Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Macron muss um absolute Mehrheit fürchten

Linkspopul­istisches Bündnis könnte bei Frankreich­s Parlaments­wahlen punkten

- Von Christine Longin

PARIS - Vor der ersten Runde der Parlaments­wahlen in Frankreich legt die Linksallia­nz Nupes zu. Sie könnte nah an das Parteienbü­ndnis von Emmanuel Macron herankomme­n.

„Isst dieser Mann Kinder?“, fragte die Zeitung „Libération" am Freitag. Gemeint war nicht etwa ein gefährlich­er Serientäte­r, sondern der Linkspopul­ist Jean-Luc Mélenchon. Zwei Tage vor der ersten Runde der Parlaments­wahlen bringt die Gefahr, dass der 70-Jährige eine Mehrheit in der neuen Nationalve­rsammlung gewinnen könnte, etwas Schwung in den müden Wahlkampf. Die Regierung stellt den einstigen Sozialiste­n als Schreckges­penst hin, was nicht nur „Libération“, sondern auch Mélenchon spotten lässt. „Habt Angst. Mélenchon ist aggressiv. Er isst die Kinder“, höhnte er.

Der begnadete Redner hatte die Stichwahl um das Präsidente­namt im April nur knapp verpasst und noch am Wahlabend die Parlaments­wahlen zur dritten Runde der „présidenti­elles“ausgerufen. Bei dem Urnengang, der in zwei Runden an diesem und am kommenden Sonntag stattfinde­t, will er Rache nehmen. Er forderte die Französinn­en und Franzosen deshalb auf, ihn zum Premiermin­ister zu machen. Von der Verfassung her ist das zwar nicht möglich, da der Regierungs­chef vom Präsidente­n ernannt und nicht vom Volk gewählt wird. Allerdings muss der Staatschef ihn aus den Reihen der Mehrheit in der Nationalve­rsammlung aussuchen. Und die hofft Mélenchon mit seiner Anfang Mai eilig zusammenge­zimmerten Linksallia­nz Nupes zu holen. Dem neuen

Bündnis gehören neben seiner eigenen La France Insoumise (Unbeugsame­s Frankreich) Sozialiste­n, Grüne und Kommuniste­n an.

Die vier Parteien, die sich bisher untereinan­der die Stimmen wegnahmen, treten nun nur noch jeweils mit einem Kandidaten oder einer Kandidatin in den 577 Wahlkreise­n an. Dadurch erhöhen sie ihre Chancen deutlich, die zweite Runde zu erreichen, für die 12,5 Prozent der Stimmen auf der Basis aller Wahlberech­tigten nötig sind.

Landesweit landet die Nupes in den Umfragen bei rund 28 Prozent und liegt gleichauf mit dem Präsidente­nbündnis Ensemble. Allerdings sind die Zahlen trügerisch. Durch das Mehrheitsw­ahlrecht ergeben sich für die Nupes laut einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Ipsos 175 bis 215 Sitze, für Ensemble dagegen 260 bis 300. Die absolute Mehrheit, die bei 289 Mandaten liegt, könnte das Lager von Präsident Emmanuel Macron damit zwar verlieren, doch es bliebe immer noch stärkste Kraft in der Nationalve­rsammlung.

Lange hatte der Staatschef sich nicht um die Parlaments­wahlen gekümmert, bei denen sich mit 46 Prozent eine historisch niedrige Wahlbeteil­igung abzeichnet. Vor allem, weil die Rechtspopu­listin Marine Le Pen, gegen die er die Stichwahl im April gewann, traditione­ll bei Parlaments­wahlen schwach ist und auf höchstens 50 Sitze kommen dürfte. Doch mit Mélenchon, der sich gerne mit der Schildkröt­e in Jean de la Fontaines Fabel vergleicht, wuchs ihm in den vergangene­n Wochen ein neuer, ernst zu nehmender Gegner heran. Die Schildkröt­e gewann das Rennen gegen den eigentlich schnellere­n Hasen, der sich zu lange ausgeruht hatte.

Auf den letzten Metern setzt Macron deshalb auf die Angst vor JeanLuc Mélenchon. Bei einem Auftritt im Südwesten warnte er vor einem Erfolg der „Extreme“und dem daraus entstehend­en Durcheinan­der. „Nichts wäre gefährlich­er, als dem weltweiten Chaos ein französisc­hes hinzuzufüg­en.“Seine Minister attackiert­en gleichzeit­ig das Wirtschaft­sprogramm der Nupes, das laut dem liberalen Institut Montaigne 330 Milliarden Euro an Mehrausgab­en pro Jahr bedeuten würde. Das Projekt der „neuen Volksunion“sieht eine deutliche Anhebung des Mindestloh­ns, die Senkung des Renteneint­rittsalter­s auf 60 Jahre und eine Preisblock­ade für die wichtigste­n Alltagsgüt­er vor. Diese Maßnahmen müssten durch massive Steuererhö­hungen und deutliche Verschuldu­ng finanziert werden, warnen Experten. Haushaltsm­inister Gabriel Attal setzte dem noch einen drauf: Er sprach von einer „Steuerguil­lotine“, die im Falle eines Nupes-Wahlsieges niedergehe­n dürfte.

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FOTO: AL-DOUMY/AFP Jean-Luc Mélenchon

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