Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Die Einschläge kommen ganz einfach näher“
DOSB-Präsident Thomas Weikert über seine ersten Spiele, Corona-Sorgen und Meinungsfreiheit der Athleten
KÖLN (SID) - Als ehemaliger Tischtennisfunktionär war der neue DOSBPräsident Thomas Weikert (Foto: dpa) schon häufig in China. Dennoch steht die Reise zu den Winterspielen in Peking für den 60-Jährigen nicht nur wegen seiner Premiere als Delegationsleiter unter einem „besonderen Stern“. Im Interview spricht Weikert über Corona-Sorgen, freie Meinungsäußerung – und nimmt das IOC in die Pflicht.
Herr Weikert, in wenigen Tagen geht es los in Peking. Es ist Ihre Premiere als DOSB-Delegationsleiter. Wir groß ist Ihre Vorfreude? Ich kenne China bestens von etwa 20 Besuchen. Die Chinesen waren immer gute Gastgeber. Natürlich stehen diese Spiele unter einem ganz besonderen Stern. Die Athleten freut es, dass die Spiele durchgeführt werden. Auch ich freue mich, dass es endlich losgeht.
Es werden keine einfachen Spiele. Das liegt nicht nur, aber vor allem an der Pandemie. Zahlreiche deutsche Athleten und auch Funktionäre haben zuletzt ihre Angst vor positiven Corona-Tests geäußert, manche fürchten Manipulation. Konnten Sie in Gesprächen mit besorgten Teammitgliedern beruhigende Antworten geben?
Wir hatten mehrere Team-D-Calls, das Internationale Olympische Komitee war auch beteiligt. Ich glaube, die Angst können wir den Athleten nehmen. Zum einen wird die CT-Schwelle von 40 auf 35 abgesenkt – was ein gutes Zeichen dafür ist, dass das IOC und die chinesischen Gastgeber gut zusammenarbeiten. Zum Zweiten hat man natürlich gewissen Respekt davor, positiv zu sein. Ich weiß aber aus der Erfahrung von Tischtennisturnieren, dass die Blasen in China sehr dicht sind. Dass man alles tut, um Ansteckungen zu vermeiden. Ein erster positiver Test wird, wie auch in Tokio, erst durch einen zweiten und dann bei Bedarf von einem internationalen Gremium überprüft, sodass ich letztlich darauf vertraue, dass es gut funktionieren wird.
Wir leben in Zeiten der OmikronVariante, sehen bei der HandballEuropameisterschaft sportlich verzerrte Wettbewerbe. Ist das eine Sorge, die Sie umtreibt?
Ich glaube, dass die Blase in China viel dichter sein wird als bei der Handballein
EM in zwei Ländern, wo auf eine dezidierte Blase verzichtet wurde. Es wird sehr strikt zugehen. Ich glaube: Wenn man in der Blase einmal drin ist, passiert wenig. Man sollte im Vorfeld so wenige Kontakte wie möglich haben. Mehr kann man nicht machen.
Bei Skisprung-Olympiasieger Andreas Wellinger ist wegen Corona der Traum von einer weiteren Teilnahme geplatzt, Axel Jungk im Skeleton und Biathletin Franziska Preuß zittern nach ihrer Erkrankung noch. Wie läuft die Kommunikation mit diesen Athleten? Natürlich suchen die Athleten in diesen Fällen immer erst einmal ihr direktes Umfeld, aber auch wir haben Psychologen dabei, den Kontakt können Athletinnen und Athleten jederzeit suchen. Es war bekannt, dass die Omikron-Variante sehr ansteckend ist und
hohes Ansteckungsrisiko besteht. Das ist traurig, aber die Realität ist, dass die Einschläge ganz einfach näher kommen.
Wie läuft der Austausch mit den Behörden vor Ort? Zum Beispiel mit der Botschaft. Stichwort: Meinungsäußerungen von Athletinnen und Athleten.
Wir haben uns im Vorfeld insbesondere vom China-Referat des Auswärtigen Amtes und von der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung beraten lassen. Dazu haben wir einen regelmäßigen digitalen Austausch mit der Botschaft geführt. Als Teammitglied in der Bubble haben wir eine erfahrene Beamtin aus dem Auswärtigen Amt dabei, die Einsätze in Peking absolviert sowie Olympia-Erfahrungen in Rio gemacht hat.
Verschiedene Menschenrechtsorganisationen warnen die Sportler davor, sich zu den kritischen Themen in China zu äußern. Was kann der DOSB konkret tun, um Last von den Aktiven zu nehmen, die sich zum Teil äußern wollen oder auch schon geäußert haben?
Ich denke, wir haben die Athleten in den Calls gut vorbereitet. Wir haben gesagt: „Ihr dürft euch äußern, ihr müsst euch aber nicht äußern. Konzentriert euch gegebenenfalls nur auf den Sport.“Sie werden selbst entscheiden, was sie tun. Und wir werden uns schützend vor sie stellen.
Zuletzt gab es eine Warnung des Organisationskomitees in Peking an die Athleten, sich nicht kritisch zu äußern. Das hat viel Widerstand hervorgerufen. Hat sich durch diese Kommunikation von chinesischer Seite etwas an Ihrer Ausrichtung geändert?
Ich glaube, es ist die Aufgabe des IOC, das richtigzustellen. Solange die Olympische Charta und die Verträge des IOC mit den chinesischen Gastgebern eingehalten werden, darf für die Athletinnen und Athleten keine Gefahr bestehen bei kritischen Äußerungen. Ich gehe davon aus, dass das IOC entsprechend handeln und für die Sicherheit garantieren wird.
Auch die Bundesregierung wird immer wieder in die Pflicht genommen. Ein diplomatischer Boykott wurde bislang nicht beschlossen. Wünschen Sie sich noch mehr Rückendeckung, oder reicht Ihnen die Aussage, dass kein deutscher politischer Vertreter vor Ort sein wird? Oder wünschen Sie sich gar, dass ein hochrangiger Vertreter den Weg nach China macht?
Wir haben immer gesagt: Sport ist unsere Sache, Politik die Sache der Regierung. Bislang ist es so, dass aus der Politik niemand nach Peking fährt. Die Entscheidung müssen wir der Politik überlassen. Wir stellen uns vor die Mannschaft und sorgen dafür, dass sportlich alles korrekt abläuft.
Ein großes Thema in den letzten Wochen war auch die Datensicherheit. Sicherheitslücken in einer Olympia-App hier, Warnungen des Bundesnachrichtendienstes vor Wissensklau dort. Wie wütend sind Sie auf das IOC, die Spiele nach China vergeben zu haben? Wir haben uns vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik beraten lassen, sodass die Sportlerinnen und Sportler Einschätzungen zur Sicherheit an die Hand bekommen haben. Es wird etwa geraten, private Handys zu Hause zu lassen. Eines darf man aber nicht vergessen: Als die Spiele 2015 nach China vergeben wurden, gab es bei der Wahl nur die Alternative Almaty in Kasachstan. München, Stockholm, Oslo sind leider schon vorher ausgestiegen.
Hätten Sie sich persönlich eine andere Premiere als deutscher Olympiachef gewünscht?
Es ist kein Wunschkonzert. Ich bin überzeugt, dass die Chinesen sehr gute Spiele anbieten werden – bei allen Problemen, die anzusprechen sind. Letztlich hoffe ich, dass der Sport ab dem 4. Februar im Mittelpunkt stehen wird.
Wann wären diese Winterspiele aus DOSB-Sicht ein Erfolg?
Wenn die Athleten sicher ankommen und wieder gesund zurückkommen. Und ein Medaillenergebnis erzielen, das zwischen dem von Sotschi und Pyeongchang liegt. Und wenn die Mannschaft sich als solche präsentiert, also zusammenhält und Deutschland gut vertritt. Man fährt zu Olympia, um sein Bestes abzurufen. Das sollte der Maßstab sein.