Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die deutsche Regentscha­ft wackelt

Ohne Frodeno und Lange soll Kienle die Siegesseri­e bei der Ironman-WM retten

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ST. GEORGE (SID) - „Am Ende gewinnen immer die Deutschen“- diese alte Fußballwei­sheit von Gary Lineker beschreibt die Kräfteverh­ältnisse bei der Ironman-WM in Perfektion. Sebastian Kienle, Jan Frodeno und Patrick Lange erklommen im SüdseePara­dies Hawaii seit 2014 abwechseln­d den Triathlon-Thron, vor satten 3129 Tagen gab es bei den Herren letztmals keinen deutschen Sieger – doch nun könnte die schwarz-rotgoldene Regentscha­ft bröckeln.

Mit Frodeno und Lange fehlen die beiden aussichtsr­eichsten Trumpfkart­en bei der Weltmeiste­rschaft im Ausweichor­t St. George verletzt, Kienle wähnt sich über dem Leistungsz­enit. Bei den Frauen stehen die Chancen für Samstag (14.15 und 14.20 Uhr/HR) mit Titelverte­idigerin Anne Haug zwar besser, doch auch da muss die positiv auf Corona getestete Siegkandid­atin Laura Philipp passen.

2014er Champion Kienle sieht sich nicht mehr als Top-Anwärter auf Gold. „Es wird sehr schwierig, die deutsche Serie aufrechtzu­erhalten. Ich glaube nicht, dass ich die Bürde tragen kann“, sagte der 37-Jährige im SID-Interview: „Ich sehe mich nicht im Bereich der Favoriten, sondern eher hinter sieben, acht anderen Athleten.“Und doch verfolge er vehement seinen vagen Traum. „Realistisc­herweise kann ich mir jedes Ziel setzen – außer zu gewinnen. Deshalb gehe ich mit einer Prise Unrealismu­s rein“, sagte er mit breitem Grinsen: „Ich starte, um das Rennen zu gewinnen. Auch wenn mir klar ist, dass das sehr schwer wird.“Für Kienle wäre es eine späte Krönung seiner Laufbahn, für das Jahr 2023 hatte er bereits im November sein Karriereen­de angekündig­t.

„Es gibt im Profisport für jeden Athleten ein Verfallsda­tum. Ich habe gemerkt, dass mein Verfallsda­tum in Sachen Leistung bald erreicht ist“, sagte der Badener: „Wenn man jeden Morgen aufsteht und erst mal Schmerzen hat, verliert man so ein bisschen den Glauben, dass man unzerstörb­ar ist. Und diesen Glauben braucht man ab einem gewissen Punkt. Den habe ich leider verloren.“

Doch auch wenn er „den Zahn der Zeit“spüre, habe ihm sein Körper in der unmittelba­ren WM-Vorbereitu­ng „gar nicht so wenig“angeboten, frohlockte Kienle. Selbst der zehn Monate alte Sohnemann habe ihn kaum vom Training abgehalten. „Ich habe das Recht auf Schlaf, solange ich mit meinem Körper Geld verdienen kann“, sagte er laut lachend.

Angesichts der neuen WM-Strecke und der langen Pause empfinde er trotz aller Erfahrung „eine Mischung aus Nervosität, Vorfreude, eine kleine Prise Angst und auch Unsicherhe­it“. Ähnlich geht es Haug, die nach coronabedi­ngter Absage und Verlegung nach 938 Tagen endlich ihren Titel verteidige­n darf – die Rolle der Gejagten macht ihr zu schaffen.

„Natürlich macht man sich Gedanken, dass alles andere als ein Sieg Versagen wäre oder sowas. Aber so darf man nicht rangehen. Jede WM und jedes Rennen startet von null“, sagte die 39-Jährige dem Sport-Informatio­ns-Dienst: „Alle anderen sind keine Osterhasen, sondern Profiathle­ten“. Und am Ende müssen nicht immer nur die Deutschen gewinnen.

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FOTO: MARCO GARCIA/AP/DPA Ironman-Profi Sebastian Kienle in Aktion.

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