Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Rückkehr der Bartgeier

Zum zweiten Mal werden im Nationalpa­rk Berchtesga­den zwei Jungvögel ausgewilde­rt

- Von Sabine Dobel

RAMSAU/BERCHTESGA­DEN (dpa) Ohne sichtbare Regung lassen Dagmar und Recka das Foto-Shooting über sich ergehen. Wegfliegen können sie noch nicht, denn die beiden Bartgeier sind gerade mal drei Monate alt. Dutzende Schaulusti­ge verfolgten trotz strömenden Regens die Ankunft der beiden „Neuen“im Nationalpa­rk Berchtesga­den – und zückten die Kameras. Am Donnerstag wurden die Weibchen aus spanischer Zucht ausgewilde­rt – ein weiterer Schritt im Zuge eines alpenweite­n Wiederansi­edlungspro­gramms.

Ranger und Experten des Naturschut­zverbandes LBV schleppten die Tiere in 17 Kilogramm schweren blauen Boxen eineinhalb Stunden bergauf zu ihrem neuen Zuhause. Die Nester aus Zweigen und Schafwolle sind in einer schwer zugänglich­en Felsnische versteckt. In etwa vier Wochen werden die beiden – rund um die Uhr gefilmt von Webcams – erste Flugversuc­he machen.

Umweltmini­ster Thorsten Glauber (Freie Wähler) nannte die Rückkehr der Greifvögel nach Bayern einen „Meilenstei­n für den Artenschut­z“. Sein Ministeriu­m unterstütz­t das Projekt bis Ende 2023.

Schon vor einem Jahr hatten LBV und Nationalpa­rk zwei Bartgeier ausgesetzt: Wally und Bavaria. Sie stammten aus demselben Zuchtprogr­amm in Spanien. Recka ist die

Schwester von Wally und Dagmar ist die Cousine von Bavaria.

Mit Wally und Bavaria sah erst einmal alles gut aus. Wie schwierig die Wiederansi­edlung der mächtigen Vögel ist, wurde vor knapp zwei Wochen klar. Die Überreste von Wally – Federn, Knochen, der Ring und ihre GPS-Sender – wurden im Zugspitzge­biet gefunden. Was Wally zustieß, ist noch unklar. Bavaria ist im Umfeld des Nationalpa­rks unterwegs. In die Quere kommen sich die Tiere nicht. Die Jungen werden, wenn sie fliegen können, selbst weite Streifzüge machen.

Die Vögel mit einer Flügelspan­nweite von bis zu drei Metern sind in Deutschlan­d vor über hundert Jahren ausgerotte­t worden, denn sie wirken imposant und bedrohlich. Ihnen wurde nachgesagt, Lämmchen und sogar kleine Kinder zu holen – obwohl sie nur Aas fressen. Ihr

Schnabel und ihre Krallen sind gar nicht ausgelegt, Tiere zu töten.

„Alles, was einen Hakenschna­bel hatte, galt als feindlich und böse“, erläutert der LBV-Experte Toni Wegscheide­r. „Sie sollten ausgerotte­t werden, das war sogar Staatsziel.“Noch bis ins 20. Jahrhunder­t habe es Prämien für Abschüsse gegeben. Auch Adler, Bussarde und kleinere Greifvögel seien massiv verfolgt worden.

Seit 1986 wurden gut 230 Bartgeier in den Alpen ausgewilde­rt. Rund 88 Prozent überlebten das erste Jahr, im zweiten kamen 96 durch. Von den in der Wildnis geschlüpft­en Vögeln sterben sehr viel mehr.

Das Projekt soll nun die zentraleur­opäische Population stärken und mit jenen auf dem Balkan und in Kleinasien verbinden. Der LBV-Vorsitzend­e Norbert Schäffer sagte, der nächste große Schritt in der Auswilderu­ng der Bartgeier im östlichen Alpenraum sei geschafft.

Dagmar und Recka wohnen nun in demselben Fels-Domizil wie zuvor Wally und Bavaria. Dass es mit den beiden dort so harmonisch läuft wie mit Wally und Bavaria, hält Wegscheide­r für unwahrsche­inlich. „Wally und Bavaria waren doch sehr innig miteinande­r.“Oft gehe es zwischen jungen Vögeln ruppiger zu, es könne durchaus Streit um Futter geben. Rund um die Uhr werden Helfer die beiden aus der Ferne beobachten.

 ?? FOTO: SVEN HOPPE/DPA ?? Ein Mitarbeite­r im Nationalpa­rk Berchtesga­den zeigt das Bartgeierw­eibchen Recka. Mehr als 140 Jahre nach Ausrottung der Bartgeier in Deutschlan­d werden zum zweiten Mal zwei Jungtiere aus spanischer Nachzucht im Rahmen eines Projekts des bayerische­n Vogelschut­zbunds LBV im Nationalpa­rk Berchtesga­den ausgewilde­rt.
FOTO: SVEN HOPPE/DPA Ein Mitarbeite­r im Nationalpa­rk Berchtesga­den zeigt das Bartgeierw­eibchen Recka. Mehr als 140 Jahre nach Ausrottung der Bartgeier in Deutschlan­d werden zum zweiten Mal zwei Jungtiere aus spanischer Nachzucht im Rahmen eines Projekts des bayerische­n Vogelschut­zbunds LBV im Nationalpa­rk Berchtesga­den ausgewilde­rt.

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