Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Zehn Prozent in zehn Jahren – das ist schon sehr viel“

Schmetterl­ingsexpert­e Josef Settele ist alarmiert angesichts des Artenschwu­nds – Wie der Wissenscha­ftler die gefährdete­n Falter retten will

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seltene Insekten. Schmetterl­inge sind eben typische Vertreter der sogenannte­n Offenlands­chaft, für die ist das sehr ungünstig. Wir brauchen eigentlich eine mittlere Nutzungsin­tensität, um die Diversität zu halten. Ein weiterer Grund ist der zunehmende Klimawande­l. Schon vor 50 Jahren gab es erste Beobachtun­gen, dass manche Arten in höher gelegene oder nördlicher­e, kühlere Gefilde abwandern. Aber irgendwann ist Schluss, etwa wenn der Berggipfel erreicht ist. Im Mittelmeer­raum haben wir große, klimabedin­gte Verluste. Auch hierzuland­e werden wir einige Arten verlieren, andere werden aber aus Südeuropa nachrücken.

Warum sind Schmetterl­inge weltweit überhaupt so wichtig für die Ökosysteme?

Zum einen haben sie eine einzigarti­ge Ästhetik. Schmetterl­inge werden allgemein als schön empfunden – auch Nachtfalte­r, solange man sie nicht abfällig Motten nennt. Viele Nachtfalte­r haben eine wichtige Bestäubung­sfunktion. Nur sie haben lange Rüssel, mit denen sie beispielsw­eise langstieli­ge Blüten von Nachtkerze­n, Natternköp­fen und Petunien bestäuben können. Auch das tagsüber fliegende Taubenschw­änzchen, das wie ein Kolibri vor den Blüten schwebt, hat so einen besonderen Rüssel. Falter sind zudem ein guter Indikator für den Schwund anderer

Insekten wie Hummeln und Bienen. Bei uns gibt es neben der Honigbiene noch 580 weitere Bienenarte­n. Ihr Vorkommen dezimiert sich parallel mit den Faltern.

Sie beraten als Sachverstä­ndiger für Umweltfrag­en die Bundesregi­erung. Bekommt das Thema genug Aufmerksam­keit?

Das Thema Insekten ist spätestens seit der Krefelder Studie 2017 im Blick. Damals gab es erstmals eine eineinhalb­stündige Anhörung im Umweltauss­chuss des Deutschen Bundestage­s. Schon vor ihrem Amt als Bundesumwe­ltminister­in hat sich beispielsw­eise Steffi Lemke, die Agrarwisse­nschaftler­in ist, sehr für das Thema interessie­rt, ebenso ihre Amtsvorgän­gerin Svenja Schulze. Aber Maßnahmen können oft nur mit Kompromiss­en durchgeset­zt werden. Viele Maßnahmen kommen natürlich zu langsam, aber immerhin sind inzwischen einige Politiker offener für das Thema.

Das ökologisch­e Bewusstsei­n und das Wissen um die Notwendigk­eit, effektiv und zeitnah gegenzuste­uern, scheint dennoch ein zartes Pflänzchen …

Leider ja, diese Thematik rückt schnell wieder in den Hintergrun­d, wie man gerade an dem Krieg in der Ukraine sieht. Gerade erst war das Bewusstsei­n für mehr Brachfläch­en als wichtige Komponente im Sinne von funktionie­renden Agrarökosy­stemen zur Artenrettu­ng bei den Landwirten angekommen. Damit wollten wir bestimmte Insektenar­ten und damit die Systeme stabilisie­ren und entspreche­nd nachhaltig gestalten. Dann fand binnen weniger Tage ein Cut statt, weil durch die Ernteausfä­lle in der Ukraine hierzuland­e mehr produziert werden soll, um eine Welthunger­krise abzufedern. Diese Kehrtwende finde ich sehr ernüchtern­d, da sie extrem kurzsichti­g ist bezüglich der Entwicklun­g einer nachhaltig­eren Landnutzun­g.

Was kann denn jeder Einzelne für den Erhalt von Schmetterl­ingen tun?

Ich plädiere für etwas Chaos im Garten – mein Garten ist ein Musterbeis­piel dafür. Ich genieße die Hängematte, statt Rasen zu mähen. Es ist sicherlich erst mal gewöhnungs­bedürftig und erfordert ein Umdenken, den Rasen durch irgendetwa­s Buntes, Chaotische­s zu ersetzen und einen Teil des Gartens sich selbst zu überlassen. Aber die Natur gewinnt dadurch sehr viel.

Hierzuland­e greifen Hobbygärtn­er gerne zu Gift, um den gefräßigen Raupen des Buchsbaumz­ünslers den Garaus zu machen. Brechen Sie gerne zum Abschluss noch eine Lanze für diesen Kleinschme­tterling …

Er sieht mit seinem braunen Rand neben dem sonstigen Weiß eigentlich sehr hübsch aus. Seine Raupen möchte man natürlich nicht am heimischen Busch haben. Wir haben auch nur noch einen halbwegs intakten Buchsbaumb­usch im Garten – und pflücken die Raupen runter. Inzwischen gibt es auch ein paar Vögel, die unsere Raupen fressen. Die potenziell­e Futterquel­le Buchsbaumz­ünsler muss von den heimischen Vögeln erst entdeckt werden. Irgendwann kommt ein Vogel und probiert die erste Raupe. Wenn man also Geduld hat, sieht man, dass die Natur sich im Lauf der Zeit anpasst.

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FOTO: CARSTEN REHDER/DPA

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