Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ein Mann für den Mittelpunkt
Vinzenz Geiger hat in der Nordischen Kombination auch nach Olympia-Gold noch viel vor
DURACH - Was macht ein WeltklasseWintersportler eigentlich im Sommer? Die Antwort auf diese banal klingende Frage ist eine ganz entscheidende: Er schafft die Grundlagen, um ein Weltklasse-Wintersportler zu bleiben. Für den 24-jährigen Vinzenz Geiger etwa geht es also in diesen Monaten um die Voraussetzungen, an die großen Erfolge der zurückliegenden Saison anzuknüpfen. Nach seinem Olympiasieg in Peking hat der Nordische Kombinierer schon wieder neue Ziele im Blick – und das in einer veränderten Rolle.
Bei der Sommer-Einkleidung des Deutschen Skiverbands (DSV) in Durach bei Kempten wirkt Vinzenz Geiger ganz entspannt. Die Strapazen des vergangenen Winters liegen hinter ihm. Er hat etwas gebraucht, bis er alles verarbeitet hatte. „Es hat dieses Jahr wirklich länger gedauert. Der Erfolg war unglaublich, aber auch unglaublich schön“, sagt Geiger. Die Goldmedaille im olympischen Einzelrennen etablierte ihn in der allerersten Reihe der weltbesten Kombinierer. Und ganz nach vorn in der deutschen Mannschaft. Dort fühlt sich der Oberstdorfer seither sehr wohl: „Mir macht das nichts aus, dass ich noch mehr im Mittelpunkt stehe. Ich freue mich, dass andere zu mir aufschauen.“Sofort fügt er hinzu: „Wir haben natürlich viele erfolgreiche Athleten. Etwa Eric Frenzel. Das ist schon verteilt.“Heißt sinngemäß: Den Druck auf mehreren Schultern zu wissen, kann nicht schaden.
Dass Geiger einer ist, der sich in dieser ersten Reihe wohlfühlt, zeigt auch der Podcast „Ski happens“, den er seit Ende 2020 mit der früheren Biathletin Corinna Horn und dem Journalisten Moritz Batscheider mit Beiträgen füllt. Dort spricht der Nordische Kombinierer unverstellt und auskunftsfreudig über aktuelle Themen. In der Folge nach Peking etwa hatte er kein Problem, die zurückliegenden Wochen – trotz seiner Goldmedaille im Einzel und Silber mit der Mannschaft – kritisch einzuordnen. „Das waren nicht die Spiele, die sich ein Athlet wünscht“, sagte Geiger. Nach den Strapazen der langen Saison mit dem Höhepunkt im fernen Asien habe er länger als sonst gebraucht, um den Kopf wieder frei und den Körper wieder erholt zu haben.
Wer ihn in diesem Frühjahr trifft, der kann aber erkennen: Vinzenz Geiger hat sich erholt, hat wieder richtig Lust und ist bereit für neue Herausforderungen. „Das Training im Sommer macht mir unglaublich Spaß, daheim zu trainieren und Zeit zu verbringen“, sagt Geiger, der in Oberstdorf seit fünf Jahren zum Zoll Ski Team gehört – wie etwa auch sein Mannschaftskollege Johannes Rydzek. Neben den Trainingseinheiten bleibt dem 24-Jährigen auch Zeit für angenehme Dinge: eine Bergtour mit Freunden oder ein Abstecher zur Formel 1 nach Monaco. Im Vordergrund steht aber immer der Gedanke an die kommende Saison. Am 23. Mai veröffentlichte Geiger auf Facebook ein Bild von sich auf der Schanze im schwedischen Örnsköldsvik: „Die ersten Sprünge der neuen Saison sind geschafft!“
Im Winter 2022/23 hat Vinzenz Geiger wieder viel vor. Nach Olympia-Gold und Platz drei im Gesamtweltcup (in der Saison zuvor war er bereits Zweiter hinter dem Über-Norweger Jarl Magnus Riiber gewesen) ist zwar nicht sehr viel Luft nach oben, aber doch ein bisschen. Und die Nordische Ski-WM in Planica steht auch bevor. Bei Weltmeisterschaften fehlt ihm noch ein erster Rang, zweimal war es bisher Silber mit dem Team, unter anderem bei der für ihn insgesamt enttäuschenden Heim-WM in Oberstdorf im Jahr 2021. „In erster Linie schaue ich, dass ich weiter an mir arbeite, dass ich mich weiterentwickle, dann werden die Erfolge auch kommen“, sagt Geiger – im Bewusstsein, dass es in Peking zuletzt ziemlich gut geklappt hat.
„Ich freue mich, dass andere zu mir aufschauen.“Vinzenz Geiger