Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mit viel Druck aus der Wohlfühloase
Hansi Flick erhofft sich von seiner Auswahl gegen Ungarn ein Ende des Sturmproblems
BUDAPEST - Der Ton wird rauer, schärfer. Am Freitag verließ die Nationalmannschaft mit ihrem Tross die Wohlfühloase „Home Ground“in Herzogenaurach, um von Nürnberg aus mit Flug LH 342 nach Budapest aufzubrechen. Weil sich die nächste Prüfung, der Gegner Ungarn, im Vergleich zu den Klassiker-Duellen gegen Italien und England machbarer anhört, sprach Bundestrainer Hansi Flick noch vor der Abreise ungewohnt deutliche Worte.
165 Tage vor dem WM-Auftakt gegen Japan in Katar soll seine DFB-Auswahl beim dritten Nations-LeagueAuftritt am Samstag (20.45 Uhr/RTL) in Ungarn unbedingt drei Punkte einfahren. Also wird der Druck auf die einzelnen Spieler erhöht („Ich erwarte von jedem Einzelnen, der in den Kader möchte, dass er topfit ist. Wir haben keine Zeit, da noch nachzubessern“) und der Gegner starkgeredet. Klassisches Trainer Einmaleins. Über die Ungarn, die vor einer Woche überraschend England mit 1:0 bezwangen, um dann in Italien 1:2 zu verlieren, meinte der 57-Jährige: „Nach England ist das das schwerste Spiel, das man haben kann. Das ist eine Mannschaft, die sehr kompakt in der Defensive agiert, kaum was zulässt, kaum Räume freigibt. Es wird eine ganz große, schwierige Aufgabe für uns.“Also fordert er: „Jeder Einzelne muss 100 Prozent Leistungsbereitschaft zeigen. Wir müssen an die Leistung von England anknüpfen.“Gerne doch – aber bitte nicht schon wieder an das Ergebnis.
Dreimal zuletzt (im März in Amsterdam gegen Holland, danach in Italien und zuletzt gegen die „Three Lions“) spielte das Flick-Team 1:1. In Ungarn, beim Duell mit dem 40. der FIFAWeltrangliste, heißt es diesen Samstag nicht nur wie sonst üblich: Verlieren verboten. Sondern: 1:1 streng verboten. „Wir wollen drei Punkte holen und wollen uns in den nächsten beiden Spielen belohnen für den Aufwand, den wir betreiben“, erklärte Flick und blickte damit bereits auf das letzte Spiel vor der von den Nationalspielern so sehr ersehnten Sommerpause: am nächsten Dienstag in Mönchengladbach gegen Italien. Der Bundestrainer findet: „Gegen England war es ein großer Schritt nach vorne, da waren wir auf einem sehr guten Weg, das wollen wir bestätigen.“Das Erlebnis gegen England stimmte, zumindest für die Fans in der Allianz Arena, das Ergebnis am Ende aber dann wieder doch nicht. Jenes 1:1 vom Dienstag tat im Vergleich zu den vorherigen Partien am meisten weh. Und daher hat sich der Druck auf die DFBAuswahl erhöht, noch zwei Siege einzufahren, um im September bei den
beiden abschließenden Gruppenspielen (gegen Ungarn und in England) noch die Chance auf den Gruppensieg in dieser Nations-League-Austragung zu haben.
DFB-Direktor Oliver Bierhoff hatte ebenfalls deutliche Worte gefunden und damit an die Mannschaft appelliert. „Das klare Ziel ist es, dass wir gegen Ungarn drei Punkte holen. Das ist
unser Anspruch. Wir haben hohe Ambitionen. Denn: Das Ziel sei der Gruppensieg und die damit verbundene Qualifikation für das Final Four im kommenden Sommer, „weil wir in 2023 nur Freundschaftsspiele haben. Da würden zwei Wettbewerbsspiele der Mannschaft guttun.“Der Hintergrund: Als Gastgeber der EM 2024 ist die deutsche Nationalelf bereits qualifiziert und muss im Jahr zuvor keine Qualifikationsspiele bestreiten. Was eben auch ein Nachteil sein kann.
Auf Angreifer Serge Gnabry, der am Freitag wegen einer Wadenblessur nur ein Lauftraining absolvieren konnte, muss Flick in Budapest wohl verzichten. Ansonsten aber wird nicht – wie ursprünglich bei einer punktemäßig besseren Ausgangslage geplant – viel rotiert. „Es tut gut, wenn man ein bisschen eingespielt ist, auch wenn man als Trainer natürlich am liebsten jedem Spieler eine Chance geben möchte“, sagte Flick, aber das Ergebnis stehe nun „absolut im Fokus“. Somit hat sich wohl auch der angedachte Einsatz von Frankfurts Kevin Trapp, dem zweiten Torhüter, zerschlagen. Flick stellte klar: „Manuel Neuer wird spielen, wir werden da keine Änderung machen im Tor.“Auch ein Signal an die Mannschaft, dass man dieses Spiel doch bitteschön sehr ernst nehmen solle.
In der Donaumetropole, die am Freitagnachmittag von einem heftigen Gewitter heimgesucht wurde, erhofft sich Flick, dass das DFB-Sturmproblem verschwindet. Chelseas Timo Werner dürfte ebenso eine Chance von Beginn an erhalten wie das zweite Sorgenkind Leroy Sané auf dem Flügel. Gegen England sei man nicht „zwingend und klar genug“gewesen, räumte Offensivspieler Thomas Müller ein, „auch wenn wir zwei, drei Situationen hatten, wo es hätte scheppern können“. Ein Erfolg in Budapest soll dem Angriff Rückenwind geben.