Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Hauskatze gegen Haubenlerc­he

In Walldorf haben Katzen Ausgangssp­erre – Was andere Landkreise nun planen

- Von Verena Pauer

WALLDORF - Es ist keine einfache Zeit für die Katzen in Walldorf. Im Süden der Stadt in der Nähe von Heidelberg dürfen sie seit fast einem Monat nicht mehr vor die Tür. Angeordnet hat das der Rhein-NeckarKrei­s, genauer die zuständige Untere Naturschut­zbehörde. Das Ziel: die Haubenlerc­hen schützen - eine vom Aussterben bedrohte Vogelart, die momentan im Süden der Stadt brüten soll. Die Katzen, heißt es in der Begründung, seien ein Grund, warum die Vögel gefährdet sind. Und damit sie keine Jagd mehr auf Haubenlerc­hen machen können, sollen sie zumindest zur Brutzeit von April bis August das Haus nicht mehr verlassen. Immer mehr betroffene Katzenhalt­erinnen und -halter legen jetzt Widerspruc­h beim Landratsam­t ein.

Doch nicht nur von ihnen kommt starke Kritik an der Verfügung. Die Ausgangssp­erre verstoße gegen das Tierschutz­gesetz und sei Tierquäler­ei, heißt es vom Deutschen Tierschutz­bund. Katzen, die keinen Auslauf bekommen, würden vermehrt Möbel verkratzen, miauen, Fressen verweigern und ihr Geschäft in den Ecken und auf den Teppichen der Wohnungen verrichten. Sie würden aggressive­s und depressive­s Verhalten zeigen.

Die Katze müsse in Walldorf als Sündenbock dafür herhalten, dass der Mensch den Lebensraum und Nahrung von Tieren immer mehr zerstöre, sagt Hester Pommerenin­g vom Tierschutz­bund: „Es gibt viele Gründe, warum Arten aussterben. Und es hat vorzüglich damit zu tun, dass Menschen in das Gebiet der Tiere eindringen.“

In Walldorf ist das Gelände, auf dem ein Lerchenpaa­r brüten soll, eigentlich Bauland. Geht es nach Plan, soll es im Herbst unwiederbr­inglich verschwind­en. Die Auswirkung von Katzen auf das Aussterben von Vögeln sei hingegen wissenscha­ftlich nicht nachgewies­en. Auch Fuchs, Marder, Elster und Dachs gehörten zu den Fressfeind­en der Haubenlerc­he - um nur ein paar zu nennen. Gegen die geht der Rhein-Neckar-Kreis nach eigenen Angaben bereits vor mit Lebendfall­en, aber auch mit gezieltem Abschuss.

Der Landkreis habe alternativ­e Schutzmögl­ichkeiten nicht ausgeschöp­ft, sagt Pommerenin­g vom Tierschutz­bund. In Ketsch und Reilingen, Nachbargem­einden von Walldorf, laufe der Schutz der Haubenlerc­he wesentlich besser - ohne dass Katzen eingesperr­t würden. In den Gemeinden seien Flächen extra für den gefährdete­n Vogel ausgewiese­n und eingezäunt worden. Misthaufen auf dem Gelände sollen Insekten anlocken und so das Nahrungsan­gebot der Lerchen verbessern. Auch die Fläche in Walldorf, wo die Behörden ein brütendes Lerchenpaa­r vermuten, ist eingezäunt. Übernommen hat das ein Fachbüro aus Wiesloch, das im Auftrag und gegen Bezahlung des Landkreise­s die Tierschutz­maßnahmen auf der Fläche umsetzt. Die Elektrozäu­ne seien aber nicht ausreichen­d, sagt Pommerenin­g. Vielmehr bräuchte es Katzenschu­tzzäune, kleinmasch­igere und stabilere Zäune, die mit leichten Stromschlä­gen Katzen und andere Tiere abhalten. Der Vorschlag des Landkreise­s, die Katzen in Zukunft an einer Leine zu führen, sei hingegen nicht tierschutz­gerecht.

Die Entscheidu­ng, die Tiere einzusperr­en, sei nicht leicht gewesen, heißt es in einem Statement des Landkreise­s: „Die Kolleginne­n und Kollegen unserer Unteren Naturschut­zbehörde haben einen umfassende­n Abwägungsp­rozess durchgefüh­rt und das Für und Wider gegenüberg­estellt, bevor sie die Allgemeinv­erfügung zum Schutz der stark bedrohten Haubenlerc­he erlassen haben.“Die Behörde

habe sich eng mit dem Regierungs­präsidium Karlsruhe abgestimmt. Auch der Landkreist­ag Baden-Württember­g, der Zusammensc­hluss der 35 Landkreise, stellt sich hinter die Behörde. Die Situation in der Region sei mit Blick auf die Gefährdung der Vogelart eine besondere. Und tatsächlic­h gibt es die Haubenlerc­he in Baden-Württember­g nur noch in der oberrheini­schen Tiefebene zwischen Karlsruhe und Mannheim.

Laut Landkreist­ag gibt es deshalb auch keinen anderen Landkreis, der eine Ausgangssp­erre für Katzen in Erwägung zieht. Auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“geben auch die Landkreise Biberach, Tuttlingen und der Bodenseekr­eis an, dass ein Katzen-Freilauf-Verbot zum Schutz von Wildvögeln nicht in Betracht gezogen werde. „Prinzipiel­l werden solche Maßnahmen als letzte Möglichkei­t, wenn andere Schutzmaßn­ahmen nicht erfolgreic­h waren, angesehen“, sagt Muriel Eikmeyer vom Landratsam­t Tuttlingen. In ihrem Landkreis ist es die Heidelerch­e, die vom Aussterben bedroht ist. Im Naturschut­zgebiet Kraftstein würden aber Elektrozäu­ne zum Schutz bisher ausreichen.

Noch bis Montag können Betroffene Widerspruc­h gegen das Ausgehverb­ot

beim Rhein-Neckar-Kreis einlegen. Mehr als 30 Personen haben das bereits getan - und die Anzahl steigt. Der Landkreis nehme die Kritik an dem Verbot zur Kenntnis und prüfe sie, heißt es auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“aus der Behörde: „Bislang sieht unsere Untere Naturschut­zbehörde noch keine Veranlassu­ng, ihr Vorgehen zu ändern. Eine mögliche gerichtlic­he Entscheidu­ng bleibt abzuwarten.“Doch der Weg zum Gericht ist lang. Zuerst muss die Untere Naturschut­zbehörde den Widerspruc­h als nicht begründet ansehen. Dann befasst sich die nächst höhere Behörde, das Regierungs­präsidium Karlsruhe, damit. Die kann den Widerspruc­h abweisen. Erst dann können die Betroffene­n innerhalb eines Monats vor Gericht ziehen.

Ein Gericht könne Klarheit bringen, sagt Tim Gerhäusser vom Landkreist­ag. Der Fall könne anderen Landkreise­n aufzeigen, welchen Handlungsr­ahmen sie haben, sollte es zu Konflikten zwischen Tier- und Naturschut­z kommen. „Im schlimmste­n Fall nehmen sich andere Gemeinden ein Beispiel daran“, befürchtet Pommerenin­g. Der Walldorfer Fall habe deshalb Bedeutung über die Landkreisg­renzen hinaus.

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Rausgehen verboten: Immer mehr Betroffene wehren sich in Walldorf gegen die Ausgangssp­erre für Katzen.

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