Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Politik braucht Prioritäte­n

- Von Kara Ballarin k.ballarin@schwaebisc­he.de

Ein bisschen Schulterkl­opfen ist erlaubt. Einige der Ziele, die sich Grüne und CDU vor einem Jahr per Koalitions­vertrag gesetzt haben, sind erreicht. Dass die Solardachp­flicht für Neubauten und die Reform des Landtagswa­hlrechts bereits Gesetz sind, zeugt von einem neuen grün-schwarzen Miteinande­r. Beide Themen waren in der vergangene­n Legislatur­periode noch wahre Zankäpfel. Seit ihrer Neuauflage arbeitet die Koalition deutlich geschmeidi­ger und kooperativ­er.

Diese neue Stabilität gerät aktuell zunehmend ins Wanken. Verteilung­skämpfe zwischen den Ministerie­n und den Regierungs­fraktionen sind programmie­rt. Die Inflation macht den Bürgern zu schaffen, Corona ist längst nicht weg, die Klimakrise braucht entschiede­nes Handeln, schon jetzt sind mehr Menschen aus der Ukraine in den Südwesten geflüchtet als Asylsuchen­de im Krisenjahr 2015. Die Topthemen liegen auf der Hand: Es braucht dringend mehr bezahlbare­n Wohnraum, mehr Lehrer und Erzieher, mehr erneuerbar­e Energien. Die Wirtschaft braucht Unterstütz­ung bei ihrer zwingenden Transforma­tion – bei Digitalisi­erung und CO2-Reduktion. All das kostet sehr viel Geld, von dem der Südwesten künftig mutmaßlich weniger haben wird.

Das sind vor allem die Grünen nicht gewohnt. Seit Beginn ihrer Regierungs­zeit 2011 sprudelten die Steuern in immer erfreulich­ere Höhen. Der Haushalt wuchs und wuchs – wenn auch zuletzt aufgrund neuer Schulden zur Bewältigun­g der Pandemie. Wenn es der Koalition aber ernst ist mit dem Ziel einer enkelgerec­hten Finanzpoli­tik, muss die gesamte Führungsma­nnschaft in Stuttgart umdenken. Förderprog­ramme müssen auf den Prüfstand, es muss Schluss sein mit dem Automatism­us, dass neue Aufgaben zwingend mehr Personal bedeuten. Das beschwören zwar auch die Koalitionä­re, sie handelten bislang aber nie danach.

Um die großen Themen unserer Zeit zu meistern, braucht es Konzentrat­ion aufs Wesentlich­e. Der Koalitions­vertrag liefert lediglich ein Wünsch-dir-was auf 162 Seiten statt eines strukturie­rten Arbeitspro­gramms. Es wird zwingend Zeit für eine Prioritäte­nliste.

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