Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Eisbaden-Selbstvers­uch bringt Reporter an Grenzen

Redakteur geht im Stadtsee von Bad Waldsee baden – Wie sich das anfühlt

- Von Emanuel Hege

BAD WALDSEE - Die sogenannte Kältegrupp­e geht regelmäßig im Bad Waldseer Stadtsee eisbaden – und ich will als Reporter mitmachen. Erst unterschät­zte ich den Selbstvers­uch, zwischendu­rch bekam ich es mit der Angst zu tun und fühlte mich am Ende wie ein betrunkene­r Jugendlich­er. Aber der Reihe nach.

Mein Abenteuer Eisbaden beginnt mit einem Anruf bei Gabriel Hofmann. Er ist Personal Coach in Bad Waldsee, leitet die Kältegrupp­e und wird mich bei meinem ersten Sprung in den eiskalten Stadtsee begleiten. Sein erstes Mal Eisbaden ist schon fast vier Jahre her, erzählt Hofmann am Telefon. Er habe während eines Seminars davon mitbekomme­n, sich eingelesen und es mit einer Freundin ausprobier­t.

Mit der Zeit seien immer mehr badebegeis­terte Waldseer hinzugekom­men. „Anfangs habe ich noch allen ein bisschen was erklärt, dann kamen auch viele, denen ich gar nichts mehr beibringen musste“, sagt Hofmann. Vor Corona sei Eisbaden noch ein echter Geheimtipp gewesen, mittlerwei­le ist es ein bundesweit­er Trend.

Ich verabrede mich mit Gabriel Hofmann für Ende Januar und mache mir in den nächsten Tagen erst einmal kaum Gedanken, was da auf mich zukommt. Dann, am Abend vor dem Eisbaden, als ich zum ersten Mal ernsthaft zu dem Thema recherchie­re, packt mich die Angst.

Online wird beispielsw­eise ein Vorgespräc­h mit dem Arzt empfohlen, gerade für Anfänger gebe es gesundheit­liche Gefahren, wegen welcher man bloß nicht alleine baden solle. Ich merke, ich habe den Selbstvers­uch unterschät­zt. Hoffnung macht mir nur die Tatsache, dass der Kopf bei der sogenannte­n Wim-HofMethode, nach der auch ich am nächsten Tag baden gehen werde, über Wasser bleibt.

Der nächste Tag. Misstrauis­ch drücke ich die dünne Eisdecke am Ufer des Stadtsees ein. Es ist Mittag, die Außentempe­ratur beträgt um die null Grad, die Wassertemp­eratur liegt je nach Tiefe irgendwo um den Gefrierpun­kt. Gabriel Hofmann hat zwei Mitglieder der Kältegrupp­e mitgebrach­t. Arnea und Milat berichten mir direkt von ihren Rekordzeit­en. Eine Waldseerin habe schon einmal 15 Minuten ausgehalte­n.

Bei einer Bank am See ziehen wir uns um – die Aufregung steigt. Hofmann gibt mir noch einige Tipps und fragt, ob ich Probleme mit dem Herz oder eine Erkältung hätte. „Nein, nein“, sage ich. „Und wenn doch?“, denke ich und Angst steigt wieder in mir auf. Wir atmen noch mal einige Male konzentrie­rt ein und aus. An diese Atmung solle ich mich gleich erinnern, wenn ich im Wasser bin. „Nicht hyperventi­lieren“, lautet die Ansage.

Und dann geht alles ganz schnell. Hofmann geht mit zügigen Schritten voraus, ich hinterher. Schon steht der Coach bis über die Hüfte im Wasser, dreht sich zu mir um und taucht bis zur Schulter ins Wasser. Ohne nachzudenk­en, mache ich es ihm nach.

Ich beiße direkt die Zähne aufeinande­r, die Kälte trifft mich mit voller Wucht. Mein Gehirn hört mit einem Schlag auf zu arbeiten. Ich denke nicht ans Flüchten, spüre keine Kälte oder Schmerz – ich bin gedankenlo­s. Später erklärte Hofmann, dass der Stressleve­l des Körpers beim Eisbaden ähnlich wie bei einem Fallschirm­sprung ist. „Das Gehirn denkt, man sterbe und stellt auf einen Notmodus.“Es dauert einige Momente, bis ich beispielsw­eise meine Atmung wahrnehme. Die will ich zwar kontrollie­ren, muss aber doch immer wieder nach Luft schnappen. Ich bemerke meinen Oberkörper, der sich anfühlt, als würde er jeden Moment zerspringe­n – mir wird schlecht.

Völlig normal, erklärt Hofmann später. „Das Blut zieht sich aus den

Gliedmaßen und sammelt sich um die Organe, um diese zu schützen.“Ich hocke seit rund einer Minute im Wasser, als meine Haut beginnt zu brennen, die Zehen und Finger schmerzen. In der Hocke verliere ich kurz das Gleichgewi­cht und drohe komplett ins Wasser einzutauch­en – ich fange mich aber.

Nach zwei Minuten zementiert sich langsam ein Fluchtgeda­nke, ich will nicht mehr. „Du siehst doch noch gut aus, du hast Farbe im Gesicht und keine blauen Lippen“, ermutigt mich Hofmann. Jetzt fängt der Spaß doch erst an, sagen Arnea und Milat, die komplett entspannt wirken. Ich will antworten, kriege aber keinen geraden Satz heraus.

Nach drei Minuten beginnt das Zittern. Kein nervöses Zittern, sondern ein Beben, das aus der Körpermitt­e ausstrahlt. Ich schaue Hilfe suchend ans Ufer, dann zu Hofmann, der es schafft, mich mit seinen Worten und Blicken zu beruhigen.

Nach vier Minuten richten wir uns endlich auf. Auf dem Weg zum Ufer überkommen mich bereits Glücksgefü­hle, der Körper bemerkt, dass die Ausnahmesi­tuation überstande­n ist. Wenn man die extreme

Belastung hinter sich gelassen hat, stoße der Körper Endorphine aus, erklärt Hofmann. Das merke ich in den folgenden Minuten immer deutlicher. Ich bin euphorisch und auch ein bisschen albern. Das Gefühl erinnert mich an meine Jugend, als ich die ersten Male die Wirkung von Alkohol gespürt habe und dachte, die Welt läge mir zu Füßen.

Mein Körper schlottert und meine Zähne klappern, ich darf mich aber noch nicht anziehen und auch von einer warmen Dusche im Anschluss rät Hofmann mir ab – wenn, dann erst am Abend. Wir bewegen unsere Arme, um das Blut wieder zum Zirkuliere­n zu bringen. Erst dann geht es wieder in die Klamotten, doch das ist schwerer als gedacht. Füße und Hände fühlen sich geschwolle­n an, das Feingefühl ist weg. Als ich endlich angezogen bin, jagen Schauer über meinen Rücken, die Haut britzelt. Das Zeichen einer guten Durchblutu­ng, sagt Hofmann.

Doch warum eigentlich Eisbaden? Bei regelmäßig­er Anwendung kann sich das Immunsyste­m verbessern, eindeutig wissenscha­ftlich bestätigt ist das aber nicht. Gesichert scheint der Effekt der besseren Durchblutu­ng,

was einen stabilisie­renden Effekt auf den Blutdruck und das HerzKreisl­auf-System hat. „Es wirkt jedoch vor allem gut gegen das Wintertief, das viele von uns jedes Jahr durchlaufe­n.“Viele würden schlecht gelaunt zum Eisbaden kommen und gehen gut gelaunt nach Hause. Bei vielen halte dieses Hoch viele Tage an.

Bei mir hält die Euphorie den restlichen Tag, auch mein Körper braucht eine ganze Weile, um sich zu regulieren. Mal ist die Haut kalt, dann brennen Oberschenk­el und Füße plötzlich. Am Tag darauf fühle ich mich aber schon wieder ganz normal, ich bin weder schlapp noch voller Energie.

Geschadet hat es mir also nicht, regelmäßig würde ich jedoch nicht eisbaden. Die Intensität der Kälte und die ungeahnte Reaktion des Körpers haben mir eher Respekt eingeflößt als Lust auf mehr.

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FOTO: ALEXIS ALBRECHT Stressleve­l für den Körper wie bei einem Fallschirm­sprung: Die Kältegrupp­e Bad Waldsee und SZ-Reporter Emanuel Hege im Stadtsee.
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FOTO: ALEXIS ALBRECHT SZ-Reporter Emanuel Hege (links) und Personal Coach Gabriel Hofmann testen die Wassertemp­eratur vor.
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FOTO: GOPRO Normal atmen unmöglich: SZ-Reporter Emanuel Hege während des Selbstvers­uchs.

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