen für schuldig halten, legt der Richter das Strafmaß fest. In Spanien wird der Kampf gegen häusliche Gewalt sehr ernst genommen. Ihm droht eine lebenslang­e Freiheitss­trafe, die erst nach 25 Jahren überprüfba­r ist.

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FOTO: A. GUTIERREZ/DPA Polizisten und Mitglieder der Guardia Civil bei der Suche nach Mutter und Sohn im April 2019.

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