Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Verständnis für Systemsprenger
Tatort: Marlon (ARD, Sonntag, 20.15 Uhr) - Es ist der 75. Fall für Lena Odenthal (Ulrike Folkerts, Foto: dpa) und wieder einmal darf sie glänzen.
Mit Einfühlungsvermögen und – natürlich – einer Sprinteinlage. Da kann selbst ihre Kollegin Johanna Stern (Lisa Bitter) nicht ganz mithalten. Immerhin hat auch sie einen Vorteil, und zwar die Tatsache, dass sie Mutter ist.
Als die Kommissarinnen zu einer Schule gerufen werden, in der ein achtjähriger Junge tot am Fuße einer Treppe liegt, ist schnell klar: Es war kein Unfall, Marlon ist gestoßen worden.
Alle werden verhört: Eltern, der Sozialarbeiter, Mitschüler und die Klassenlehrerin. Es stellt sich heraus, dass Marlon ein sogenannter Systemsprenger war, ein Kind, das Probleme machte und äußerst aggressiv war.
Dementsprechend reicht die Bandbreite als Reaktion auf den Tod des Jungen von Entsetzen und Trauer bis hin zu Schulterzucken und sogar
Erleichterung. Autorin
Karlotta Ehrenberg packt ein heißes Eisen an, Regisseurin Isabel Braak setzt es unaufgeregt um. Kein einfaches Thema, kein geplanter Mord, kein Gut-und-Böse-Schema. Die Kommissarinnen müssen erleben, wie Kinder ihre Eltern an die Grenzen bringen. Und wie schwer es ist, damit zu leben. Alle sind hilflos, was Kollegin Stern auch aus eigener Erfahrung bestätigen kann.
Und Frau Odenthal lässt durchblicken, dass sie als Kind auch nicht gerade einfach war. Verständnis ist gefordert, und das zeigen die beiden. Zum Glück wird es nicht übertrieben. Kinder müssen nicht bei ihnen übernachten und Eltern nicht in den Arm genommen werden. Auch schön: Der Zickenkrieg ist endlich beigelegt.
Ein tiefgründiger Krimi am Sonntagabend in der ARD, angesiedelt in der Mitte der Gesellschaft und mit glaubhaften Charakteren. Einzig der Sozialarbeiter kommt vielleicht ein bisschen zu engagiert daher. Aber der Spannung dieses Tatorts tut’s keinen Abbruch.