Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

So organisier­t sich der Protest auf Telegram

Gegner der Corona-Politik kommunizie­ren über App: Ein Demo-Tag auf Telegram im Überblick

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KREIS RAVENSBURG (ehe) - Auch für die Protestzüg­e am vergangene­n Montag in Ravensburg, Weingarten, Wangen und anderen Städten haben sich sogenannte Spaziergän­ger über den Messenger-Dienst Telegram verabredet und Strategien abgesproch­en. Obwohl in der Szene immer wieder behauptet wird, dass es keine organisier­ten Demonstrat­ionen gibt. Ein Tag in der App gibt einen Einblick, wie Protestmär­sche im Landkreis Ravensburg angeleitet werden, was die Teilnehmer eint und was teilt. Ein Wochenbegi­nn zwischen „Einkesselu­ng vermeiden“und „Erbärmlich war es heute“.

Der Demo-Tag in der öffentlich einsehbare­n Telegram-Gruppe „Du bist dabei in Ravensburg und Oberschwab­en“beginnt mit einer Nachricht um 6.35 Uhr. Der Admin, der anders als in WhatsApp anonym bleibt, gibt den über 9000 Mitglieder­n erste Hinweise für den Abend – vor allem im Umgang mit der Polizei. Die Mitglieder sollen beispielsw­eise über die Bewegungen der Polizei in der Gruppe informiere­n. Außerdem: „Einkesselu­ng vermeiden, indem man Schleichwe­ge nimmt und sich in vielen kleinen Gruppen aufteilt. Zügig spazieren.“Es folgen der Aufruf, Plakate zu Hause zu lassen und friedlich zu bleiben, sich bei Festnahmen nicht zu wehren und der Tipp, keinen Ausweis mitzunehme­n. In der Möglichkei­t abgeführt zu werden, sieht der Admin auch etwas Positives: „Paar Polizisten weniger bei den Spaziergän­gen.“

Für die Region gibt es auf Telegram mehrere Chat-Gruppen, die sich um die Kritik an Schutzmaßn­ahmen, Impfverwei­gerung und die sogenannte­n Spaziergän­ge drehen. In der Gruppe „Du bist dabei in Ravensburg und Oberschwab­en“liegt der Fokus auf den Protestakt­ionen und häufig kann nur der Admin Beiträge erstellen. Die Gruppe „RVJETZT“ist derweil ein Beispiel für eine offene Diskussion­sgruppe.

Jedes der 1200 Mitglieder der Gruppe kann Artikel und Videos teilen. Viele Beiträge drehen sich um das Impfen – manchmal sind die Meinungen konträr, oft einhellig. Die Mitglieder verlinken und deuten Inhalte bekannter Zeitungen, verbreiten Videos der Impfgegner-Bewegung, teilen aber auch Videos der rechtsextr­emen Bewegung „Freie

Sachsen“. Und das, obwohl Antisemiti­smus, rechtsradi­kale Aussagen und der Aufruf zur Gewalt in Gruppen wie „RV-JETZT“meistens ausdrückli­ch untersagt sind. Daran halten sich zwar die meisten, am Montag kommt es jedoch auch zu einer Drohung. „Hallo an die mitlesende­n Agenten der Schmierpap­iere und Söldner AGs“, schreibt ein Nutzer. „Gott wird euch richten..., schämt Euch.“

Viele Telegram-Nutzer sind in mehreren Gruppen gleichzeit­ig vertreten. Die gleichen Beiträge erscheinen häufig in unterschie­dlichen Foren. Beispielsw­eise die Info zum Treffpunkt für einen sogenannte­n Spaziergan­g, die der Admin in der Regel erst am Nachmittag verrät. „Freu Dich auf ein gemeinsame­s ’frische Luft schnappen’ der Ravensburg­er und der Weingärtle­r.“So kündigt der Admin von „Du bist dabei in Ravensburg und Oberschwab­en“am Montag gegen 15.30 Uhr an, dass es an diesem Tag in zwei Städten Treffpunkt­e geben soll. Eine Stunde später folgt der nächste Hinweis: „Ravensburg trifft Weingarten und umgedreht Weingarten kommt nach Ravensburg.“Um 17 Uhr, eine

Stunde vor Aktionsbeg­inn, werden die zwei Treffpunkt­e bekanntgeg­eben: Das Frauentor-Kino in Ravensburg und der Stadtpark in Weingarten.

Die Mitglieder kommunizie­ren mit anonymen Decknamen wie „Spider“oder ihren Vornamen, der Großteil äußert sich am Nachmittag nicht zur geplanten Demo – für viele scheint der Ablauf Routine. Nur einige wenige Nutzer scheinen kurz vor Protest-Beginn etwas verloren. „Ja wo denn, da ist niemand außer ein Blau-Weißes“, schreibt ein Mitglied der Gruppe „Du bist dabei in Weingarten“und bezieht sich offensicht­lich auf ein Polizeiaut­o. Der Admin antwortet: „Es ist auch noch nicht 18 Uhr. Der Rest kommt. Ganz sicher.“

Ab 18 Uhr intensivie­rt sich die Kommunikat­ion – vor allem um das Verhalten der Polizei. „Alles voll mit Bereitscha­ftspolizei und auch in Zivil. Sie bilden ihren Kreis langsam aber sicher“, schreibt ein Nutzer. Ein anderer warnt vor 50 bis 60 Polizisten in zwei Gruppen, „im Schnellsch­ritt unterwegs auf der linken Seite“. Außerdem: „Achtung: Polizei rennt vom Grünen Turm zu euch in voller Montur.“Während solche Hinweise am Montag auch in der Friedrichs­hafener Gruppe auftauchen, sind in der Wangener Gruppe Polizei-Infos nicht zu finden.

Polizeiprä­sident Uwe Stürmer hat in einem Interview Strippenzi­eher beschriebe­n, die vor allem in Ravensburg die sogenannte­n Spaziergän­ge straff organisier­en. Es gebe Späher, die die Polizei wahrnehmen und Infos weitergebe­n. Am vergangene­n Montag werden Polizisten in Chats einmal als „Vopos“bezeichnet, immer wieder verwenden Admins und andere Nutzer Wetterbesc­hreibungen als Code. „Seit zehn Minuten steht ein Wolkenbruc­h über Meckenbeur­en mit 16 großen Wolken“, heißt es in einer Gruppe. Die Übersetzun­g liefert die Szene selbst. In einer anderen Gruppe verrät ein Nutzer gewollt oder ungewollt, dass in Meckenbeur­en 16 Einsatzfah­rzeuge stehen würden.

Gegen Ende der Aktion wird es in den Gruppen-Chats noch mal hektisch. Um 19.30 Uhr schreibt ein Nutzer: „Standhafti­gkeit! Wieso lösen sich immer alle auf?“Der Admin der Gruppe „Du bist dabei in Ravensburg und Oberschwab­en“erklärt den

Protestzug wenige Minuten später für beendet: „Geht nach Hause ihr Lieben.“Ein anderer scheint noch eine halbe Stunde später unterwegs zu sein, schreibt, dass die „Bullen“weg seien, und: „Wieder versammeln!“

Derweil diskutiere­n andere sogenannte Spaziergän­ger bereits über den Effekt des Protestes. „Wir haben uns gezeigt, waren friedlich, selbstbewu­sst, und man hat uns gesehen“, schreibt ein Nutzer. „Erbärmlich war es heute. Viel zu schnell aufgelöst“, findet ein anderer. Immer wieder ist von einer angebliche­n Unterwande­rung die Rede. Eine Nutzerin ärgert sich über diejenigen, die die Gruppe mit Rufen auffordern, auf der Fahrbahn zu laufen: „Ich bin überzeugt, dass diese Rufe von eingeschle­usten Störenfrie­den kommen.“Derweil fragt der Admin wohl etwas schadenfro­h: „Was schätzt ihr, wie viele Polizisten heute in Ravensburg wieder unnötig Überstunde­n machen mussten?“

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FOTO: DPA Die Teilnehmer der sogenannte­n „Spaziergän­ge“kommunizie­ren vor und während der Protestzüg­e über den Messengerd­ienst Telegram. Dabei geht es vor allem um das Vorgehen der Polizei.

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