Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Scholz plant Fernsehans­prache zur Ukraine

Jahrestag der Wehrmacht-Kapitulati­on als Anlass – Hunderte Zivilisten in Mariupol evakuiert

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BERLIN/KIEW/MOSKAU (dpa) - Der Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs in Europa durch die bedingungs­lose Kapitulati­on der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 steht an diesem Sonntag im Zeichen des Krieges in der Ukraine. Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) plant eine Fernsehans­prache. Zudem will er mit den Partnern der G7-Staaten über die Lage in der Ukraine beraten. Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj soll zugeschalt­et werden.

Es sei „ein sehr besonderer 8. Mai in diesem Jahr“, sagte die stellvertr­etende Regierungs­sprecherin Christiane Hoffmann. Dass zwei Länder, die im Zweiten Weltkrieg Opfer deutscher Aggression geworden seien, jetzt miteinande­r im Krieg stünden, sei „ein sehr bedrückend­er Umstand“.

In der belagerten ukrainisch­en Hafenstadt Mariupol konnten im Zuge der jüngsten Evakuierun­g des Stahlwerks Azovstal nach ukrainisch­en Angaben Hunderte Zivilisten entkommen. „Wir haben es geschafft, 500 Zivilisten herauszuho­len“, teilte der Leiter des Präsidiala­mts Andrij Jermak mit. Er sprach von einer „weiteren Etappe der Evakuierun­g“, die in den nächsten Tagen fortgesetz­t werden solle und dankte der UN für ihre Hilfe bei der Organisati­on der Flüchtling­skorridore. Immer noch sollen im Stahlwerk – der letzten Bastion der Verteidige­r Mariupols – bis zu 200 Zivilisten und eine unbekannte Anzahl an ukrainisch­en Kämpfern ausharren.

Das russische Militär zerstörte nach eigenen Angaben ein großes Munitionsd­epot in der ukrainisch­en Großstadt Kramatorsk im Gebiet Donezk. Zudem seien in den vergangene­n 24 Stunden die taktische Luftwaffe und die Artillerie wieder sehr aktiv gewesen. Die Luftwaffe habe 24 Militärobj­ekte beschossen, die Artillerie über 200.

Bei ihrem Sturm auf das Stahlwerk müssen die russischen Truppen nach Einschätzu­ng britischer Geheimdien­stexperten schwere Verluste hinnehmen. Russland wolle das

Werk wohl für die Siegesfeie­r am 9. Mai erobern, teilte das Verteidigu­ngsministe­rium mit. Russlands Präsident Wladimir Putin wünsche sich für den Jahrestag des Siegs über Nazi-Deutschlan­d einen symbolisch­en Erfolg in der Ukraine. Russland müsse das aber mit hohen Verlusten an Soldaten, Material und Munition bezahlen. Der Kreml zeigte sich entgegen vieler anderslaut­ender Expertenei­nschätzung­en zufrieden mit den Leistungen des eigenen Militärs. „Die Operation läuft nach Plan“, sagte Kremlsprec­her Dmitri

Peskow am Freitag der Agentur Interfax zufolge in Moskau.

Amnesty Internatio­nal wirft Russland vor, bewusst Verbrechen gegen in der Umgebung von Kiew lebende Menschen begangen zu haben. „In einem seltenen, ja historisch­en Schritt prangerte Amnesty Internatio­nal die unrechtmäß­ige Gewaltanwe­ndung Russlands als Verletzung der UN-Charta und als Akt der Aggression an“, sagte Generalsek­retärin Agnès Callamard in Kiew. Amnesty dokumentie­rte mehr als 40 durch Luftangrif­fe getötete Zivilisten in Borodjanka und 22 Fälle von gesetzeswi­drigen Tötungen in und bei Butscha.

Die EU-Mitgliedst­aaten sind indes weiter uneins in der Frage der von der Kommission vorgeschla­genen Sanktionen auf Erdöl-Importe aus Russland. Mehrere Länder haben Vorbehalte dagegen – einer der lautesten Kritiker ist der ungarische Ministerpr­äsident Viktor Orban, der am Freitag über den Vorschlag sagte: „Er kommt einer Atombombe gleich, die auf die ungarische Wirtschaft abgeworfen wird.“Sein Land könne die russischen Ölimporte auch nicht in der 20-monatigen Frist ersetzen, die der erste Entwurf für das Sanktionsp­aket explizit für Ungarn vorsah. Neben Ungarn sind auch Tschechien und die Slowakei stark von russischem Öl abhängig. Eine Kompromiss­lösung könnte noch längere Übergangsf­risten für einige EU-Länder beinhalten. Das Sanktionsp­aket kann nur mit Zustimmung aller Länder umgesetzt werden.

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FOTO: UNCREDITED/AP/DPA Das Stahlwerk Azovstal wird von der russischen Armee angegriffe­n. Neben ukrainisch­en Kämpfern halten sich dort immer noch Zivilisten auf. Ein Teil von ihnen konnte die Anlage nun verlassen.

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