Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Erfolg für den Anti-Macron

Der Linkspopul­ist Mélenchon beunruhigt die Franzosen – Trotzdem stärken sie den Gegenspiel­er des Präsidente­n

- Von Christine Longin

PARIS - Wer Jean-Luc Mélenchon verstehen will, muss zum 16. Oktober 2018 zurückblät­tern. Wegen einer Affäre um illegale Wahlkampff­inanzierun­g durchsucht­en Ermittler an jenem Vormittag die Büros von Mélenchons La France Insoumise (Unbeugsame­s Frankreich). Als der Parteichef mit ein paar Getreuen dazu kam, spielten sich Szenen ab wie in einem schlechten Theaterstü­ck. Mit weit aufgerisse­nen Augen bedrohte der für seine cholerisch­en Anfälle bekannte Linkspopul­ist die Polizisten, die seine Parteizent­rale bewachten, „Die Republik bin ich“, brüllte er und schlug heftig gegen die Tür, hinter der gerade die Durchsuchu­ng stattfand.

Seinen Anhängerin­nen und Anhängern dürfte der demonstrat­ive Widerstand gefallen haben, der dem Abgeordnet­en drei Monate Haft auf Bewährung und eine Geldstrafe von 8000 Euro einbrachte. Die Mehrheit der Französinn­en und Franzosen wird sich dagegen in dem schlechten Bild bestärkt gefühlt haben, das sie von Mélenchon hat. 59 Prozent seiner Landsleute haben Angst vor dem 70-Jährigen, dessen links-grünes Bündnis Nupes in der ersten Runde der Parlaments­wahlen genauso viele Stimmen holte wie das Lager von Präsident Emmanuel Macron.

Dabei ist Mélenchon der Politiker, der die Menschen in Frankreich am meisten beunruhigt. Mehr noch als die Rechtspopu­listin Marine Le Pen.

Die Wutanfälle des Linksaußen sind legendär und machen vor niemandem halt. „Das ist mir scheißegal. Ich kenne deinen Mitbewohne­r nicht“, blaffte er vor einigen Tagen einen jungen Mann an, der bei einem Wahlkampfa­uftritt um eine Aufnahme für einen Freund gebeten hatte. „Zumindest am Anfang waren seine Verbalatta­cken auch der Versuch, sich von der etablierte­n politische­n Kaste abzugrenze­n, die solche Ausfälle mit Vulgärspra­che vermeidet“, analysiert Stefan Seidendorf vom Deutsch-Französisc­hen Institut in Ludwigsbur­g.

Die Bewältigun­g einer schweren Krise trauen Mélenchon nur 31 Prozent der Französinn­en und Franzosen zu und noch weniger finden, dass er ein positives Bild ihres Landes im Ausland vermittelt. Allerdings bemüht sich der Volkstribu­n auch gar nicht, außenpolit­isch eine gute Figur zu machen. Sein offener Hass gilt

Deutschlan­d, dessen Sparpoliti­k er für sämtliche Probleme in Europa verantwort­lich macht. „Schnauze zu, Frau Merkel“, twitterte er 2014, als die Bundeskanz­lerin von Frankreich stärkere Reformanst­rengungen forderte. Ähnlich brutal äußert er sich gegenüber der EU, gegen die er den „Ungehorsam“ins Nupes-Programm schreiben ließ.

Viel Verständni­s zeigte „Méluche“, wie er von seinen Anhängern genannt wird, dagegen für den russischen Präsidente­n Wladimir Putin, als dieser 2014 die Krim annektiert­e und 2016 Syrien angriff. Seine blinde Putin-Treue endete erst, als Russland im Februar die Ukraine überfiel und klar war, dass der Krieg auch den französisc­hen Präsidents­chaftswahl­kampf

beeinfluss­en würde. Mélenchon ging daraufhin auf Distanz zu Moskau, lehnt aber Waffenlief­erungen an die Ukraine ab und will Frankreich aus der Nato führen.

Trotz dieser radikalen Positionen könnte Mélenchons Linksallia­nz am nächsten Sonntag eine absolute Mehrheit Macrons in der Nationalve­rsammlung verhindern. Mélenchons aggressive­s Image wirkt sich offensicht­lich nicht auf das Bündnis mit Sozialiste­n, Kommuniste­n und Grünen aus, mit denen er eine lange für unmöglich gehaltene „Volksunion“schmiedete. Auch wenn er sie klar dominiert, ist die Nupes eine Art Hülle, unter der seine Ecken und Kanten verschwind­en. Die Wählerinne­n und Wähler entscheide­n sich eher für die Verpackung als für den Inhalt. Das Parteienbü­ndnis scheint ihnen wichtiger als Mélenchons umstritten­e Persönlich­keit.

Zum anderen halten ihn viele für den besten Anführer der Opposition gegen den Präsidente­n. Seine Landsleute bescheinig­en ihm die Fähigkeit, Dinge verändern zu wollen. Darin wird der begnadete Redner sogar noch stärker eingeschät­zt als Marine Le Pen, die Dauergegne­rin Macrons, die in der Stichwahl um das Präsidente­namt fast 42 Prozent der Stimmen holte.

Vielen Französinn­en und Franzosen gefällt zudem Mélenchons Vorhaben, die Allmacht des Präsidente­n durch ein starkes Gegengewic­ht in der Nationalve­rsammlung zu beschneide­n. Mélenchon selbst wird eine solche Opposition allerdings nicht anführen: Er kandidiert­e nicht mehr für einen Abgeordnet­ensitz m Pariser Parlament.

 ?? FOTO: IMAGO/ALEXIS SCIARD ?? Der Linkspopul­ist Jean-Luc Mélenchon könnte mit seinem Wählerbünd­nis Nupes bei der zweiten Runde der Wahlen zur französisc­hen Nationalve­rsammlung eine Mehrheit der Partei Präsident Macrons im Pariser Parlament verhindern.
FOTO: IMAGO/ALEXIS SCIARD Der Linkspopul­ist Jean-Luc Mélenchon könnte mit seinem Wählerbünd­nis Nupes bei der zweiten Runde der Wahlen zur französisc­hen Nationalve­rsammlung eine Mehrheit der Partei Präsident Macrons im Pariser Parlament verhindern.

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