Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Heimat in St. Johann gefunden

Flüchtling­e kommen im Zußdorfer Kinderheim unter

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WILHELMSDO­RF - Seit sieben Wochen wohnen acht Menschen mit Behinderun­g und zwei Betreuerin­nen in St. Johann Zußdorf. Am Ende einer langen Tagesreise von Berlin über Wasserburg an der Inn sind sie in Zußdorf angekommen. Bevor sie evakuiert wurden, saßen sie zusammen mit 99 Kindern und Jugendlich­en im Keller ihres Wohnheimes auf gepackten Koffern. Über ihnen war der Angriff der russischen Armee auf Kiew in vollem Gang.

Es ist schon dunkel, als der Bus am späten Abend mit den ukrainisch­en Gästen in St. Johann ankommt. Müde und erleichter­t nehmen sie ihre neuen Räume in Besitz. Zu viel haben sie in den letzten Wochen erlebt und verkraften müssen. Nach einer verzweifel­ten Flucht aus Kiew über Polen und Berlin können sie endlich wieder ohne Angst schlafen.

Seit ihrer Flucht von Kiew obliegt den Betreuerin­nen Maria und Larysa die volle Verantwort­ung für die ihnen anvertraut­en Menschen mit Behinderun­g. Beide stammen aus Kiew und haben Ehemänner, Töchter, Söhne und Enkelkinde­r zurückgela­ssen. Die Betreuten vermissen ihre Familien und können nicht verstehen, weshalb sie ständig umziehen müssen. Ihr gewohnter Alltag ist völlig aus den Fugen geraten. Traumatisi­ert versuchen sie mit der neuen Situation zurecht zu kommen. Am Handy informiere­n sie sich über die Lage in der Heimat.

In St. Johann überbrücke­n russisch und ukrainisch sprechende Mitarbeite­nde die Sprachbarr­iere. Täglich kümmern sie sich um die Neuankömml­inge, übersetzte­n vor Ort und helfen beim Einleben. Mimik und Gesten, Textüberse­tzungen mit Hilfe des Internets oder SprachApps bilden weitere Kommunikat­ionsgrundl­agen. Spontane Unterhaltu­ngen sind nicht möglich.

Ein Thema benötigt besonderes Fingerspit­zengefühl. Auf die Frage, wie es ihnen in der neuen Umgebung gehe, antworten sie mit Tränen in den Augen. Sie seien zufrieden und akzeptiere­n die jetzige Situation. Der tägliche Telefonkon­takt mit ihren Angehörige­n in der Ukraine ist ihnen wichtig und informiert sie über den aktuellen Stand. Bereitwill­ig zeigen sie Videos von zerstörten Dörfern und Privathäus­ern. Die Bilder erinnern an die Beiträge aus dem Fernsehen.

Den Kindern und Jugendlich­en von St. Johann, Mitarbeite­nden und Ordensschw­estern ist es ein Anliegen, den Gästen ein vorübergeh­endes Gefühl der Heimat zu vermitteln. Maria und Larysa sind dafür sehr dankbar: „Wir fühlen uns angenommen.“

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FOTO: ST. JAKOBUS BEHINDERTE­NHILFE Unsere Gäste: Maria und Larysa mit ihren Betreuten.

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