Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Eisbaden-Selbstversuch bringt Reporter an Grenzen
Redakteur geht im Stadtsee von Bad Waldsee baden – Wie sich das anfühlt
BAD WALDSEE - Die sogenannte Kältegruppe geht regelmäßig im Bad Waldseer Stadtsee eisbaden – und ich will als Reporter mitmachen. Erst unterschätzte ich den Selbstversuch, zwischendurch bekam ich es mit der Angst zu tun und fühlte mich am Ende wie ein betrunkener Jugendlicher. Aber der Reihe nach.
Mein Abenteuer Eisbaden beginnt mit einem Anruf bei Gabriel Hofmann. Er ist Personal Coach in Bad Waldsee, leitet die Kältegruppe und wird mich bei meinem ersten Sprung in den eiskalten Stadtsee begleiten. Sein erstes Mal Eisbaden ist schon fast vier Jahre her, erzählt Hofmann am Telefon. Er habe während eines Seminars davon mitbekommen, sich eingelesen und es mit einer Freundin ausprobiert.
Mit der Zeit seien immer mehr badebegeisterte Waldseer hinzugekommen. „Anfangs habe ich noch allen ein bisschen was erklärt, dann kamen auch viele, denen ich gar nichts mehr beibringen musste“, sagt Hofmann. Vor Corona sei Eisbaden noch ein echter Geheimtipp gewesen, mittlerweile ist es ein bundesweiter Trend.
Ich verabrede mich mit Gabriel Hofmann für Ende Januar und mache mir in den nächsten Tagen erst einmal kaum Gedanken, was da auf mich zukommt. Dann, am Abend vor dem Eisbaden, als ich zum ersten Mal ernsthaft zu dem Thema recherchiere, packt mich die Angst.
Online wird beispielsweise ein Vorgespräch mit dem Arzt empfohlen, gerade für Anfänger gebe es gesundheitliche Gefahren, wegen welcher man bloß nicht alleine baden solle. Ich merke, ich habe den Selbstversuch unterschätzt. Hoffnung macht mir nur die Tatsache, dass der Kopf bei der sogenannten Wim-HofMethode, nach der auch ich am nächsten Tag baden gehen werde, über Wasser bleibt.
Der nächste Tag. Misstrauisch drücke ich die dünne Eisdecke am Ufer des Stadtsees ein. Es ist Mittag, die Außentemperatur beträgt um die null Grad, die Wassertemperatur liegt je nach Tiefe irgendwo um den Gefrierpunkt. Gabriel Hofmann hat zwei Mitglieder der Kältegruppe mitgebracht. Arnea und Milat berichten mir direkt von ihren Rekordzeiten. Eine Waldseerin habe schon einmal 15 Minuten ausgehalten.
Bei einer Bank am See ziehen wir uns um – die Aufregung steigt. Hofmann gibt mir noch einige Tipps und fragt, ob ich Probleme mit dem Herz oder eine Erkältung hätte. „Nein, nein“, sage ich. „Und wenn doch?“, denke ich und Angst steigt wieder in mir auf. Wir atmen noch mal einige Male konzentriert ein und aus. An diese Atmung solle ich mich gleich erinnern, wenn ich im Wasser bin. „Nicht hyperventilieren“, lautet die Ansage.
Und dann geht alles ganz schnell. Hofmann geht mit zügigen Schritten voraus, ich hinterher. Schon steht der Coach bis über die Hüfte im Wasser, dreht sich zu mir um und taucht bis zur Schulter ins Wasser. Ohne nachzudenken, mache ich es ihm nach.
Ich beiße direkt die Zähne aufeinander, die Kälte trifft mich mit voller Wucht. Mein Gehirn hört mit einem Schlag auf zu arbeiten. Ich denke nicht ans Flüchten, spüre keine Kälte oder Schmerz – ich bin gedankenlos. Später erklärte Hofmann, dass der Stresslevel des Körpers beim Eisbaden ähnlich wie bei einem Fallschirmsprung ist. „Das Gehirn denkt, man sterbe und stellt auf einen Notmodus.“Es dauert einige Momente, bis ich beispielsweise meine Atmung wahrnehme. Die will ich zwar kontrollieren, muss aber doch immer wieder nach Luft schnappen. Ich bemerke meinen Oberkörper, der sich anfühlt, als würde er jeden Moment zerspringen – mir wird schlecht.
Völlig normal, erklärt Hofmann später. „Das Blut zieht sich aus den
Gliedmaßen und sammelt sich um die Organe, um diese zu schützen.“Ich hocke seit rund einer Minute im Wasser, als meine Haut beginnt zu brennen, die Zehen und Finger schmerzen. In der Hocke verliere ich kurz das Gleichgewicht und drohe komplett ins Wasser einzutauchen – ich fange mich aber.
Nach zwei Minuten zementiert sich langsam ein Fluchtgedanke, ich will nicht mehr. „Du siehst doch noch gut aus, du hast Farbe im Gesicht und keine blauen Lippen“, ermutigt mich Hofmann. Jetzt fängt der Spaß doch erst an, sagen Arnea und Milat, die komplett entspannt wirken. Ich will antworten, kriege aber keinen geraden Satz heraus.
Nach drei Minuten beginnt das Zittern. Kein nervöses Zittern, sondern ein Beben, das aus der Körpermitte ausstrahlt. Ich schaue Hilfe suchend ans Ufer, dann zu Hofmann, der es schafft, mich mit seinen Worten und Blicken zu beruhigen.
Nach vier Minuten richten wir uns endlich auf. Auf dem Weg zum Ufer überkommen mich bereits Glücksgefühle, der Körper bemerkt, dass die Ausnahmesituation überstanden ist. Wenn man die extreme
Belastung hinter sich gelassen hat, stoße der Körper Endorphine aus, erklärt Hofmann. Das merke ich in den folgenden Minuten immer deutlicher. Ich bin euphorisch und auch ein bisschen albern. Das Gefühl erinnert mich an meine Jugend, als ich die ersten Male die Wirkung von Alkohol gespürt habe und dachte, die Welt läge mir zu Füßen.
Mein Körper schlottert und meine Zähne klappern, ich darf mich aber noch nicht anziehen und auch von einer warmen Dusche im Anschluss rät Hofmann mir ab – wenn, dann erst am Abend. Wir bewegen unsere Arme, um das Blut wieder zum Zirkulieren zu bringen. Erst dann geht es wieder in die Klamotten, doch das ist schwerer als gedacht. Füße und Hände fühlen sich geschwollen an, das Feingefühl ist weg. Als ich endlich angezogen bin, jagen Schauer über meinen Rücken, die Haut britzelt. Das Zeichen einer guten Durchblutung, sagt Hofmann.
Doch warum eigentlich Eisbaden? Bei regelmäßiger Anwendung kann sich das Immunsystem verbessern, eindeutig wissenschaftlich bestätigt ist das aber nicht. Gesichert scheint der Effekt der besseren Durchblutung,
was einen stabilisierenden Effekt auf den Blutdruck und das HerzKreislauf-System hat. „Es wirkt jedoch vor allem gut gegen das Wintertief, das viele von uns jedes Jahr durchlaufen.“Viele würden schlecht gelaunt zum Eisbaden kommen und gehen gut gelaunt nach Hause. Bei vielen halte dieses Hoch viele Tage an.
Bei mir hält die Euphorie den restlichen Tag, auch mein Körper braucht eine ganze Weile, um sich zu regulieren. Mal ist die Haut kalt, dann brennen Oberschenkel und Füße plötzlich. Am Tag darauf fühle ich mich aber schon wieder ganz normal, ich bin weder schlapp noch voller Energie.
Geschadet hat es mir also nicht, regelmäßig würde ich jedoch nicht eisbaden. Die Intensität der Kälte und die ungeahnte Reaktion des Körpers haben mir eher Respekt eingeflößt als Lust auf mehr.