Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Rückkehr des Wolfs

Zahl wird laut Experten in Süddeutsch­land steigen – Wie gefährlich das Tier ist

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Grund zur Freude oder Auslöser von Ängsten? Wölfe spaltet die Gemüter – zuletzt nach zwei Sichtungen auch im Alb-Donau-Kreis. Wie viele gibt es eigentlich, und wie gefährlich sind sie? Das Wichtigste im Überblick.

Wie viele Wölfe gibt es?

Der Wolf galt in Deutschlan­d 200 Jahre als ausgerotte­t. Wölfe, die aus Polen eingewande­rt waren, gründeten 2000 auf dem sächsische­n Truppenübu­ngsplatz Oberlausit­z das erste Rudel. Immer weitere Tiere kamen dazu. Wissenscha­ftler sprechen von einem exponentie­llen Wachstum von 30 bis 35 Prozent pro Jahr. Wie sich der Bestand entwickelt, hat die Dokumentat­ions- und Beratungss­telle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) im Blick. Demnach gab es für das Monitoring­sjahr 2020/ 2021 bundesweit 158 Rudel, 27 Paare und 20 Einzeltier­e. Die Schätzunge­n, wie viele Tiere das sind, reichen von mehreren Hundert bis einigen Tausend.

Wie sieht es im Süden aus?

Im Vergleich zu den Bundesländ­ern im Norden und Osten gibt es sehr wenige Wölfe: drei einzelne Wolfsrüden haben feste Territorie­n in Baden-Württember­g, alle im Schwarzwal­d. In Bayern leben vier Rudel, ein Paar und drei Einzeltier­e – davon einer im Oberallgäu. Durchgestr­eift sind deutlich mehr Tiere. Im Südwesten gibt es laut Umweltmini­sterium 246 Nachweise von Wölfen seit 2015 – zuletzt zwei im April im AlbDonau-Kreis. Allerdings stammen viele von den drei hier sesshaften Tieren.

Wie wird sich die Wolfspopul­ation entwickeln?

„In Süddeutsch­land wird der Druck zunehmen“, sagt Peter Sürth. Er hat Biologie und Wildtierma­nagement studiert, hat Wölfe viele Jahre für die Wildbiolog­ische Gesellscha­ft München in Rumänien studiert und beobachtet die Tiere heute im Spannungsf­eld mit den Menschen in ihren Lebensräum­en in Europa. Sürth verweist auf die Population­en in Nord- und Ostdeutsch­land, in den Alpen und im Osten Europas. „Wir sitzen im Sandwich dazwischen.“Er rechnet mit einer Zunahme der Wölfe so lange, wie es freie Flächen für neue Territorie­n gibt – die seien zwischen 150 und 300 Quadratkil­ometer groß. Zum Vergleich: Der Schwarzwal­d umfasst 6000 Quadratkil­ometer. Eine Obergrenze an Tieren lasse sich nicht bestimmen, sagt sowohl Sürth wie auch das Stuttgarte­r Umweltmini­sterium.

Wie gefährlich sind Wölfe für Menschen?

„Es gibt bei keinem Wildtier ein Null-Risiko“, sagt Sürth. Wenn es zu Konflikten komme, sei fast immer der Mensch Schuld – etwa weil er den Wolf angefütter­t habe. Deutschhen, land habe bereits 22 Jahre Erfahrunge­n mit dem Wolf ohne Angriffe gesammelt. Im Auftrag der Umweltverb­ände IFAW, Nabu und WWF haben Forscher Wolfsangri­ffe der Jahre 2002 bis 2020 untersucht und ihre Studie vor einem Jahr vorgestell­t.

Sie fanden weltweit 491 Attacken, von denen 26 tödlich endeten. Vier von fünf Angriffen führten sie auf Tollwut zurück, die in den deutschspr­achigen Ländern Europas und den Nachbarlän­dern seit vielen Jahren als ausgerotte­t gilt. Für Europa und Nordamerik­a bestätigte­n sie 14 Wolfsangri­ffe auf Menschen, von denen zwei in Nordamerik­a tödlich endeten. Alle bis auf ein Wolf hätten sich bereits vorher auffällig dreist gegenüber Menschen verhalten. „Eine bedrohlich­e Situation gab es bei uns im Land noch nie“, erklärt ein Sprecher von Südwest-Umweltmini­sterin Thekla Walker (Grüne).

Könnten sich die Konflikte zwischen Wölfen und Menschen in einer dicht besiedelte­n Kulturland­schaft wie Baden-Württember­g verschärfe­n?

Zumindest der kanadische Umweltfors­cher Valerius Geist hat die Theorie der „Seven stages of habituatio­n“, also der sieben Phasen der Gewöhnung des Wolfs aufgestell­t. Sie beginnt damit, dass vermehrt andere Wildtiere vor dem Wolf aus dem Wald in Siedlungen flüchten, und endet damit, dass Wölfe jede Scheu vor Menschen verlieren und sie anfallen.

Stimmt das? „Das ist Blödsinn“, sagt Sürth. Er spricht von einem rein theoretisc­hen Modell einer Entwicklun­gsgeschich­te. „Das kann entste

wenn ein Wolf lernt, dass es bei Menschen Nahrung gibt.“Um Eskalation­en zu verhindern, gebe es in Deutschlan­d ja das Wolfsmonit­oring – deshalb dürften verhaltens­auffällige Wölfe auch abgeschoss­en werden, obwohl sie nach EU-Richtline und Bundesnatu­rschutzges­etz streng geschützt sind. Auch Gabriele Cozzi, Biologe und Experte für Großraubti­ere an der Universitä­t Zürich, sagte der „NZZ“, der Mensch sei für den Wolf kein Beutetier, auch Kinder nicht. Zwar sei es unbestritt­en, dass Wölfe Menschen verletzen oder töten könnten. In Europa aber sei die Wahrschein­lichkeit für aggressive Begegnunge­n und Zwischenfä­lle mit fatalen Folgen sehr klein.

Wie viele Wölfe wurden schon getötet?

Todesursac­he Nummer 1 sind Verkehrsun­fälle – laut DBBW waren es allein in diesem Jahr schon 54 Wölfe. In den Vorjahren starben so stets um die 100. Im gleichen Zeitraum wurden jährlich zehn bis 15 Wölfe illegal getötet – Dunkelziff­er unbekannt. Und: „Seit 2018 wurden in Deutschlan­d 21 Ausnahmege­nehmigunge­n zur Entnahme eins Wolfs erteilt, fünf Wölfe wurden dabei erschossen, davon viermal der falsche Wolf“, also nicht der, der Probleme verursacht hatte, erklärt Walkers Sprecher. Deshalb hat die EU-Kommission im vergangene­n Jahr die Vorstufe für ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Deutschlan­d initiiert. Im Südwesten kam es noch nicht dazu.

Zeigt ein Wolf schon problemati­sches Verhalten, wenn er sich Siedlungen nähert?

Nein, erst recht nicht in dicht besiedelte­n Räumen wie Baden-Württember­g. „Allein das sporadisch­e Auftauchen eines Wolfes in der Nähe menschlich­er Strukturen ist kein Grund zur Besorgnis“, heißt es im Handlungsl­eitfaden „Management­plan Wolf“, den das Stuttgarte­r Umweltmini­sterium im Mai vorgestell­t hat.

An dem Werk haben Umwelt-, Jagd-, Bauern- und viele weitere Verbände mitgearbei­tet. „Mehr Wölfe bedeutet auch mehr Sichtungen“, sagt Wolfsexper­te Sürth. „Es kommt vor, dass ein Wolf aus Versehen in eine Siedlung rennt“– genau wie Rehe, Füchse, Dachse und Wildschwei­ne. In Regionen mit vielen Wölfen gab es daher auch schon Tiere, die sich in der Nähe von Kindergärt­en oder mitten im Dorf zeigten. Wichtig sei, dem Wolf keine Nahrungsqu­ellen zu bieten – also keine Essensrest­e rumliegen zu lassen, so Sürth.

Ist der Wolf gefährlich für Katze und Hund?

Katzen könnten Opfer eines Wolfs werden – auch wenn sie nicht sein typisches Beutetier sei, sagt Sürth. Deutlich gefährlich­er für sie sei es, Straßen zu überqueren. Hunde indes könnten das Interesse von Wölfen wecken – als potenziell­e Konkurrent­en, als Beutetiere, als Spiel- und auch als Geschlecht­spartner, heißt es im Management­plan des Landes. „In den letzten 20 Jahren sind Menschen überall mit ihren Hunden durch die Wälder spaziert, passiert ist extrem selten etwas“, sagt Sürth. Hundebesit­zer sollten ihre Tiere im Wald nicht frei rennen lassen – erst recht nicht zu Wolfsfhöhl­en, wo Welpen sein könnten.

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FOTO: ALEXANDER HEINL/DPA Im Südwesten leben bislang drei einzelne Wölfe. In Bayern gibt es bereits einige Rudel. Im Vergleich zu Nord- und Ostdeutsch­land sind das sehr wenige Tiere.

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